Ort: Botanique, Brüssel
Vorband: Katie Harkin

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Mist, der Tunnel ist gesperrt. Ich bin kurz vor Brüssel, als ich via blinkender Leuchttafeln darüber informiert werde. Der Tunnel am EU-Regierungsviertel ist mein Standardweg in die Brüsseler Innenstadt und die einfachste Anreisevariante zur Botanique. Schnell ist man von dort auf dem Stadtring und drei Ausfahrten später am Konzertsaal.
Mist, was nun? Darauf bin ich nicht vorbereitet. Gott sei Dank habe ich mich vor Fahrtbeginn entschieden, mein Mobiltelefon zum Navigationsgerät aufzurüsten und mit der entsprechenden App von Here zu versehen. Als Karten- und Autofahreratlasfan versuche ich, digitale Navigationsmittel zu vermeiden und mein ursprünglicher Gedanke war auch der, aus dem Gedächtnis heraus zur Botanique zu fahren. Frei nach dem Motto: ach komm, du bist vor 3 Wochen erst hierher gefahren, den Weg kennste auch so. Mein Streckengedächtnis ist nämlich sehr gut. Gut, dass ich nicht allein auf mein Gedächtnis vertrauen wollte. Natürlich habe ich keine Handyhalterung und so war es mir nicht möglich, den Streckenverlauf auf dem Bildschirm mit gelegentlichen Kontrollblicken zu verfolgen. Aber ich konnte den Anweisungen der Stimme folgen und überdies noch auf mögliche Wegweiser achten, ohne blindlings dem Navigationsmonitor zu vertrauen. Und was soll ich sagen, so ein Navigationsgerät ist eine feine Sache. Die Stimme lotste mich sicher durch kleine Nebenstraßen und um komische Ecken, bis ich irgendwann auf den Brüsseler Stadtring kamen. Es wurde ganz einfach, da wollte ich hin. Noch einfacher wäre es gewesen, wenn ich in der Navi App zuvor das deutsche Sprachpaket gedownloadet und initialisiert hätte. Aber es ging auch so und ich stehe um kurz nach halb acht in der Botanique.
‘Nur die Deutschen sind immer früh da.‘ Dieser Satz, der mir einmal in Luxemburg bei einem Konzert entgegengebracht wurde, als es darum ging, dass 10 Minuten vor Konzertstart der Saal trotz ausverkauft noch übersichtlich leer war, kommt mir in den Sinn, als ich die Orangerie der Botanique betrete. Der Raum ist es noch nahezu leer, 10 Minuten vor Beginn ist es kein Problem, einen guten Platz am Bühnenrand zu bekommen. 

I spend the afternoon in cars I sit in traffic jams for hours.

„Jumpers“ ist der erste alte Klopfer. „Start together“ der zweite. Es sind die einzigen alten Hits in der ersten Hälfte des Konzertes. Es sind aber zwei Songs, die ich mit am meisten mag. Also, alles richtig gemacht, Sleater-Kinney. Nachdem was ich höre, ist das aktuelle Album gut. Ich kenne es nicht, die Vielzahl der Stücke von The center won’t hold, die Sleater-Kinney spielen, klingen jedoch allesamt hervorragend. Neben Songs vom Vorgänger No cities to love bestimmen sie die erste Konzertstunde. Es ist also das, was es ist: Eine Tour bzw. ein Konzert zum aktuellen Album. Erst im zweiten Teil werden Sleater-Kinney offener für älteren Kram. Es ist nun ein Mix aus alt und neu. Alt meint hier Songs von vor 2006. „One more hour“, „The fox“, „All hands on the bad one“, „Whats mine is yours“, „Entertain“. Nahezu fifty-fifty ist jetzt die Songaufteilung.

Aus dem Trio ist über die Jahre eine fünfköpfige Live-Band geworden. Katie Harkin, die schon seit dem letzten Album zur Liveformation gehört und Toko Yasuda spielen je nach Song zusätzlich Gitarre oder Keyboards. Am Schlagzeug sitzt nun Angie Boylan, nachdem Janet Weiss vor einem Jahr ihren Rückzug von der Band vollzogen hatte. Der Rest der Sleater-Kinney Vergangenheit ist bekannt: Riesenhits und diverse Alben von 1994 bis 2006. Dann die Bandauflösung, gefolgt von musikalischen Nebenprojekten (Wild Flag) und TV Geschichten (Portlandia), um 2015 mit dem Album No cities to love einfach mal Sleater-Kinney zurückzuholen. The center won’t hold ist nun das zweite Album nach der Reunion.

Katie Harkin, wer kennt sie nicht aus Sky Larkin Zeiten, bestreitet mit ihrer Band das Vorprogramm. Sie ist ein Tausendsassa, spielt sie doch nicht nur bei Sleater-Kinney sondern auch bei den Wild beasts, Waxahatchee sowie Kurt Vile und Courtney Barnett. Scheinbar nebenbei hat sie ihr Debüt Soloalbum produziert, das in Bälde veröffentlicht wird. Die Songs, die sie an diesem Abend spielt und die alle vom kommenden Album stammen, sind ausnahmslos toll. Ich versichere hiermit, Katie Harkins Album wird große Klasse.

Sleater-Kinney. All dressed in black. Das Bühnenlicht ist dazu oft knallweiß. Im Hintergrund stehen vier Wände, auf denen abstrakt Fabelwesen abgebildet sind. Leuchtröhren an den Mikrofonständern und an den Keyboards unterstreichen den stylischen Bühnenaufbau. Die beiden Keyboardtürme flankieren das Schlagzeug, der vordere Bühnenbereich gehört bis auf wenige Ausnahmen Corin Tucker und Carrie Brownstein.
Ich bin an diesem Abend Team Tucker. Als ich in die Botanique kam, war nur noch vorne rechts etwas Platz, bzw. ich bemühte mich erst gar nicht um einen Platz vorne links direkt neben der Eingangstür. Denn merke: ruhiger und weniger im Durchgangsverkehr steht man bei Konzert auf der dem Eingang abgewandten Seite. Anfangs ärgere ich mich über die falsche Seitenwahl und darüber, die agilere Carrie Brownstein nicht aus der Nähe beobachten zu können. Doch dann viel mir ein, dass ich bei meinen letzten Wild Flag und Sleater-Kinney Konzertbesuchen immer auf der Carrie Brownstein Seite stand. Ist also nicht dramatisch, mal die andere Seite der Band vor der Nase zu haben.

Das Konzert ist zeitweise eine Hommage an den Hardrock. Carrie Brownstein posiert mit Airwheels und -kicks – die bei früheren Konzerten allerdings schon häufiger kamen – nicht nur wie ein Guitar Hero, sondern sie lässt auch ihre Gitarre in die 1980er Jahre abdriften. Sind Airkicks und Airwheels noch irgendwie akzeptabel, sind es Hardrockgitarren nicht. Doch es klingt nur sekundenlang übel, weil Carrie Brownstein diese Sequenzen nicht zu oft und nicht zu übertreiben einbaut. Ansonsten liegt sie natürlich wieder auf dem Boden („Entertain“), schmiegt sich an ihre Co-Frontfrau Corin Tucker und tanzt in irren und wunderschönen Schrittkombinationen über die Bühne.

Die älteren Songs spielen Sleater-Kinney mit vier Gitarren. Dann rumst es mächtig. Bei den neuen Songs belassen sie es jedoch bei zwei Gitarren und Toko Yasuda und Katie Harkin konzentrieren sich auf die Keyboards. Zweimal legt Corin Tucker die Gitarre ab. Das erste Mal zu „Angst in my pants“ und in der Zugabe, als sie nur von ihrer Bandkollegin an den Keyboards begleitet die Ballade „Broken“ schmettert.
„Broken“ ist mein Überraschungssong. Da ich das neue Album noch nicht gehört habe, kenne ich diese sehr Sleater-Kinney untypische Ballade nicht. Corin Tucker singt famos, trifft die Töne und irgendwie merke ich erst jetzt, was sie für eine tolle, vielseitige Stimme sie hat. Die Information ist wichtig, weil das sonst im üblichen Gitarrenlärm untergeht. Mühelos meistert sie die Höhen und Tiefen dieses Klaviersongs, der auch gut der neue Bond Song hätte sein können.
Der zweite etwas andere Sleater-Kinney Song ist übrigens „Love“, auch vom neuen Album. Viel Synthies, wenig Gitarre. Sie spielen ihn nach „The fox“; stärker wird der Kontrast an diesem Abend nicht mehr.

Kurz nach „Broken“ covern sie die Sparks. Die Lyrik zum Song wird Corin Tucker auf zwei DIN A4  Zetteln hingelegt. Man kann sich ja nicht alles merken. „Angst In My Pants“ hat auch noch eine weitere Besonderheit. Da Corin Tucker sich auf den Gesang konzentriert, kommt zum ersten und einzigen Mal Katie Harkin an den Bühnenrand und spielt im vorderen Bereich Duett-Gitarre mit Carrie Brownstein. Das wirkt abgesprochen und bestimmt, denn es scheint ihr nicht soviel Spaß zu machen. Da hilft auch das aufmunternde Lachen der Sleater-Kinney Sängerin nicht viel.
Der Abend befindet sich in den Schlussminuten. Die Zugabe startet mit dem beschriebenen „Broken“ und dem Sparks Cover. Dann folgen noch „Words and guitar“ und „Dig me out“. Geht es besser? Nein. Es ist ein würdiges Ende eines verdammt guten Konzertes. Sleater-Kinney haben mich überzeugt. Auf der Hinfahrt war ich mir noch nicht sicher, ob das Konzert den Erwartungen stand halten würde. Es hielt und vielleicht war es in Nuancen sogar noch mehr. Das werden die nächsten Tage zeigen, wenn ich noch ein paar Videos gesehen habe und mich nochmal gedanklich mit dem Abend beschäftigt habe.

Der Rückweg ist einfacher. Der Fußweg zum Parkhaus lässt mir nochmals Zeit, das Konzert Revue passieren zu lassen. Ja, es war ein tolles Konzert, ein sehr guter Abend. Entspannt und stressfrei, trotz Hinwegproblematik. Dieser abendliche Ausflug hat großen Spaß gemacht. Ich freue mich auf die nächtliche Rückfahrt. Durch den Tunnel geht es zurück auf die Autobahn.

I spent the afternoon in cars.

Setlist:
01: The center won’t hold
02: Hurry on home
03: Price tag
04: The future is here
05: Jumpers
06: Reach out
07: Bury our friends
08: Start together
09: Ruins
10: What’s mine is yours
11: All hands on the bad one
12: Bad dance
13: One more hour
14: No cities to love
15: The fox
16: Love
17: Can I go on
18: A New Wave
19: Animal
20: The Dog/The Body
21: Entertain
Zugabe:
22: Broken
23: Modern girl
24: Angst in my pants
25: Words and Guitar
26: Dig me out

Kontextkonzerte:
Sleater-Kinney – Antwerpen, 21.03.2015 / Trix
Sleater-Kinney – Berlin, 18.03.2015 / Huxley’s neue Welt
Wild Flag – Köln, 05.02.2012 / Gebäude 9

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