Ort: Weissenhäuser Strand, Ostsee
Bands: Midlake, Warpaint, Teenage Fanclub, The National, John Grant

John Grant - Rolling Stone Weekender, 12.11.2010

Tag 1 von 2:

‚Das ist so unerträglich hier, ich geh aufs Zimmer.‘ Das Mädchen weiter links ist scheinbar kein Teenage Fanclub Girl. Es ist kurz nach halb neun und ich stehe in einem sturmumschüttelten Zelt unweit der Ostsee. Vor einer Stunde betraten vier Schotten aus Glasgow die Bühne, die auch gut ins Publikum gepasst hätten.
Es ist Rolling Stone Weekender, und all die, die vorher von einer ‚Ü30 und für Leute, die auf Festivals nicht mehr campen wollen‘ Veranstaltung geredet haben, haben recht. Das Durchschnittsalter ist an den zwei Ostseetagen am Weissenhäuser Strand höher als bei anderen Festivals oder Konzerten.
Aber es gibt kein junges oder altes Publikum, es gibt nur ein gutes oder schlechtes. Und das Publikum ist gut. Es herrscht eine ausnahmslos entspannte Atmosphäre auf der Ferienanlage. Es passt aber auch alles zusammen: Unkompliziertes Einchecken, ausreichend befestigte Parkplätze und ganz wichtig: das Bett nur eine Minute von den drei Bühnen entfernt und Restaurants sowie Supermarkt fußläufig.
Im richtigen Leben ist der Weissenhäuser Strand eine siebziger Jahre Ferienanlage, eingeklemmt zwischen einem Truppenübungsplatz (auf dem ich vor 20 Jahren auch geübt habe) und einem Naturschutzgebiet. Hier findet man alles, was man für den täglichen Bedarf braucht. Der Gebäudekomplex, bestehend aus einem Hotel, drei Apartmenthäusern sowie einer überdachten Galeria mit Restaurants und einigen Geschäften ist eine rundum-sorglos Ferienanlage. Badeparadies, Dschungelland und Minigolfplatz inklusive. Meinen 14-tägigen Urlaub möchte ich hier jedoch nicht verbringen. Musik hören und sehen schon.

Drei Bühnen bietet der Weekender: Die große Zeltbühne, den kleinen Baltic Festsaal (mit Teppichboden und marmorgefliester Tanzfläche wahrscheinlich der Kulturraum des Ferienparks) und das noch kleinere Rondell (eine größere Grillhütte).
Drei Bühnen, das bedeutet natürlich Überschneidungen. Doch die Termine liegen günstig. Wir schaffen es locker, die von mir nicht so stark geliebten Element of Crime zu umkurven und stattdessen Midlake, Teenage Fanclub, Warpaint, The National und John Grant zu bewundern.
Ein Wahnsinnstagesprogramm, wie ich erst jetzt bemerke.
Da jede Band nahezu ein ganzes Konzert spielen darf, schaffe ich es auch, mir noch unbekannte Bands genauer anzusehen. Warpaint zum Beispiel, diese vier zauberhaften Mädels aus L. A. Hochgeredet als das nächste große Musikding verzauberten sie mich und den proppenvollen Baltic Festsaal mit ihren Organ-esken und shoegaze-dream-pop angehauchten Gitarren binnen kürzester Zeit. Sie waren das erste Ausrufungszeichen am Freitagabend, dem direkt der nächste folgte.

Teenage Fanclub. Nach vielen Jahren sind sie mal wieder im Lande und ihr Auftritt hier war für mich ein Hauptgrund, den längeren Weg an die Ostsee auf mich zu nehmen. Ihr Set war eine tolle Mischung, ein best-of ihrer Songs. Norman Blake, Gerard Love und Raymond McGinley haben es eben drauf. Sie können nicht anders als perfekte Popsongs zu schreiben. „Don’t look back“, „It’s all in my mind“, „Baby Lee“, „Start again“, „I need direction“ oder „Ain’t that enough“. Diese sind mir noch im Gedächtnis, aber es waren bei Weitem noch viel, viel mehr Hits in den 80 Minuten Teenage Fanclub Konzert eingepackt.
Slidegitarren und schottische Beach Boys Klänge. Ein toller, wenn auch sehr lauter und dröhniger Auftritt. Da wird nicht nur der Teenage Fanclub Cologne schwimmende Augen bekommen haben.

‚Wie heißt denn die Band, die gerade spielt?‘ ‚The National‚. Sollte ich länger darüber nachdenken, warum ein Festivalbesucher einen der großen Namen des Wochenendes nicht kennt?
Nun, spätestens nach diesen 90 Minuten wird er sie kennen, wenn nicht gar abgöttisch lieben und in der Plattenbörse nebenan alle The National Alben kaufen. Innerhalb der nächsten 10 Minuten! Denn das, was Matt Berninger und seine sechs Kollegen im nicht mehr ganz so sturmumpeitschten Zelt abgeliefert haben, war schlicht und einfach großartig.
Was für ein Auftritt! Ich denke, Element of Crime, die anschliessend auf die Bühne durften, haben resigniert abgewunken.
Das war nicht zu toppen und mir fehlen die Worte. Vielleicht erlange ich sie am Donnerstag wieder.

‚Ey, was ist denn das da für ein Lärm dahinten? Warst du das?‘ John Grant sprach in astreinem deutsch Richtung linkem Raumende. ‚Bist du Musiker? Ich versuche mich hier zu konzentrieren und die Leute hier vorn wollen zuhören. Also sei ruhig.‘
Weg ist die entspannte Stimmung. Gibt’s gleich ne Schlägerei? Nein, das Publikum applaudiert, der Krawallmacher ruft noch irgendwas mit ‚Fuck you‘, John Grant antwortet noch irgendwas wie ‚Fuck YOU‘ und dann ging es weiter mit der letzten Zugabe „Queen of Denmark“.
Vorher hörten wir schon tolle Singer-Songwriterstücke wie „Sigourney Weaver“ oder „Where dreams go to die“. John Grant und sein ihn ab und zu am Klavier / Keyboard ablösender Kumpel waren meine Überraschungskünstler des ersten Tages.
Sein Auftritt im kleinen Rondell war grandios. Gefühlvolle Popsongs.

„In verspielten, oft psychedelischen Popsongs erzählt der 38 jährige von Neurosen und Drogenräuschen.“

Das lese ich im Programmheft, das passt irgendwie.
Von John Grant hatte ich vorher noch nie gehört. Seit seinem Studienaufenthaltes Anfang der 90er in der Pfalz ist Deutschland so was wie seine zweite Heimat geworden. Viel mehr bringe ich an diesem Abend nicht über ihn in Erfahrung. Und dieses weiß ich auch nur, weil er es zwischendurch in akzentfreiem Deutsch erzählt hat.
Auch seine ehemalige Band The Czars kenne ich nicht, aber was die beiden auf der Bühne ablieferten, war ganz toll. Da schaute auch Midlake Sänger Tim Smith glückselig drein, der sich den Auftritt seines Spezies genüsslich anschaute. Das war die hohe Songwriterkunst.

Kontextkonzerte:

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. SomeVapourTrails

    Klingt so als wär dies ein Festival nach meinem Geschmack, gesetzt, erwachsen, gesittet. Das gilt für die Musiker ebenso wie für das Publikum. Geht es nur mir so oder fehlt in der Populärmusik das mutige Bekenntnis zu Fältchen und Lebensweisheit? Heute mehr noch als vor 15 Jahren meine ich. Genannte Musiker gehören jedoch nicht zu meinen Favoriten, aber es soll ja auch Meinungen geben, die man nach einer tollen Live-Performance kippt.

    1. frank

      Der RWS ist das perfekte Festival für Menschen unseres Alters, Chris. Falls dich dort auch nur ein, zwei Bands annähernd interessieren, solltest du die zwei Tage Ostsee mal einplanen.
      Mmh, das seh ich nicht ganz so dramatisch. Viele „ältere“ Bands stehen doch zu sich und versuchen nicht, auf Teufel komm raus den berufsjugendlichen raushängen zu lassen (die Stones mal aussen vor gelassen.).
      Und ich habe überdies das Gefühl, dass das Konzertpublikum in den letzten Jahren erwachsener geworden ist. Selbst bei „jungen“ Bands sieht man uns alte Säcke. So glaube ich, dass viele der 90er Generation einfach weitermachen und nicht aufhören, Konzerte zu besuchen oder selbst zu musizieren. (Sonic Youth, Slut oder Jarvis Cocker). Und das mit einer gesunden Altersentwicklung. Act your age, dieses wahrlich platte Motto, sehe ich sehr stark über den genannten und vielen anderen Bands schweben. Also in meinen Augen durchaus Bekenntnisse zu Lebensweisheit.

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