Ort: Botanique, Brüssel
Vorband: Stella Donnelly

Rolling Blackouts Coastal Fever - Brüssel, 21.08.2022

Spätestens seit Smudge wissen alle, dass australischer Indiepoprock enorm unterhaltsam ist. Garageland setzten in den 1990er Jahren für mich ein weiteres Ausrufezeichen und unterstrichen die Bedeutung, die Ozeanien in meiner Musikwelt einnahm. Und einnimmt. Später kam noch das gefühlte one hit wonder (was es aber nicht ist) An horse dazu. Ihren Hit „Camp out“ kennt wohl jeder. Noch später dann Ben Lee und Courtney Barnett. 
Und jetzt das: Stella Donnelly und Rolling Blackouts Coastal Fever spielen an einem Abend zusammen, bzw. nacheinander in der Botanique in Brüssel. Wie kann ich mir dieses australische Paket entgehen lassen? Richtig, gar nicht. Stella Donnelly und Rolling Blackouts Coastal Fever sind meine heißesten Indiepoprock Entdeckungen der letzten drei, vier Jahre. Ihre Platten sind Spitzenklasse, musikalisch absolut auf der Höhe der Zeit.

Stella Donnelly veröffentlichte 2019 mit Beware of the dog ein fulminantes Debütalbum und eines meiner Lieblingsalben des Jahres 2019. Die Rolling Blackouts Coastal Fever lernte ich eher zufällig 2018 auf dem BIME Festival in Bilbao kennen, und direkt lieben. „The french press“ und die gleichnamige EP waren 2017 mein Dosenöffner. In schneller Abfolge kaufte ich mir nach dem Bilbao Ausflug das bis dahin veröffentlichte Album Hope downs und die beiden EPs Talk Tight und The french press.

Es gibt also nun wirklich keinen Grund, der gegen eine Ausflugsfahrt nach Brüssel spricht. Also, Zugticket gekauft und ab in die Botanique.

Klar, ich sah die Rolling Blackouts Coastal Fever erst vor einer Woche in Barcelona. Aber als der Spielplan für das Primavera Sound Festival rauskam, hatte ich bereits ein Ticket für die Botanique und die Zugfahrt. Und ganz abgesehen davon, mich reizte seit Konzertbekanntgabe das Doppel mit Stella Donnelly sehr. Damit wurde dieses Konzert nicht ein normales Konzerte in Band-Vorband Konstellation. Es wurde vielmehr ein Abend mit zwei Lieblingsbands, die ich beide sehen wollte. Egal wer zuerst und wer als zweites auf der Bühne steht. Idealerweise haben beide die gleiche Spielzeit. So meine Wunschvorstellung. Doch die erledigte sich relativ schnell.

Als ich am Abend die Botanique betrete, sehe ich auf der Anzeigetafel die Anfangszeiten. (Ein Service übrigens, den ich in Deutschland sehr vermisse. Hier wird lieber ein Geheimnis daraus gemacht, wann Bands anfangen.) Für Stella Donnelly sind doch tatsächlich nur 35 Minuten eingeplant. Ein Skandal!
Stella Donnelly hätte ich auf dem Primavera Sound Festival auch sehen können. Da sich ihr Slot aber unglücklicherweise mit dem von Courtney Barnett überschnitt, kam ich nicht dazu. Ich hatte ja auch noch den Botanique Termin in der Hinterhand, daher gab ich der anderen Australierin den Vorzug.

Um 20 Uhr ist die Orangerie übersichtlich gefüllt. Vielleicht 100 Leute haben sich eingefunden, um Stella Donnelly die Ehre zu erweisen. Ich empfinde das als ein bisschen wenig und frage mich, wie viele Leute in einer guten Stunde hier stehen werden. Oder andersrum gefragt, wie viele Leute Stella Donnelly nicht kennen, obwohl sie die Rolling Blackouts Coastal Fever gut finden. Und warum sie sie nicht kennen. Denn hatte ich schon erwähnt, dass ihr Debütalbum großartig ist? Ihr Set besteht in der Hauptsache aus Songs von Beware of the dog, aber leider steht „Beware of the dog“ nicht auf der Liste, der für mich schönsten Song der Platte. Stattdessen spielt sie „Flood“ und „Lung“, zwei neue Songs. Die sind auch schön. Zu diesem Zeitpunkt ist die Band komplett auf der Bühne. Ich erwähne das, weil es nicht von Anfang an so ist. Die ersten drei Stücke spielt Stella Donnelly solo. Den Schlagzeuger haben sie sich übrigens von den Rolling Blackouts Coastal Fever ausgeliehen. Was mit ihrem eigenen Schlagzeuger passiert ist, weiß ich nicht. Es klingt in der Ansprache so, als ob er schon länger ausgefallen sei.
Stella Donnelly spielt ein launisches Set mit einigen lustigen Ansagen, macht einen Handstand und liefert in Summe sehr schönen Indiepop. Später sehe ich sie noch einmal, wenn sie für zwei, drei Songs bei den Rolling Blackouts Coastal Fever auf die bühne zurückkehrt.

Stella Donnelly - Brüssel, 21.08.2022

Im November kommt sie wieder nach Europa. In Brüssel spielt sie dann in der Rotonde. Ein Pflichttermin, falls sich nicht noch irgendwas in der Nähe ergibt.

In der Umbaupause beobachte ich den Gitarristen der Stella Donnelly Band dabei, wie er die Gitarren stimmt und präpariert. Die beiden Bands scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Und man kennt sich. Stella Donnelly singt auf dem neuen Rolling Blackouts Coastal Fever Album Endless rooms ein paar backing vocals. Auch in der Botanique wird sie bei zwei Songs mitsingen und bei einem Song das Keyboard übernehmen.

Die fünf Rolling Blackouts Coastal Fever Jungs haben leichtes Spiel, um die Orangerie zum Tanzen und Mitsingen zu bringen. Ihr smoother Indiepop funktioniert schnell und gut. Dass sie sich in Europa eine ordentliche Fangemeinde angespielt haben, konnte ich schon vor einigen Tagen beim Primavera Sound Festival beobachten. Auch hier hat es sich mittlerweile gut gefüllt. Sie starten mit „An air conditioned man“ und sofort ist bei mir das gute Laune Gefühl da. Ich mag ihre Plinkergitarren, diesen unschuldig daherschleichenden Dingeldengelsound. Den haben die Rolling Blackouts Coastal Fever perfekt drauf. Auf der Bühne sind alle immer irgendwie in Bewegung. Es ist aber eine gemütliche Art von Dynamik. Nichts Hibbeliges, nichts Wildes. Es ist mehr ein sanftes mitschwofen. Genau wie ihre Melodien: nie zu wild und immer harmonisch. Und das ist enorm ansteckend.
Nach einer halben Stunde spielen sie Songs vom neuen Album Endless rooms. Und wie erwähnt, bei „Caught low“ und „Bounce of the bottom“ steht Stella Donnelly mit auf der Bühne. Was kann ich mehr sagen? Es ist ein schönes, ein der Jahreszeit entsprechendes Konzert. Ihr Gitarrenindie und Jangle Rock klingt nach Sommer. Er klingt wie ein lauer Sommerabend: Unaufgeregt, entspannt. Nicht verschwitzt, hektisch und genervt wie die Hitze des Tages.
Ein Merkmal der Band ist der von den drei Sängern Fran Keaney, Tom Russo und Joe White vorgetragene Harmoniegesang. Das sticht bei den Rolling Blackouts Coastal Fever heraus. Und wenn dann alle noch ihre Gitarre umgeschnallt haben, wird es besonders schön. Dann stehen, ergänzt um den Bassisten Joe Russo (ja, der Bruder von Tom Russo), vier Gitarristen auf der Bühne. Bleibt noch die andere Hälfte der Rhythmussektion zu erwähnen: den Schlagzeuger Marcel Tussie. Er ist auf dieser Tour das eigentliche Arbeitstier, oder der Pechvogel. Oder Glückspilz. Je nach Sichtweise und Einstellung. Denn nicht nur heute fährt er eine Doppelschicht. Auf der gesamten Tour hilft er bei Stella Donnelly aus, die auf ihren etatmäßigen Schlagzeuger verzichten muss.

Setlist:
01: An air conditioned man
02: She’s there
03: Read my mind
04: Talking straight
05: Mainland
06: Dive deep
07: Blue eye Lake
08: My echo
09: Caught low
10: Bounce off the bottom
11: Cars in space
12: The Way It Shatters
13: Cameo
14: Falling thunder
15: Fountain of good fortune
Zugabe:
16: The French Press

Kontextkonzerte:
Rolling Blackouts Coastal Fever – Primavera Sound Festival Barcelona, 11.06.2022
Rolling Blackouts Coastal Fever – Köln, 13.11.2018 / MTC
Rolling Blackouts Coastal Fever – BIME Live Festival Bilbao, 27.10.2018

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