Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Anna St. Louis

Waxahatchee - Köln, 12.07.2024

Die Bühnenrückwand im Gebäude 9 ist durch einen goldglänzenden Vorhang bedeckt. Dieser reflektiert das Licht der Bühnenscheinwerfer so, dass die Musiker in einem gelb-gold schimmernden Licht stehen. Das erzeugt eine – wie ich finde – ganz eigene Atmosphäre zwischen Glamour und Trash. Gepaart mit einer Showtreppe könnte es die Bühnendeko eines eleganten Clubs sein. Das ist es hier natürlich nicht. Im Gebäude 9 versprüht der goldene Vorhang eher den schönen Charme eines leicht heruntergekommenen Country Clubs, in dem die Cowboys der Dutton Ranch jede Sekunde eine Schlägerei anzetteln könnten.

Das Konzert der amerikanischen Musikerin Waxahatchee ist fast ausverkauft. Ich weiß nicht, ob mich das überraschen soll oder nicht. Als ich Waxahatchee vor zehn, zwölf Jahren erstmals live sah, spielte sie in halb so großen Clubs und vor halb so viel Publikum. Seinerzeit war ich großer Fan ihrer do-it-yourself-Indierocksongs, die beiden Alben Cerulean Salt und American Weekend hörte ich regelmäßig auf Autofahrten. Das passte ganz gut, und vielleicht sollte ich das mal wieder tun. Damals schrieb ich sowas wie:

Wenn es ihr gelingt, noch etwas mehr Pop in ihre Songs zu legen, dann ist ihre Musik noch stärker als jetzt schon dafür geeignet, TV Serien von Veronica Mars über Walking Dead bis zu Ray Donovan musikalisch zu unterlegen.

Davon sind Waxahatchee 2024 allerdings meilenweit entfernt. Jetzt macht Katie Crutchfield aka Waxahatchee in Countrymusik, oder wegen meiner Alternative-Country. So lese ich es im Internet. Ihre letzten beiden Alben, Saint Cloud und das aktuelle Tigers blood, kenne ich nicht. Es sollen Countryalben sein. Und Sozialforscher können mit Sicherheit gut erklären, warum das Country Ding aktuell eine kleine Renaissance erfährt. Egal, ob in der Musik oder im Seriengeschäft. Beyoncé und Yellowstone nenne ich mal beispielhaft.

Ich kenne nur die beiden ersten Alben. Country also, ich bin da kein Freund von und war daher – abgesehen von der anfänglichen Begeisterung, Waxahatchee mal wieder live sehen zu können, – zurückhaltend, was den Ticketkauf anging. Banjo und Steel guitar sind nicht unbedingt meins. Daher kaufte ich mir erst sehr kurz entschlossen ein Ticket. Ich war unsicher, wie 2024 ein Waxahatchee Konzert für mich sein wird. Und hätte ich nicht ein günstiges Angebot gefunden, vielleicht wäre ich gar nicht zum Gebäude 9 gefahren. Vor dem Konzert fragte ich mich vor allem diese zwei Dinge: Spielt sie nur Countrysongs? Und wie Country-esk klingt ihr Country eigentlich?
Ein Blick auf die Setlisten der vergangenen Konzerte zeigte mir, dass die ersten Alben null Berücksichtigung finden. Meine erste Frage scheint damit beantwortet. Und richtig, im Gebäude 9 höre ich später leider kein „Catfish“ oder „Coast to coast“. Stattdessen stehen dort ein paar Songs aus ihrer Zusammenarbeit mit der Sängerin Jess Williamson. Als Plains veröffentlichten sie vor zwei Jahren das Album I walked with you a ways, eine Country Platte.

I Walked With You A Ways ist die gemeinsame Vision zweier Songwriterinnen, die zurück in ihre Vergangenheit führt zu zeitlosen, klassischen Country-Songs, die sie als Kinder mitgesungen haben. Die Country-Anleihen hatten sich schon auf Waxahatchees Saint Cloud angedeutet, mit Plains taucht sie nun endgültig in diese Welt ein.

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Aller Fragen und Überlegungen zum Trotz, saß ich am Freitagabend im Zug in Richtung Gebäude 9. 20 Euro brachen meine letzten Zweifel und überdies war ich ein bisschen neugierig und gespannt darauf, ob mich Waxahatchee auch 2024 noch begeistern können. Und wie sie jetzt so klingen. Kurz vor der Abfahrt hatte ich nur noch Zeit, mir einen Song bei YouTube anzuhören. Der gefiel mir ganz gut.

Der Saal ist gut gefüllt, als Anna St. Louis die Bühne betritt. Der Keyboarder aus der Waxahatchee Band begleitet sie die nächste halbe Stunde. Mir kommt es so vor, als ob ich Anna St. Louis schon einmal live gesehen habe, ihre Ansage, dass dies ihr erstes Konzert in Deutschland sei, lässt mich jedoch zweifeln. Die Singer-Songwriterin aus Kansas City spielt ruhige Songs auf ihrer Akustikgitarre. Thematisch passt das ganz gut zu Waxahatchee, ein bisschen gehen die Stücke aber im seichten Gelaber und in der pre-Konzert-Unruhe des Gebäude 9 unter. Auch ich kann mich noch nicht so richtig konzentrieren und behalte keinen Song im Gedächtnis.

Dann Waxahatchee. Mit Kansas City Trucker Cap und Band betritt Katie Crutchfield die Bühne. Der erste Song ist sofort ein Hit. „3 sisters“ vermischt die Disco mit dem Country und bildet einen stimmungsvollen Eingang in das Konzert. Das Gebäude 9, das nun voll ist, ist direkt da. Auch ich denke ‘wow’ und höre damit bis zum Ende des Konzerts nicht mehr auf. Nach dem ersten Gitarrensolo des Gitarristen gibt es erstmals – und nicht zuletzt – Applaus auf offener Bühne. Himmel, bereits nach 5 Minuten haben Waxahatchee alle im Sack. Das hätte ich nicht gedacht und es erinnert mich an bisschen an Konzerte von Big Thief oder The rural Alberta, die nach wenigen Minuten ähnlich stimmungsvoll abgingen. Jetzt ist klar, dass das Konzert nicht schlecht werden kann. Die Stimmung bleibt auf dem hohen Pegel der Anfangsminuten, auch wenn die Sounds etwas ruhiger und countryartiger werden. Doch die Melodien sind toll und mir fällt auf, dass mich das Banjogeklimper gar nicht so doll nervt. Im Gegenteil, mein Lieblingsinstrument fügt sich unaufdringlich in das Gesamtbild ein. Genauso wie die Pedal-Steel Gitarre, die nur ab und zu stark und öfter weniger stark durchklingt. Nur der Harmoniegesang ist nahezu allgegenwärtig. Als Partner dienen Katie Crutchfield hier entweder die Bassistin oder der Gitarrist. Und apropos der Gitarrist. Der Mann mit dem Schnäuzer am linken Bühnenrand fällt mir auch durch seine eigenwilligen Moves und ein extrovertiertes Gitarrenspiel auf. Ihm kann ich minutenlang zusehen.
Die Zeit rauscht, die 80 Konzertminuten sind in Sekundenschnelle vorbei. Die letzten Alben und die Plains Platte bestimmen die Setlist. Obwohl ich nichts kenne, fremdle ich nicht mit den Songs. Sie sind einfach zu gut, Waxahatchee sind einfach zu gut, um nicht begeistert zu sein. Ich glaube, Katie Crutchfield ist auf einem Allzeithoch angekommen, Tigers blood ist ganz klar ihr bisheriges Meisterwerk. Gehe ich nach meinem Liveeindruck, dann würde ich sagen, es wird schwer, mit der nächsten Platte gleich gut nachzulegen. Aber schauen wir.
Ich finde es sehr beeindruckend, welche Entwicklung Katie Crutchfield genommen hat. Waxahatchee 2015 – da sah ich sie zweimal live – steht in keinem kein Vergleich zu Waxahatchee 2024. Das sind zwei komplette Welten.
Das Konzert war gut, eines der besten in diesem Jahr. Ich hatte nicht viel erwartet und daher war ich nachher noch intensiver beeindruckt und begeistert von diesem Abend. Country oder Alternative Country ist echt hörbar.

Über das Hamburger Konzert von Waxahatchee titelt das Hamburger Abendblatt:

So gut wird Taylor Swift nie werden.

Mag sein. Kann ich heute nicht sagen, ich werde das am Mittwoch überprüfen. Das ist dann aber eine andere, neue Geschichte.

Setlist:
01: 3 Sisters
02: Evil spawn
03: Ice cold
04: Can’t do much
05: Problem with it
06: Hell
07: Right back to it
08: Burns out at midnight
09: Bored
10: Lone Star Lake
11: Crimes of the heart
12: Oxbow
13: Line of sight
14: Witches
15: Crowbar
16: Ruby Falls
17: The wolves
18: Hurricane
19: Lilacs
20: Tigers blood
Zugabe:
21: Much ado about nothing
22: 365
23: Fire

Kontextkonzerte:
Waxahatchee – Köln, 08.06.2015 / Blue Shell
Waxahatchee – Brüssel, 31.01.2015 / Botanique

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