Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: –
Der Typ im Anzug fasziniert mich, seitdem ich ihn das erste Mal erblickt hatte. Damals, ganz oben in der TivoliVredenburg in Utrecht. Er und seine Band spielten im kleinen Saal ein Konzert, das so nachhaltig wuchtig war, dass ich diese Band unbedingt wiedersehen musste.
Der Typ ist erinnert mich an Mark E. Smith. Latent genervt, nervös und leicht reizbar schrie er seine Texte in das Mikrofon, dass die Band Mühe hatte, dem in irgendeiner Art und Weise zu folgen. Protomartyr, von denen ich bis dato noch nichts gehört hatte, lieferten einen Postpunk, der in die Kategorie Besonders einzuordnen war.
Der Typ im Anzug ist Joe Casey, Sänger der Band und er ist einer der coolsten Socken, die ich auf einer Bühne gesehen habe.
Das ist schon einige Jahre her; letztes Jahr dann veröffentlichten Protomartyr ihr viertes Album Relatives in Descent. Es ist ein Riesenalbum! Wer mir nicht glauben mag, dem empfehle ich einfach, mal kurz reinzuhören in „A private Understanding“ oder in „My Children“, um sich überzeugen zu lassen.
Auch auf ihrem vierten Album Relatives in Descent sind Protomartyr der Link zwischen Protopunk und Postpunk, aber gerade nie Punk. Die industriell harten Rhythmen der Detroiter Szene der mittleren Siebziger liegen neben den Kreissägengitarren der britischen Achtziger, hochenergetisch, hochdramatisch, beinahe hymnisch, durch den Gesang zwischen Flehen und Bellen immer eng am Hörer. Es ist ungemütlich auf diesem Album, das ist gut. (https://www.musikexpress.de)
Es ist warm. Der Gewitterregen ist gerade vorbei. Schwülwarm drückt der Abend ins Gebäude 9. Der Betonboden des Konzertsaals ist nass, die Luft zum Schneiden dick. Vielleicht war es doch kein schlechter plan, erst spät hier zu sein, denke ich so, nachdem ich binnen weniger Minuten klebrig schwitzige Finger habe.
Protomartyr kommen aus einer Wand von Nebelschwaden auf die Bühne. Das Licht ist diffus, die beiden Kölsch Flaschen in der linken und rechten Sakkotasche von Joe Casey sind von mir so gerade erkennbar. Der gefüllte Bierbecher in seiner Hand ist nach dem ersten Song geleert. Beim Öffnen der ersten Kölsch Flasche schwappt ihm das Bier über die Hand. Joe Casey hat jetzt bestimmt klebrigere Hände als ich.
Getrieben tapert er über die Bühne, das Schlagzeug trommelt nadelstichartig in schier unendlichen Rhythmusschleifen. Die Gitarren legen einen Wall of Sound darüber, der die Luft noch dicker erscheinen lässt. Melodien sind da, aber sie werden anfangs regelrecht untergebuttert, erst später im Konzert, als es ruhiger wird – also ruhiger in Anführungsstrichen – lassen Protomartyr ihnen ein bisschen mehr Platz. Song an Song reihen die Musiker aneinander, erst nach einigen Konzertminuten ist Zeit für die erste Klatschpause. Joe Casey nuschelt etwas in sein Mikrofon. ‘Wir sind Protomartyr aus Detroit, Michigan …. wir waren zu Beginn unserer Karriere schon Mal hier …. es ist gut, jetzt auch wieder hier zu sein …‘ das verstehe ich so halbwegs, der Rest verliert sich.
Dann beginnt das Schlagzeug wieder, die Gitarren setzen ein und Caseys Stimme dröhnt fordernd und monoton predigend aus den Boxen. Auch an diesem Abend erinnert er mich auf gewisse Art und Weise an Mark E. Smith. Und ich frage mich, ob Sun Kil Moon so klingen würden, wenn sie laut wären. Ähnlich intensiv ist der Sprechgesang, nur die Instrumente sind lauter als bei den Anderen Amis.
Nach 35 Minuten ist die erste Flasche Kölsch geleert. Joe Casey spuckt kurz auf den Boden und stellt die Flasche neben den Mikrofonständer; den Bierbecher schnippte er noch auf die Bühne.
Der immer noch anhaltend dröhnende Lärm ruft bei mir Kopfschmerzen hervor, oder ist es die stickige Luft, die mir zu schaffen macht? Ich verlasse den Saal, frische Luft wird helfen. ‚Auf eine Art schöne Kopfschmerzen‘, denke ich, als ich draußen ein wenig rumlungere. Die zwar nicht so ganz frische Luft tut gut. Ich höre noch ein paar Songs durch die vibrierende Außenwand des Gebäudes, bevor ich mich auf den Weg mache. Die Bahn ruft, denn dieses Konzert fing leider einiges später an als im Zeitplan ausgewiesen.
Wow, was für ein Auftritt! Protomartyr haben stumpf alles runtergeschrubbt. Großartig!
Kontextkonzerte:
Protomartyr – Primavera Sound Festival Barcelona, 02.06.2016