Da steht sie nun in ihrem kurzen glitzernden Silberkleid. Die Arme hinter ihrem zierlichen Körpers verschränkt, den Rücken durchgedrückt. Das Mikrofon auf Nasenhöhe. So steht Hope Sandoval vor ihrer Begleitband, den Warm Inventions.
Oder nennen sie sich doch Dirt Blue Gene? Oder nennen sie sich nur solo Dirt Blue Gene? Eins ist sicher, die vier Musiker aus Hope Sandovals Begleitband haben den Abend eröffnet. Staubtrockener, ermüdender und ideenloser Folk rauschte an unsere Ohren. Zeitweise klang es, als ob jemand The Verve’s „Urban Hymnes“ auf 15 Umdrehungen abspielt. Nichts für mich, so weit geht meine Folkliebe dann doch nicht.
So kam es mir ganz gelegen, dass das Gloria sich teilbestuhlt präsentierte. Teilbestuhlt heißt, dass links und rechts jeweils drei Sitzreihen aufgebaut waren und im hinteren Bereich, auf dem Podest vor der bar, nochmals sechs oder sieben Reihen. Der Bereich vor der Bühne blieb unbestuhlt. Und vorerst leer.
Konzerte unter der Woche, und erst Recht, wenn sie um 21 Uhr angesetzt sind, bringen eine gewisse Grundmüdigkeit beim Publikum mit sich. Der Arbeitstag war anstrengend, das Wochenende schon zu lange her um positiv nachzuwirken, und so freute man sich auf die willkommene Sitzgelegenheit. Demnach waren die Stühle auch schnell besetzt, nur vier oder fünf tapfere Menschen standen direkt am Bühnenrand, auch schon um zwanzig nach acht.
Da ich früh dran war, ergab sich ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn. Er wunderte sich darüber, dass einige Leute vor der Bühne stehen, „es sei doch ein bestuhltes Konzert.“ Der Musikfreund war extra für Hope Sandoval aus Wien angereist, und verband den Konzertbesuch mit einer kurzen Köln-Städtereise. Das gefällt mir, habe ich dies doch auch schon des öfteren geschafft und bestätigte mich in meiner Meinung, dass es gar nicht so ungewöhnlich ist, Musikern oder Bands in fremde Städte nachzureisen. Nun ja, so unterhielten wir uns ein bisschen über Kaffeehäuser, Wien, Malerei, Soap&Skin, Christina Stürmer und natürlich Hope Sandoval. Logischerweise war er großer Fan, schon seit Mazzy Star Zeiten, und schwärmte formvollendet von der tollen Künstlerin. Ich musste ihm eingestehen, dass ich das neue Album noch gar nicht kenne und den 2001er Vorgänger „Bavarian Fruit Bread“ längere Zeit nicht mehr gehört habe, aber mir diesen Konzertabend passend für die Herbstzeit vorstellen konnte und so beschlossen hatte, ins Gloria zu fahren. Ich fand das eine gute Idee.
Doch leider hatten diese nicht so viele. Das Gloria war während des 40 minütigen Vorgeplänkels der „Dirt Blue Gene“ Band gerade mal zu einem Drittel gefüllt. Zum Hope Sandoval and the Warm Inventions Auftritt war es vielleicht halb voll.
Nachdem mit „Among my swan“ 1996 das letzte Mazzy Star Album veröffentlicht wurde, erschien 2001 die erste Hope Sandoval „solo“ Veröffentlichung. „Bavarian Fruit Bread“ entdeckte ich zufällig übers Radio. Klaus Fiehe, der alte „WDR- John Peel“ spielte eines Nachts „Suzanne“, und drei Tage später hatte ich die CD gekauft. Mir gefielen schon die melancholischen, molligen Folkpopsongs der letzten beiden Mazzy Star Alben sehr gut, und so waren die Warm Inventions der logische Fortgang der Dinge.
„Bavarian Fruit Bread“ ist ein schönes, zeitloses Album. Das bemerkte ich dieser Tage, als ich es erneut heraus kramte und durchhörte.
Es gibt ja Alben, die stehen und wirken für eine bestimmte Zeitspanne. Jahre später sind sie eigentlich unhörbar, wirken unpassend und veraltet. Generell trifft dies auf Hope Sandovals Musik nicht zu. Ihr, sagt man Slowfolk?, ist so klassisch angelegt, dass er auch Jahre nach der Veröffentlichung jung und frisch und neu wirkt. Ihre sanfte Stimme, die schleichenden Gitarren, das unaufdringliche Schlagzeug, der dezente Einsatz von Xylophon, Metallophon und Mundharmonika wirken nie unmodern, und so haben Mazzy Star und Hope Sandoval Alben auch 20 Jahre später noch keine Alterspatina angesetzt.
Doch zurück ins Gloria.
Schon am Eingang wurden wir darauf hingewiesen, bitte keine Fotos vom Auftritt zu machen. Die Künstlerin sei „sehr schüchtern“ und „wünscht keine Fotoaufnahmen währen des Sets“.
Auf einem Zettel hinter der Kasse steht:
„Absolutes Fotografierverbot. Zuwiderhandeln kann zum sofortigen Abbruch des Konzerts führen“
Den Wunsch respektiere ich natürlich.

Die Bühne liegt im Dunkeln. Amateurfotografieren wäre überdies unmöglich gewesen. Blaue Scheinwerfer von der Bühnendecke werfen ein diffuses Licht, die Gesichter der Musiker sind kaum auszumachen. Ein Projektor wirft Filme an die Rückwand. Den ganzen Auftritt lang. Manchmal dreht sich Hope Sandoval um. Es sieht dann so aus, als ob sie sich orientiert, ob der Film zum Song schon vorüber ist, ob sie mit dem nächsten Song warten muss, oder ob sie ihren Kollegen das Ende des Stückes ankündigen kann.
Der nette Nebeneffekt des Projektors ist der, dass er als zusätzliche Lichtquelle fungiert. In hellen Filmsequenzen strahlt er Hope Sandoval geradezu an.
Die Atmosphäre ist ruhig, andächtig. Man hört den Projektor im Hintergrund summen und ab und an einen Stiefel auf dem Boden klacken. Kein murren darüber, dass die Umbaupause über eine halbe Stunde dauert, obwohl nichts umzubauen war. Das durchschnittlich Enddreißiger Publikum ist geduldig und abgeklärt genug, die Situation richtig einzuschätzen. Keiner hat es eilig, so scheint es. Weder Musiker noch Zuschauer. „Ach, gehen wir noch in die Bar, was trinken oder vor die Tür, eine Zigarette rauchen.“ Auf fünf Minuten kommt es niemandem an.

„Charlotte“ läuft nach einer halben Stunde und ist der erste zügige Höhepunkt. Ab jetzt bin ich gefangen von den unspektakulären Filmen und der Sanftheit der Warm Inventions. Es macht mir Spaß, hier zu sitzen und den Musikern zuzuhören. Nichts lenkt mich ab, der Moment ist perfekt. „Suzanne“ und das blaue Lied, weil die Videoinstallationen in unterschiedlichsten Blautönen gehalten sind nenn‘ ich es mal so, offiziell heißt es „For the rest of your live“, beenden das reguläre Set nach einer guten Stunde.
Mit „Satellite“ und “Feeling of Gaze“ im Zugabenbereich, untermalt mit den Videosequenzen der tanzenden Ballerina aus dem Eröffnungssong „Courtin Blues“, schließt sich der Kreis. Mehr braucht es nicht.
Kurz bevor sie geht, sagt Hope Sandoval doch noch zwei Worte: „Thank you“. Es ist der einzige Satz, den sie uns diesen Abend widmet. Dann ist sie weg. Schade!
Es war ein feiner Abend.

Kontextkonzerte:
…drei Tage später in Berlin bei Lie in the sound

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