Ort: Kammerspiele, Bochum
Vorband: –
‘Wo geht’s denn hier zum Yoga? Sie suchen doch auch den Eingang.‘ entgegnete mir eine ältere Dame. Ich verneinte, ich suche nicht den Yogakurs sondern den Eingang ins Schauspielhaus, bzw. einen offenen Eingang zum Schauspielhaus. Der nicht zu übersehende Haupteingang war nämlich auch um 19 Uhr noch verschlossen. Guter Rat war teuer, letztendlich bekam ich ihn und den Hinweis, dass Julia Holter nicht im Schauspielhaus, sondern im benachbarten Kammerspiele auftritt und dieser kleinere Konzertsaal über einen Seitengang zu erreichen ist. Die Leuchtreklame Kammerspiele über einer Bar/Restaurant interpretierte ich bei meinen ersten Umrundungen des Schauspielhauses als Werbeleuchte für das Restaurant. Und überhaupt, wer kann denn ahnen, dass es neben dem Schauspielhaussaal noch einen weiteren, kleineren Konzertsaal gibt.
In den Kammerspielen war ich bisher noch nicht. Das Schauspielhaus besuchte ich vor vielen Jahren, Mogwai spielten dort, nachdem zuvor der Film Zidane gezeigt wurde. Ich habe das Schauspielaus in guter Erinnerung. Die Kammerspiele sind viel kleiner, der Saal wirkt wie ein typischer Konzertsaal in Belgien oder Holland. Gute Akustik, klein, fein, aufgeräumt. Konzerte in solchen Räumlichkeiten machen per se Spaß, auch wenn die Sitzpolster abgesessen und zu weich sind.
Sie spielen bestimmt nur Sachen vom neuen Album. Thematisch passen die älteren Singersongwriter Sachen der letzten Alben da nicht rein. Und überhaupt, genug Material hätte Aviary als Doppel CD mit anderthalb Stunden Spielzeit auch zu bieten, um das Konzert alleine zu füllen.
So pre-Konzertgespräche sind manchmal sehr informativ, und immer unterhaltsam. Dass Aviary eine Doppel-CD ist, erfuhr ich so erst Minuten vor dem Konzert. Schlecht vorbereitet wie immer kannte ich nur das Video zur Single und las, dass das neue Album Blade Runner-eske Soundsequenzen mit sich bringe.
Dabei hatte ich mich schon ein bisschen auf die Hits von Have you in my wilderness gefreut. Soll das jetzt etwa in Frage gestellt sein, dass ich sie heute nicht höre?
Natürlich wäre es für mich kein vertaner Konzertabend, wenn er ohne meine Julia Holter Lieblingslieder ablaufen würde, ich kenne grundsätzlich keine vertanen Konzertabende. Vielleicht wäre ich ein bisschen enttäuscht und hätte auf dem Rückweg Have you in my wilderness etwas lauter gehört. Quatsch mit Soße, ich wäre enttäuscht, denn just an diesem Abend habe ich irgendwie sehr große Lust darauf, „Feel you“ und all die anderen live Sachen zu hören.
Die Kammerspiele sind nicht voll. Bereits am Sonntag sah ich auf der Saalplatzbuchung, dass allerhöchstens die ersten Reihen voll sein würden. Aber selbst in ihnen sah ich freie Sitzplätze. Aufatmen.
Bereits als dritten Song spielt die sechsköpfige Band (neben Julia Holter stehen Corey Fogel (Schlagzeug), Dina Maccabee an der Violine, Sarah Belle Reid (Trompete), Tashi Wada (Synthesizer und anderes) sowie Bassist Andrew Jones) etwas mir sehr Bekanntes: das tolle „Silhouette“ lässt mich erstmals breiter lächeln. Ich muss nicht erwähnen, dass Have you in my wilderness ein sehr gutes Album ist, von dem sie später noch „Feel you“ und „Sea calls me home“ spielen. Also von wegen keine alten Sachen! Die übrige Setlist gehört dann aber Aviary, über das Julia Holter sowas sagt wie
‘die Kakophonie des Verstandes in einer schmelzenden Welt‘.
Das klingt kompliziert und verwirrend. Ganz so verwirrend ist der Konzertabend nicht. Mit Kontrabass, Violine, Trompete, Glockenspiel, Basstrompete bilden klassische Instrumente das Lineup, die die Songs von Aviary charmant rüberkommen lassen.
Der Mix von alt und neu, also mit Songs von Have you in my wilderness und Aviary, ist gut zusammengestellt und die zwei Welten höre ich nicht sonderlich betont heraus. Einzig am Bühnenlicht merke ich die unterschiedliche Herkunft. Songs des neuen Albums werden mit blauem Bodenlicht unterfüttert und weißes Licht strahlt aus wenigen Deckenscheinwerfern; die alten Songs werden eher in rötlich, gelber Bühnenausleuchtung durch die Deckenscheinwerfer präsentiert.
Die Band ist super. Ruhig und unaufgeregt spielen alle Musiker sauber ihren Part. Einzig Julia Holter wirkt aufgekratzt, vielleicht ein bisschen nervös. Sie kichert oft und bewegt sich hinter ihrem Keyboard unsicher. Das sei erst der Anfang der Tour, da sei alles noch nicht routiniert und man selbst noch nicht wieder bühnenvertraut, erzählt sie gegen Ende des Konzertes. Das ist die Erklärung. Ich halte fest: Musiker sind auch nur Menschen. Gut zu wissen.
Zwischen den Songs ist es still. In der Ruhe des Saals höre ich ganz klar das Klacken der Schalter, das Treten der Pedalen und das justieren der Drehregler. Nicht nur das fand ich an diesem Abend faszinierend schön.
Setlist:
01: Turn the light on
02: Whether
03: Silhouette
04: Voce Simul
05: Chaitius
06: Feel you
07: Underneath the Moon
08: In Gardens‘ muteness
09: Les Jeux to you
10: Colligere
11: I shall love 1
12: Words I heard
13: Sea calls me home
14: I shall love 2
Zugabe:
15: Why sad song
Kontextkonzerte:
Julia Holter – Köln, 07.11.2013 / Gebäude 9
Julia Holter – Primavera Sound Festival Barcelona, 30.05.2014
Julia Holter – Le Guess Who? Festival Utrecht, 19.11.2015