Ort: Konzerthaus, Dortmund
Vorband: Alice Boman

Ane Brun

Es ist derzeit ein kleines Gräuel, aus dem Kölner Raum ins nördliche Ruhrgebiet zu fahren. Die Seuchen A1 leidet unter einer maroden Brückensituation, die Ausweichroute rechts an Köln vorbei (rechts, wenn man auf die Karte guckt), ist entsprechend stark frequentiert. Einplanen musste ich also etwas mehr als die übliche Fahrzeit, was mir die Gelegenheit einbrachte, nochmals die aktuelle CD Songs 2003-2013 der Norwegerin Ane Brun in aller Ruhe zu hören. Nirgends kann ich besser CDs hören als beim Autofahren. Das Angenehme mit dem Lästigen verbinden.
„True Colors“, die schöne Ane Brun Version des Cyndi Lauper Schmachtsongs wurde dabei mein Soundtrack zwischen Remscheid und Wuppertal. Ane Brun verändert ihn nur in Kleinigkeiten, viel gibt es an diesem perfekten Aufmunterungs- und Liebeslied eh nicht zu verbessern. Aber ihre Stimme macht „True Colos“ nochmals zu einem schönen, sehr besonderen Erlebnis. Ich hatte diesen Song lange nicht gehört, aber wie ich das sehr oft bei Musik aus meinen Jugendtagen überraschend feststellen muss, die Texteilen sitzen immer noch. Ich nahm mir den Moment und ertappte mich dabei, dass ich etwas genauer hinhörte. „True Colors“ ist ein tolles Lied, und ich hoffte sehr, dass Ane Brun es auch in einigen Stunden spielen würde.
Dass sie ein Konzert ohne ein Cover beendet, fand ich eher unwahrscheinlich. Es gehört irgendwie zum Liverepertoire der Norwegerin, fremde Songs vorzutragen. Aber an diesem Abend im Dortmunder Konzerthaus sollte sie es leider nicht spielen. Und im Nachhinein bin ich darüber gar nicht betrübt, denn Ane Brun entschädigte mit zwei anderen – meiner Meinung nach auch perfekten – Coversongs. Neben ihrer einzigen Interpretation eines Songs einer deutschen Band, „Big in Japan“ von Alphaville, war es vor allem ihre Arcade Fire Version von „Neighborhood #1“, die die gesamte Fahrt mehr als entlohnte. Wie ein so komplexes Musikstück nur auf einer Akustikgitarre vorgetragen nichts an Charme und Rasanz verliert, beschreiben kann ich das kaum. „Neighborhood #1“ war für mich der beste Song des Abends, vielleicht sogar der beste Livesong in meinem bisherigen Konzertjahr.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich schon mal die Absicht, Ane Brun live zu sehen. Für ein Konzertwochenende in Berlin stand neben dem Besuch der Thermals auch ihr sonntägliches Kirchenkonzert in der Passionskirche in Kreuzberg auf dem Programm. Leider waren die Umstände dann an diesem Sonntag so, dass ich das Konzert sausen lassen musste. Das war damals sehr ärgerlich, denn just ein paar Wochen zuvor entdeckte ich ihre Platte Songs 2003-2013 endgültig für mich. Songs 2003-2013 ist, wie man vermuten könnte, eine schöne Zusammenstellung von eigenen Songs und Covern, die teilweise in Live- und Studiomitschnitten vorliegen und die die unterschiedlichen Schaffensphasen der Norwegerin dokumentiert. Auch die bereits erwähnten „True Colors“, „Big in Japan“ und „Neighborhood #1“ sind auf dem Album abgelegt.

Als ihr Solo & Akustik Konzert im Rahmen des Pop Abos des Dortmunder Konzerthauses angekündigt wurde, zögerte ich nicht lang. Noch einmal wollte ich mir die Möglichkeit nicht entgehen lassen. Also: Ticket gekauft und hingefahren.
Zeitig war ich in Dortmund und musste erneut feststellen, wie sehr sich doch die Brückstraße in den letzten Jahren, ach was, Jahrzehnten, gewandelt hat. Gentrifizierung nennt man das neudeutsch. Da wo früher die Subkultur zuhause war, ist die bürgerliche Kultur eingezogen. Das Konzerthaus befindet sich just an der Ecke, an der früher ein Second Hand Modeladen stand, die Brückstrassenpassage mit dem damals von uns bevorzugten Modeladen Konkret (oder Korrekt? – ich weiß es nicht mehr genau) wurde schon vor längerer Zeit modernisiert. Was mir jedoch immer wieder ein Lächeln abringt ist, dass der kleine Baguetteladen gegenüber dieser Passage immer noch existiert. Hier gab es die besten Baguettes der Stadt und zum samstäglichen Einkaufsritual gehörte es einfach dazu, hier den Nachmittags-Snack zu kaufen. Ach ja, ich komm immer wieder gerne hierher, es war und ist ein schöner Ort.

Bevor Ane Brun die Bühne betritt, ist für vier Lieder oder 20 Minuten eine andere SingerSongwriterin zu sehen und zu hören. Alice Boman passt perfekt. Wird später Ane Brun abwechselnd mit Gitarren oder am Keyboard zu sehen sein, steht die Schwedin nur am Keyboard und singt Lieder, die Frauen aus Skandinavien eben so singen, wenn sie kein Eurodiscopop machen.
Skandinavien hat seine eigene, einzigartige Singer/Songwriterszene, die eine schier unendliche Zahl an Musikerinnen hervorbringt. Ihr kurzer Auftritt ist eine schöne Einstimmung auf die zwanzig Minuten später auftretende Kollegin, die sie später am Abend bei Songs (unter anderem bei „Gillian“) unterstützen wird und einen zweiten Kurzauftritt hat.

„Do you remember“, es beginnt mit dem Song von ihrer 2011er Scheibe It all starts with one. Ihre glitzernden Ohrringe wackeln im Takt und versprühen ein wenig Olivia Newton-John Charme. Mein erster Eindruck nach drei, vier Stücken: das Konzert wird nicht schwermütig wie erwartet, die Songs sind – trotz einfacher Instrumentalisierung – federleicht.
Vorher hatte ich mir Gedanken gemacht, ob es nicht schnell eintönig werden wird; ein Solokonzert nur mit der Akustikgitarre als Begleitung, das klang nicht nach Abwechslung. Ich bin nicht gerade der große Singer-Songwriter Freund, da braucht es folglich schon einiges, um mich mitzuziehen. Die ersten Minuten jedoch, dass Ane Brun mich durchaus mitreißen konnte. Die Variationen in den Brun’schen Songs hauten alles raus. Mal klingt ihre Gitarre sanft in kleinen Flamencotönen, mal hat sie den Blues, mal glasklaren Pop. Eintönigkeit kommt trotz des einen Instrumentes nicht auf.
Das Publikum im Konzerthaus lauscht Konzerthaus-like.

„You are very quiet, in a good way. You are so quiet, I can hear you listening.“

Ane Brun hat Spaß, und wir Zuhörer sind den ruhigen Songs angemessen aufmerksam. An diesem Abend und generell mag ich die Atmosphäre im Konzerthaus. Zwar hat man nicht von jedem Sitz aus gute Sichtbedingungen, gerade bei den Parkettplätzen hängt es sehr von der Platznummer ab und variiert zwischen gut und unmöglich, aber das ganze Drumherum ist und war bisher jedes Mal sehr angenehm.
Ane Brun versprach gleich zu Beginn ihres Auftritts ein Konzert voller Songs aus allen Phasen ihres musikalischen Schaffens. Gerade so wie auf ihrem aktuellen Album. So fehlte weder der in Norwegisch gesungene Song „Du gråter så store tåra“ über ihren Heimatort an der Atlantikküste noch die obligatorischen Coversongs.
Ane BrunAlphaville‘s „Big in Japan“ war traumhaft. Der als einzige Bühnendekoration ausgehangene dreilagige Stoffvorhang war unten in unterschiedlich ausfransenden Fetzen abgeschnitten, so dass bei entsprechender Beleuchtung und von meiner Sitzposition aus der Anschein einer Hochhaussilhouette entstand. Bei „Big in Japan“ sorgten nun Lichteffekte dafür, dass der Himmel (also der eigentliche Vorhang) über den anskizzierten Hochhäusern wie ein Himmel voller Sternschnuppen aufleuchtete. Das sah toll aus und passte zur disco-losen Variante des 1980er Jahre Welthits.

Musikalisch traumhafter aber war die zweite Coverversion und das letzte Lied des regulären Sets: „Neighborhood #1“ von Arcade Fire. Sagenhaft, wie nur mit der Gitarre in minimalistischster Art und Weise Ane Brun dem Song nahezu das gleiche Leben einhauchte wie die gesamte Arcade Fire Kapelle. Sie war nicht da, aber ich hörte sie förmlich, wenn ich meine Augen schloss. Ich glaube, daran Erkennt man daran einen guten Song, wenn er auch ohne viel Brimborium funktioniert? Ja.

Zur Zugabe wurde es dann für einige Minuten ungewöhnlich. Vom Band spielt Linnea Olsen Cello und Ane Brun singt Beyoncé Knowles „Halo“. Ein kleines Disco-Sommer-Pop Intermezzo, das an dieser Stelle im Konzert genau richtig platziert war und kurz für lautere, andere Momente sorgte. Irgendwie scheint Ane Brun ein gutes Händchen bei der Wahl ihrer Coversongs zu haben und sie hat die Klasse, diese auf ihre eigen wunderbare und andere Art und Weise zu interpretieren, das ich nichts schlimmes oder schlechtes daran finden kann.

Mit „Undertow“ geht das Konzert klassisch nach guten und unterhaltsamen 90 Minuten zu Ende. ‘So klingt Dortmund‘ steht auf einer Stehle vor dem Eingang des Konzerthauses. An diesem Abend war der Klang wunderbar!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Gudrun

    Dortmund hört sich auch für mich immer noch heimatlich an, obwohl ich nur 3,5 Jahre dort gearbeitet und fast nie übernachtet habe… Danke für den schönen Bericht!
    (bald kommen MONO wieder nach Karlsruhe..)

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