Ort: Artheater, Köln
Vorband: Nicolai Dunger

Mercury Rev - Köln, 21.03.2025

‘Ich dachte Bob Ross ist verstorben’, so eine Kurznachricht meines ostbelgischen Konzertspezis nach dem Mercury Rev Konzert tags darauf in Lüttich. Ich hatte ihm noch am Freitagabend, direkt nach meinem Konzertbesuch im Artheater, das Mercury Rev Konzert in Lüttich bzw. Seraing sehr empfohlen. Und scheinbar hatte er die gleiche Assoziation wie ich, als er den Mercury Rev Schlagzeuger Joe Magistro sah. Mit seinem grauen Bart, dem grauen Lockenkopf und der Brille hat er tatsächlich eine kleine Ähnlichkeit mit dem Fernsehmaler Bob Ross. Joe Magistro sowie Marion Genser (Harmonium, Keyboard) und Jesse Chandler (Saxophon, Keyboard) komplettieren die beiden Mercury Rev Urgesteine Jonathan Donahue und Grasshopper (Sean Mackowiak) auf der aktuellen Tour durch Europa und England. Die Bandbesetzung wechselte in den 35 Jahren Bandgeschichte sehr regelmäßig und häufig, so dass nur Jonathan Donahue und Grasshopper an jedem einzelnen Song beteiligt waren, den Mercury Rev auf dieser Tour spielen. (Coversongs ausgenommen).

In den 1990er Jahren sind Mercury Rev völlig an mir vorbeigegangen. Erst mit ihrem Hitalbum Deserter’s Songs wurde ich auf die Band aufmerksam. Was wenig verwundert, denn die vier Singleauskopplungen „Delta sun bottleneck stomp“, „Opus 40“, „Holes“ und „Goddess on a Hiway“ sind alle Hits, die man nicht nicht wahrnehmen konnte. Damals sah ich sie auch erstmals live, 1995 mit Pavement im E-Werk. Doch das war es dann auch schon irgendwie. Bereits der Nachfolger All is dream fiel bei mir aus, genau wie alle späteren Mercury Rev Platten. Als sie 2010 das Album Deserter’s Songs beim Primavera Sound Festival spielten, kaufte ich mir anschließend die Deluxe Ausgabe. Bis dahin hatte ich Deserter’s Songs nur auf Kassette. Ich kopierte mir allerdings unbemerkt die zweite CD Deserted Songs auf meinen Jogging-IPod und war mehr als einmal verwundert über die Songzusammenstellung und den Sound. ‘Mh, live klang das doch ganz anders.’ Erst Monate später fiel mir mein Versehen auf. Soviel zu meinem Mercury Rev Fantum.
Ein paar Jahre später sah ich das Mercury Rev Kernteam beim leider nicht mehr existierenden Little Waves Festival in Genk. Damals spielten Jonathan Donahue und Grasshopper als Duo halbakustisch ein paar Songs und erzählten viel über ihre Konnektion zu den Flaming Lips. Dieses Konzert hat mich sehr beeindruckt und ich änderte meine Sichtweise auf die Band. einen weiteren Konzertbesuch. Als im letzten Jahr endlich mal wieder Deutschlandtermine in den Umlauf kamen, zögerte ich nicht, mir ein Ticket zu besorgen.

Ich kann nicht genau einschätzen, wie voll es im Artheater sein wird. Nur soviel ist klar, ausverkauft ist es nicht. Daher bin ich nicht superpünktlich vor Ort, sondern laufe erst während des Vorprogramms in den Saal. Auf der Bühne sitzt Nicolai Dunger, ein Singersongwriter aus Schweden. Anfang der 2000er Jahre hatte er seine große Zeit, seine Alben Tranquil Isolation, A dress book und Soul rush sorgten für einige Aufmerksamkeit im europäischen Singersongwriter/ Folk Lager. Wer dem Lager nicht angehört, könnte dennoch einen Nicolai Dunger Song kennen. „Something in the way“ lief vor Jahren in einem Volvo Werbespot.
Ich platze also in sein Set und denke, der Typ kommt mir bekannt vor. Nach dem Konzert merke ich aber, dass ich mich geirrt habe. Ich habe Nicolai Dunger noch nie zuvor gesehen. Er spielt noch eine gute halbe Stunde und covert dabei mehrmals John Martyn Songs. Das klingt alles ganz interessant und vielleicht sollte ich mir das ein oder andere alte Album von Nicolai Dunger besorgen.

Im Anschluss wird es voller auf der kleinen Bühne des Artheaters. Mercury Rev kommen zu fünft, das Schlagzeug am linken Bühnenrand aufgebaut, die beiden Keyboards im hinteren Teil. Der Platz in der Mitte (inklusive Monitorbox und umgedrehtem Bierkasten zum Fuß drauf abstellen) gehört Jonathan Donahue, neben ihm kann sich Grasshopper mit der Gitarre austoben. Mehr Platz ist nicht. Und wenn Jonathan Donahue wie ein Maestro sein Orchester mit weit ausgebreiteten Armen dirigiert, muss er aufpassen, nicht aus Versehen jemanden dabei zu treffen. Ja, die großen Gesten hat er immer noch.
Mit Vogelgezwitscher vom Band und „A funny bird“ starten Mercury Rev in den Abend, mit dem fulminanten Trio aus „Holes“, „Opus 40“ und „The dark is rising“ beenden sie ihn nach knapp 90 Minuten wieder. Dazwischen liegen ein Vangelis Cover (“Tears in rain”) und Songs aus der kompletten Mercury Rev Ära. Interessanterweise spielen sie vom aktuellen Album nur einen Song (“Ancient love”). Was für mich aber viel überraschender ist, dass das Konzert zu einer einzigen Rockoper verschmilzt. Die 12 Songs auf der Setlist sind nämlich nicht nur Songs, sie sind Teil einer einzigen Aufführung, die keine (oder maximal 2) Ruhephasen hat und wie aus einem Guss daherkommt. Es macht unheimlich viel Spaß, dem Ganzen zuzuhören. Damit habe ich nicht gerechnet, das trifft mich völlig auf dem falschen Fuß. Sehr schnell bin ich aber dabei und sehr schnell ist mir klar, dass dieses Konzert für mich ein besonderes Konzert bleiben wird. Es ist Schönheit des Augenblicks, die mich fasziniert. Und das mehr als die opulenten Sounds, das gitarrenlastige Ausfaden einzelner Songs, die Keyboardklangteppiche, das sanfte Saxophon oder das wirbelnde Schlagzeug. Die einzelnen Songs sind mir gar nicht so wichtig. Klar ist es toll, „Goddess on a Hiway“ nochmal live zu hören – auch wenn sie es an diesem Abend schnell herunterreißen und dem Stück jegliche Größe nehmen – oder „Holes“ zum Ende des Konzerts hin nochmal leise mitzusingen. Aber es ist für mich nicht das entscheidende an diesem Abend. Bedeutender sind mir die Harmonien, die Übergänge und das nahezu perfekte Zusammenpassen der einzelnen Songs. Das Konzert ist musikalisch verdammt gut arrangiert. Dazu die gute Stimmung im Saal, die Spielfreude der Band und die Aufmerksamkeit im Publikum. All das zusammen machte den Abend rund. Nichts nervte, nichts störte. Und wenn ich „Goddess on a Hiway“ als schwächsten Song des Abends benenne, dann lief im Artheater doch mehr als einiges richtig, denke ich.
Völlig benebelt durch den tollen Abend, wehre ich auf dem Rückweg alle Anfragen für einen zweiten Mercury Rev Konzertbesuch am nächsten Tag in Lüttich ab. Das hier war so schön, das kann nicht besser werden. Ich möchte mir den Eindruck des Abends nicht durch ein schwächeres zweites Konzert verwässern. Auch auf die Gefahr hin, ein noch besseres dadurch zu verpassen.

Setlist:
01: The funny bird
02: Tonite it shows
03: Vermillion
04: Dream of a young girl as a flower
05: Runaway raindrop
06: Tears in rain
(Vangelis cover)
07: Goddess on a Hiway
08: Ancient love
09: Tides of the moon
10: Holes
11: Opus 40
12: The dark is rising

Kontextkonzerte:
Mercury Rev – Little Waves Festival Genk, 14.04.2018
Mercury Rev – Primavera Sound Barcelona, 28.05.2011

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