Ort: Backstage Hotel Vernissage, Zermatt
Vorband:

Matt Berninger - Zermatt, 08.04.2025

Auf der Rückfahrt vom Urlaub lag es irgendwie auf der Hand, einen kurzen Abstecher ins Mattertal nach Zermatt zu machen. Die Gründe dafür waren genau zwei: zum einen war es immer schon mein Ziel, das Matterhorn in echt zu sehen (und nicht nur auf der Toblerone Packung – also früher, mittlerweile ist es nicht mehr abgedruckt), und zum anderen fand an diesem Dienstag der erste Tag des Zermatt unplugged Festivals 2025 statt. Soweit – bezogen auf das Zermatt unplugged Festival – so unspektakulär, wenn nicht Matt Berninger für diesen Abend auf dem Festivalkalender stünde. Neben drei Konzerten in England sollte der Schweizer Auftritt der einzige dieser kleinen Europatournee des The National Sängers sein. Mittlerweile sind für den Herbst weitere Konzerte angekündigt. Die dann aber wohl nicht als Matt Berninger Trio, sondern mit Band.

Organisatorisch gestaltet sich der Trip etwas kompliziert. Erst kurz vor der Reise schaffen wir es, ein Hotelzimmer in Zermatt zu ergattern. Bis dahin antworteten alle Hotelsuchwebseiten bei all unseren Versuchen für diesen Zeitraum immer mit einem ausverkauft. Über die wilden Summen, die dann für eine Übernachtung aufgerufen wurden, schreibe ich lieber nichts. Nicht nur hier erinnert Zermatt mich ein wenig an New York. Die Anreise nach Zermatt ist dagegen einfach und überschaubar. Im Mattertal scheint bei blauem Himmel die Sonne und die Berge des Wallis bieten entlang der Autostraße eine imposante Kulisse. Zermatt ist komplett autofrei was bedeutet das man sein Auto in der Transferstation einen Ort vor Zermatt parken darf/muss. Der kleine Ort Täsch ist übersät mit Parkplätzen, das Geschäft scheint gut zu laufen. Ich hatte im Vorfeld in einem der Parkhäuser einen Parkplatz gebucht. Sicher ist sicher, dachte ich. Mit dem Zermatt Shuttle, das alle 20 Minuten fährt, geht es dann weiter in den Skiort. Die Fahrt dauert entspannte 20 Minuten bis die Bahn im Zermatter Bahnhof einrollt.
Mein erster Eindruck, als ich den Bahnstation Zermatt verlasse: Himmel, was ist denn hier los. Es zeigt sich mir an diesem Nachmittag ein vollkommen überlaufener Wintersportort. Auf dem Bahnhofsvorplatz und der Bahnhofstraße geht es zu wie am Times Square. Was für ein Gewusel. Wie sähe es hier nur aus, wenn der Ort nicht autofrei wäre? Ich mag es mir nicht vorstellen. Und, wäre das nicht schon genug, der Ort ist auch gnadenlos zugebaut. Einen grünen Fleck entlang der Hauptstraße entdecke ich erst morgens am Frühstückstisch beim Blick aus dem Fenster. Hinter dem Hotel ist ein brauner Flecken Erde zu sehen, der im Sommer dann hoffentlich zu einer kleinen Wiese mutiert. Ansonsten ist im Tal ein freier Platz Mangelware. Erst an den Hängen und an den Ortsausläufern entdecke ich mehr Freiflächen. Das sehe ich ganz gut, als wir in der Gornergratbahn sitzen und – ach Wunder – auf den Gornergrat fahren. Der Gornergrat bietet die best view on Matterhorn, wie ich überall in Zermatt und im Internet lese. Grund genug, sich ein Zahnradbahn Ticket zu leisten und auf die in 3000 m Höhe gelegene Bahnstation zu fahren. Die Rahmenbedingungen könnten auch nicht besser sein: blauer Himmel, gute Fernsicht, Sonnenschein, leichte 5 Grad. Also hinfahren, Foto machen, zurückfahren. Auf dem Rückweg zum Hotel noch ein schneller Abstecher in den Migros Supermarkt, um festzustellen, dass in Migros Supermärkten kein Bier verkauft wird. Na ja.

Matt Berninger - Zermatt, 08.04.2025

Und dann kann er starten, mein Tag Zermatt unplugged Festival.
Als wir abends am Festivaldorf eintreffen, sehe ich zum ersten Mal Menschen mit Skiern Konzertbändchen tauschen. Das Zermatt Unplugged Festivaldorf mit der großen Zeltbühne und dem umliegenden Taste Village (neuschwyzerdeutsch für Foodcourt) ist der Dreh- und Angelpunkt des Festivals. Hier finden auch Konzert auf einer kleinen Bühne statt, in der Hauptsache treten hier Schweizer Newcomerbands auf. Die Hauptacts spielen im Zelt (Amy Macdonald, Clueso), die besonderen Konzerte dagegen finden außerhalb des Festivaldorfs statt: auf über 2000 Meter Höhe spielen Calexico, Jade Bird und Fink in einer Seilbahnstation die sogenannten Sunnegga Sessions – inklusive einer gemeinsamen Fahrt in der Standseilbahn. Am Riffelsee auf über 2500 Meter Höhe steht eine weitere unplugged Bühne und in Zermatt selbst sind Spielorte in Kirchen und Kellerbars angesetzt. Das Zermatt unplugged ist ein bunter Haufen, musikalisch als auch spielortemaessig. Immer aber gilt: das Matterhorn ist stets in Sichtweite. Unplugged with a view, so lautet folgerichtig die kleine Überschrift für dieses Festival. Insgesamt gibt es an 5 Tagen 130 Konzerte auf 17 unterschiedlichen Bühnen.
Uns interessiert aber nur der Matt Berninger Auftritt im Vernissage bzw. im Vernissage Club. Das Vernissage ist die Lounge/Bar des Hotels Backstage Hotel Vernissage direkt gegenüber vom Festivaldorf und 50 Meter von unserem Hotel entfernt.

Where Cocktails tell Stories! Die Vernissage Cocktail Bar ist der perfekte Treffpunkt in Zermatt für Kunstliebhaber, Cocktail-Genießer und Nachtschwärmer. In einer einzigartigen Kombination aus Bar und Club bieten wir Ihnen eine Atmosphäre, die sowohl inspirierend als auch entspannend ist. Lassen Sie sich von unseren kreativen Cocktails überraschen, die von erfahrenen Barkeepern mit Liebe zum Detail zubereitet werden.

Von Cocktails bekommen wir allerdings nicht allzu viel mit.

Das Konzert ist für 21 Uhr angesetzt, doch bereits gegen 20 Uhr hat sich eine kleine Schlange vor dem Einlass des Hotels gebildet. Das Vernissage liegt im Keller des Hotels, über eine Wendeltreppe geht es zwei Etagen nach unten. Der Saal selbst ist nicht groß und neo-rustikal eingerichtet. An den Wänden hängt allerlei schweres Holzzeugs und die Bühne besteht aus einer Eisenkonstruktion und einem – an diesem Abend zugedeckten – Glasboden. Das Matt Berninger Konzert ist für gute 75 Minuten angesetzt, im Anschluss steht im Vernissage ein DJ-Set auf dem Festivalprogramm.

Irgendwie von mir wenig beachtet hat Matt Berninger vor einiger Zeit sein Solo Debütalbum veröffentlicht. Serpentine Prison nennt es sich und es steht wenig beachtet im CD-Regal. Ein zweites Album erscheint dieser Tage.

‘An intimate Trio performances’, nennt Matt Berninger seine Konzerte in England und in Zermatt auf seinen Netzwerkprofilen. Übersetzt heißt das, dass er nur mit kleiner Mannschaft die Konzerte bestreitet: zur Seite stehen ihm an der Akustikgitarre der Produzent und Songschreiber (sowie Grammy-Gewinner) Sean O’Brien und am Klavier die Sängerin Ronboy.
Und intim ist das Ganze. Das Vernissage ist überschaubar groß. Im Parkett haben vielleicht 300 Leute Platz, in der darüberliegenden Galerie vielleicht 50. Trotzdem ist der Laden nicht ausverkauft, was vielleicht auch mit den relativ teuren Ticketpreisen für dieses Konzert zusammenhängt. Hier wird die Intimität durch Exklusivität ergänzt; ist dies doch das erste Matt Berninger Solokonzert in der Schweiz. Allerdings, und vielleicht auch ein wenig überraschend, ist das Konzert eines der wenigen Konzerte, die in dieser Ausgabe des Festivals nicht ausverkauft sind. Matt Berninger und/oder The National scheinen in der Schweiz nicht so zu ziehen, und der Andrang von Konzerttouristen hält sich in Grenzen. Zwar stehen in der ersten Reihe eine Handvoll die-hard Fans, die Matt Berninger schon nachmittags in der Stadt und in einer Seilbahnstation entdeckt hatten, aber grundsätzlich bleibt der Andrang vor der Bühne auch noch kurz vor Konzertbeginn überschaubar. Die Preise und die Anreise sind dann doch eher nicht dafür geeignet, mal eben für ein Matt Berninger Konzert nach Zermatt zu fahren.
Wir unterhalten uns mit zwei Besuchern aus Budapest. Mutter und Tochter haben ihren Kurzurlaub am Comer See extra für dieses Konzert und für eine Nacht unterbrochen. Oder einen Urlaub am Comer See geplant, um dieses Konzert besuchen zu können, die Sachlage verschwimmt etwas. Zumindest fahren sie morgen erst nach Como und dann wieder zurück nach Ungarn. Sachen gibt’s.

Das Trio startet mit dem zweiten Song vom neuen Album Get sunk. Direkt habe ich das Gefühl, in einem The National Konzert zu stehen. Musikalisch sind die Solo-Sachen nicht sehr weit von The National Songs entfernt, und Matt Berningers Stimme steht eh’ wie nichts anderes für The National. Wenn er einem Song seine Stimme leiht, klingt selbst ein Taylor Swift Song nach The National. Vom neuen Album habe ich mir im Vorfeld vorab veröffentlichten Songs angehört, sie gefallen mir durch die Bank weg alle. „Bonnet of pins“ zum Beispiel, das allerdings in der Trio Version und nur mit Akustikgitarre komplett anders klingt als im ‘Original’. Nämlich viel zärtlicher, weniger poppig und viel emotionaler. Oder „Inland ocean“, das als Livevideo von einem der dem Zermatt Gig vorgeschalteten Englandkonzerte auf YouTube zu finden ist und ein wundervoller Song ist. Oder das Duett mit Ronboy bei „On more second“. Ein Song, den er zusammen mit seinem Kumpel aus ELVY Zeiten, Matt Sheehy, geschrieben hat. ‘I just wanted to write one of those classic, simple, desperate love songs that sound great in your car.’ Was man nicht so alles erfährt.
Ich erfahre auch das genaue Datum zur Veröffentlichung der zweiten Soloplatte Get sunk. Die ersten Reihen helfen Matt Berninger mit dem Veröffentlichungsdatum aus. ‘Letzte Maiwoche’, ruft jemand aus der ersten Reihe rein. Je weiter das Konzert fortschreitet, umso mehr begreife ich, wie sehr ich das erste und bisher einzige Soloalbum unterschätzt habe. Acht neue Songs stehen auf der Setlist, dazu fünf vom ersten Album und ein The National Cover. „I need my girl“, der Song mit dem höchsten Wiedererkennungswert im Saal, und vielleicht auch der schwächste des Abends. Und Matt Berninger macht Matt Berninger Sachen: er erzählt Geschichten, gibt kurze Infos zu den neuen Songs, tanzt sehr oft im Ententanz-Stil und baut mit seiner/n American Express Karte(n) Häuschen auf seinem Barhocker. Der ist im Übrigen so hoch eingestellt, dass er auf ihm sitzend seine Füße baumeln lassen kann. (Und dabei beinahe herunterfällt).

Zermatt gestern. Matt Berninger und Matterhorn.

Frank (@spiralstairs.bsky.social) 2025-04-09T07:04:34.803Z

Musikalisch ist das Konzert top. Sound gut, Licht gut. Die Songs kommen in einem Fluss, egal ob alt, neu oder Cover. Es macht Spaß, dem Vortrag zuzuhören. Es ist ein rundum gelungener Abend in einem wundervollen Ambiente. Zermatt ist zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber landschaftlich in einer super Situation. Das scheint auch Matt Berninger aufgefallen zu sein, als er tagsüber einen Ausflug in die Berge unternahm. ‘It is wonderful here, if any real estate agent is in the room please come backstage.’

Jetzt habe ich einmal das Matterhorn gesehen, einmal Zermatt erlebt. Ich denke, das reicht. Auf zum nächsten Listenpunkt.
PS: Kann nicht jemand ein interessantes Konzert im Burj Khalifa veranstalten? Das höchste Gebäude der Welt steht nämlich auch noch auf meiner want-to-see Liste, und mit Konzert im Rücken hätte ich bessere Argumente, hinzufahren.

Setlist:
01: No love
02: Distant axis
03: Inland ocean
04: Bonnet of pins
05: Breaking into acting
06: Frozen oranges
07: Serpentine prison
08: Silver springs
09: Junk
10: One more second
11: Silver Jeep
12: Little by little
13: I need my girl
14: Times of difficulty
Zugabe
15: All for nothing

Kontextkonzerte:
The National – Primavera Sound Festival Barcelona, 31.05.2024
The National – Köln, 11.06.2014 / Tanzbrunnen
The National – Köln, 17.11.2010  / E-Werk
The National – Weissenhäuser Strand, 12.11.2010
The National – Köln, 27.11.2007 / Prime Club

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