Ort: Roncalliplatz, Köln
Vorband: Thees Uhlmann
‚Ach, die gibt’s auch noch’, dachte ich, als Kettcar ihr letztes Album veröffentlichten. Dabei waren sie nie weg, sie haben nur nicht so oft Alben veröffentlicht. „München“, die erste Single der aktuellen Scheibe Gute Laune ungerecht verteilt, ist ein Knaller-Song. Punkt. Ich entdeckte ihn irgendwann bei YouTube und er sprach mich sofort an. So wurde ich wieder aufmerksam und interessiert. Und ich war ob des politischen Inhalts des Textes überrascht. Haben Kettcar früher nicht nur Lebens- und Beziehungslieder geschrieben? Ich merke, dass ich komplett aus dem Kettcar Ding raus bin. Ich habe keine Ahnung, was und wie sie sich musikalisch in den letzten Jahren entwickelt haben. Denn da ist noch dieser andere Song, den ich entdeckte. “Sommer ’89”, 2017 auf Ich vs. Wir veröffentlicht. Ein Riesenhit!
Leider schaffte ich es bisher nicht, mir die letzten beiden Album zu kaufen. Nach diesem Konzert ist das Gefühl aber dringlicher als es je war. Sylt bleibt also erstmal mein letztes Kettcar Album. Das habe ich im Frühjahr nach langer Zeit wieder herausgekramt und höre es oft beim Laufen.
Warum ich in diesem Frühjahr bzw. Sommer so scharf darauf bin, mir noch einmal ein Kettcar Konzert anzusehen, ist mir selber nicht ganz klar. Wann war mein letztes Kettcar Konzert? Es muss mindestens ein Jahrzehnt her sein, vielleicht sogar zwei. Und dann hörte ich „München“ und las ein bisschen über das neue und das vorletzte Album und bekam wieder Bock auf Kettcar. Das Konzert im Palladium war mir schlussendlich zu teuer und passt auch zeitlich irgendwie nicht gut in mein Konzept. Ihr Konzert in ein paar Wochen auf der Burg Wilhelmstein in der Nähe von Aachen stand lange auf der Agenda; ein Ticket kaufte ich bis dato aber nicht. So plätscherte alles ein wenig dahin, bis ich letzte Woche noch mal auf ihr Roncalliplatzkonzert aufmerksam gemacht wurde. Mit Thees Uhlmann im Vorprogramm.
Roncalliplatz Konzerte habe ich nicht in guter Erinnerung. Vor Jahren sah ich hier mal Massive Attack und The Killers. Das Ambiente damals war na-geht-so; wegen des knappen Curfews von 22 Uhr wirkte alles irgendwie gehetzt. Und teuer waren die Veranstaltungen auch.
2024 vereint ein Roncalliplatz Konzert all das, was man an Köln abstoßend finden kann und was der Kölner an seiner Stadt so liebt: Historie auf einer Seite, Bausünden auf der anderen und dazwischen eine seit Ewigkeiten existierende Baustelle und ein Provisorium der eher lieblosen Art. (Also der Dom, die Zweckbauten gegenüber, der Hotelneubau, die Stahlrohrtribüne). Himmel, welche Orte wählen Städte wie Gent oder Leuven für ihre Sommerkonzerte aus: schöne Innenhöfe von Museen oder Stadtparks. Wenn wenigstens die Bühne auf der anderen Seite stehen würde, damit man die Domfassade in voller Pracht genießen könnte und die Stahlrohrtribünen an der Seite des Bauzauns. Der Platz sieht lieblos aus. Immerhin finden hier die ganze Woche über Konzerte statt, hätte man sich als Stadt nicht einladender präsentieren können? Klar, der Dom ist da, aber wenn man direkt vor der Bühne steht, sieht man ihn nicht.
Ursprünglich war hier ein Kettcar Konzert gar nicht geplant. Erst kurzfristig wurde das Doppel Kettcar/ Uhlmann nachnominiert. Ich weiß gar nicht, für wen.
„Yves, wie hältst du das aus“, „Korn & Sprite”, „Mit dem Mofa nach England“. Fußball, Alkohol, England. Wer diese Songs seinerzeit nicht liebte, war kein guter Mensch. Tomte sah ich erstmals Anfang der 2000er Jahre in Bonn. Und dann immer mal wieder. Ich erinnere mich an ein Konzert auf der Museumsmeile (mit den Weakerthans) und an Rheinkultur Festivals. „Die Schönheit der Chance“ (kam erst mit dem nächsten Album) mochte ich seinerzeit sehr; überhaupt gefiel mir – die bis dahin eher unbekannte und ungehörte – Art, deutsche Texte mit Indiepopmeldodien zu verbinden. Tomte waren da anders als die Hamburger Schule. Ende der 2000er Jahre hörte ich auf, Tomte zu hören. Sowohl die weiteren Band- als auch die Thees Uhlmann Solo-Sachen zogen komplett an mir vorbei. Ich verlor das Interesse. Bis heute hat sich das nicht geändert.
Auch Kettcar waren anders als die Hamburger Schule. Und sie waren anders als Tomte. Kettcar spielten rockiger, ihre Texte waren schärfer. Zeitlich kam die Band nach Tomte auf meine Musiklandkarte. Du und wieviel von deinen Freunden mit „Landungsbrücken raus“ hörte damals jeder. Ich auch. Das war so um 2002. Ich kaufte auch die beiden nächsten Alben Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen sowie Sylt. Und dann nichts mehr. So wie Thees Uhlmann verschwand auch Kettcar aus meinen Playlisten. Bis heute.
Die Zeit war anscheinend bei mir vorbei für diese Art der Indiepopmusik.
Soweit die Vorgeschichten.
In der Bahn sitzt ein Junge mit einem Tocotronic T-Shirt und unterhält sich mit seinem Kollegen über aktuelle Platten und Songs. Die Sonne scheint und ja, es könnte ein gemütlicher Abend werden.
Ausverkauft ist der Roncalliplatz bei weitem nicht. Die Sitzplatztribüne ist nahezu trostlos leer und vor der Bühne steht man gemütlich und unbehelligt von zu viel Körpernähe durch den Konzertnachbarn. Klar, erst vor ein paar Wochen spielten Kettcar im Palladium und in ein paar Wochen ein paar Kilometer spielen sie in der Nähe von Aachen. Wer Kettcar sehen wollte oder will, hat diesen Sommer einige Möglichkeiten. Da verteilt es sich.
Das Leben ist kein Highway, es ist die B 73.
Mit „Fünf Jahre nicht gesungen“ eröffnet Thees Uhlmann den Konzertabend. Es folgt ein Song, der in Köln nicht auf der Setlist fehlen darf: „In Köln und dann in meinem Zimmer“ vom ersten Album Du weißt, was ich meine. Es ist der älteste Song des Abends und es ist der zweite Song, den ich nicht kenne. Doch mein Blatt wendet sich, die letzten drei Songs sind mir bekannt. Oder besser gesagt, ich habe sie schon gehört. Textsicher bin ich bei „Du bist den ganzen Weg gerannt“, „Die Schönheit der Chance“ und „Ich sang die ganze Zeit von dir“ längst nicht mehr. Ich bedauere das ein wenig. Zwischendurch quatscht Thees Uhlmann ein bisschen, erzählt vom Tag im Museum, seiner Zeit in Köln und von dem Gefühl als Vorband. Es ufert aber nicht aus, was ich gut finde. Für längere Geschichten ist auch einfach keine Zeit, der Zeitplan drückt und sitzt von Anfang an allen im Nacken.
Nach einer guten halben Stunde ist der Auftritt vorbei. Es ist zwanzig nach acht.
Setlist Thees Uhlmann:
01: Fünf Jahre nicht gesungen
02: In Köln und dann in meinem Zimmer
03: Die Toten auf dem Rücksitz
04: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
05: Du bist den ganzen Weg gerannt
06: Ich sang die ganze Zeit von dir
07: Die Schönheit der Chance
Da Thees Uhlmann nur mit verstärkter Akustikgitarre auftrat, ist der Umbau keiner. Das Kettcar Keyboard und das Schlagzeug stehen bereits aufgebaut an der Seite. Jetzt müssen nur ein paar Stecker gerichtet und die Mikrofonständer positioniert werden.
Kurz nach halb neun betreten Kettcar die Bühne. Hemdsärmelig und grundsympathisch wie eh und je. Erster Song: „Money left to burn“. Kenn’ ich. Es ist eines von mehreren älteren Songs, die Kettcar an diesem Abend spielen. Interessanter finde ich aber die neuen Sachen: “Kanye in Bayreuth“, „Benzin und Kartoffelchips“ 8den sie als zweites spielen), „München“, „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“.
„Sommer ’89“ ist das Beste, was ich von der Hamburger Band bisher gehört habe. Wow, was für ein Text, was für eine schöne, super passende Gitarrenmelodie. Es handele sich um ‘eine wahre Geschichte’, wie Sänger Marcus Wiebusch anmerkt.
Das Konzert ist ein Wechsel zwischen alten und neuen Songs, zwischen Erwachsenenthemen und Songs über das Erwachsenwerden. Beim Text von „Balkon gegenüber“ wird kurz geschmunzelt. Die Zeile ‘Vielleicht ist er 30 geworden?’ wird von vielen um mich herum weggelächelt. Ja, 30; ist doch auch schon 15-20 Jahre her und war gar nicht so schlimm. Das Kettcar Publikum ist mitgealtert und weiß über Dinge Bescheid. Es macht Spaß, die ollen Kamellen mal wieder live zu hören. Hits sind es immer noch, vielleicht sogar Evergreens. (Das gilt für die Tomte Sachen übrigens auch). Allerdings – und das merke ich auch – brauche ich sie nicht jeden Tag. Wie gesagt, der Konzertabend ist toll, aber er haut mich nicht um. Ich glaube, dieses eine Kettcar Konzert reicht mir erstmal wieder. Die Dringlichkeit, sie unbedingt diesen Sommer noch einmal zu sehen, besteht nicht.
Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff (Bassist bei Kettcar) und Thees Uhlmann gründeten zu Beginn der 2000er Jahre das Label Grand Hotel van Cleef, mittlerweile eines der interessantesten der Branche mit viel guter Musik. Veröffentlichungen vom Grand Hotel van Cleef kann man blind kaufen, sag‘ ich mal.
Als Thees Uhlmann dann zum letzten Song „Landungsbrücken raus“ nochmal auf die Bühne zurückkommt, spricht Reimer Bustorff spaßeshalber von einem ‘Gesellschaftertreffen’. Man ist dicke miteinander und es ist zu spüren, dass alle an diesem kleinen Konzertabend, der leider schon um 22 Uhr vorbei ist, ihre Freude haben.
Hinter all diesen Fenstern packe ich mal wieder auf meinen MP3 Stick. Denn wie schrieb die Intro so schön:
Nie klang Arbeiter-Prosa umwerfender, nie wurde eine so tiefe Sehnsucht nach Liebe und Nähe angenehmer formuliert als mit der Uhlmann’schen Bierromantik.
Setlist:
01: Money Left to Burn
02: Benzin und Kartoffelchips
03: Rettung
04: Balkon gegenüber
05:Kanye in Bayreuth
06: 48 Stunden
07: München
08: Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
09: Balu
10: Der Tag wird kommen
11: Ich danke der Academy
12: Anders als gedacht
13: Kein Außen mehr
14: Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)
15: Im Taxi weinen
16: Landungsbrücken raus
Zugabe:
17: Deiche
Kontextkonzerte:
Tomte – Essen, 06.03.2003 / Zeche Carl
Kettcar – Köln, 09.05.2008 / E-Werk