Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Euternase

KariesPublic Service Broadcasting in Bochum, Jon Spencer in Köln, Tocotronic in Bochum, Karies in Köln. In Sachen Konzertbesuche sind Novembertage Entscheidungstage. ‘Irgendwas mit Zahnarztbesuch‘ schrieb ich nachmittags und fand das amüsant. ‘Zähneputzen nicht vergessen‘ hallte es mir entgegen, als ich erzählte, dass ich zu Karies gehe. Auch für diesen Wortwitz konnte ich schmunzelnd den Daumen heben. Das sei mir verziehen. In Karies inner circle Kreisen (im denglischen klingt das logisch, ist aber redundant) sind Wortspiele dieser Art wahrscheinlich total abgegrast, mir als Karies Newbie entlocken sie aber einen Lacher. Ich find‘ sie amüsant. Für diesen Nachmittag. Denn als ich auf der Zugfahrt einige Rezensionen und Berichte über die Stuttgarter band las, fiel es mir auch auf: jeder Bericht fing mit Zahnarzt Gedöns oder einer Karies Abhandlung (das Leiden, nicht die Band) an. Das wurde selbst mir nach sehr kurzer Zeit nervig.

Karies kommen aus dem Schwabenland, das – flapsig formuliert – auf der Musiklandkarte für zwei Musikstile steht: Hip-Hop und Post-Punk. Da die Band mit Nerven Hintergrund keinen Hip-Hop macht, spielen sie Post-Punk. Und das machen sie fulminant!

Nachdem ich die ersten 10 Sekunden eines YouTube Videos (den Songtitel habe ich vergessen) gehört hatte, war meine Abendplanung manifestiert. Nicht Tocotronic, nicht Public Service Broadcasting, nicht Jon Spencer. Nein, ich wollte Karies sehen. Erstmalig und dringend.
Neben dem Nerven und anderer Bands Schlagzeuger Kevin Kuhn sind Karies die Gitarristen Benjamin Klaus Schröter, Jan Rumpela und Max Nosek. Songs schreiben sie wie die ganz Alten, an Lebensjahren dagegen sind alle vier noch relativ jung. Der Karies Sound beinhaltet alles, was das Genre Post-Punk abverlangt: er ist treibend, quälend und mit einer latenten Grundgereiztheit ausgestattet. Der Bass erinnert wahlweise an Joy Division oder Wire, der Gesang an den frühen Distelmeyer oder Geschmeido. Die Texte sind dabei absolut lesenswert und schlau.

Wie gesagt, ich bin Karies Newbie und las mich zur Vorbereitung etwas ein. Drei Alben hat die Band veröffentlicht, Alice, ihre aktuelle Scheibe zeige dabei eine erste musikalische Weiterentwicklung.

Auf der dritten Platte der Stuttgarter Band gesellen sich langsam Farben zu den grau ausgemalten Silhouetten. Die Texte bleiben düster, die Sounds werden bunter. Karies haben mit ihren ersten beiden Alben Seid umschlungen, Millionen und Es geht sich aus eines klar gemacht: Unbedrückt frohlockt wird nicht, wenn die Band aus Baden-Württemberg sich auf Albumlänge austoben kann. Alice machts nicht anders, und irgendwie schon. Zum Post-Punk gesellt sich optimistisches Geprogge und eine modische Aufmachung – passend zum Cover, das eher wie Werbeplakat als wie das Cover eines hochpoetischen Poesiealbums daherkommt.

Prettyinnoise erklären das mit Distinktion und der Zunahme der eigenen technischen Fähigkeiten.
Sei es, wie es ist. Live war alles anders. Da hörte ich nichts außer Gitarren und einem drängelnden Schlagzeug. Auch meine nachmittags festgestellten Spontanassoziationen konnte ich in die Tonne drücken. Live im Gebäude 9, das im Übrigen nicht übermäßig gefüllt war, erinnerten mich Karies eher an Disappears oder Shellac, kleidungstechnisch an den Normcore des Future Islands Sänger Samuel T. Herring. Sagenhaft, auf was ich so alles während Konzerten komme.

Es dominieren die Gitarren, am Schlagzeug sitzt nicht Kevin Kuhn sondern Paul Schwarz. Warum der Nerven Mann in Köln fehlt, weiß ich nicht. Schlimm ist das nicht, auch Paul Schwarz versteht es, mit seinem Schlagzeugspiel die Songs nach vorne zu drücken. Es macht mir Spaß, ihm dabei zuzusehen. Links vor mir steht Benjamin Klaus Schröter, der, wenn er singt, mehr spricht als singt. Für die, wortwörtlich zu nehmen, gesanglichen Parts ist auf der anderen Bühnenseite Max Nosek verantwortlich. ‘Seine‘ Songs sind dann gleich etwas poppiger und weniger stakkato. Die Hooklines sind jedoch immer super! Egal, welchen Song sie spielen, alle wirken auf mich eingängig und ich entdecke in jedem einen kleinen oder größeren Hit.

Auf wilde Gitarrenposen verzichten sie genauso wie auf Bühnenspirenzkes und Interaktion mit dem Publikum. ‘Es ist so ruhig hier‘, sagt Benjamin Klaus Schröter während einer kleinen Stimmpause, in der es wirklich für Sekunden mucksmäuschenstill im Gebäude 9 ist, ‘aber so ist das nun mal bei einer Band, die nicht mit dem Publikum interagiert. Das müsst ihr aushalten.‘ Ich kann das sehr gut und die Show, beziehungsweise non-Show, die Karies abliefern, funktioniert viel besser zur Musik als Anderes.

Ich stecke nicht tief im Backkatalog von Karies, fühle mich aber Im Konzert von den ersten Minuten an gut aufgehoben. Das mag daran liegen, dass Karies keine Experimente veranstalten, sondern das Genre mit den gewohnten Zutaten beliefern, ohne dabei in lange Gitarrensoli oder andere instrumentale Extravaganzen abzudriften. Es ist einfach Post-Punk, klar strukturiert und knackig. Selbst den letzten Song „Nebenstraßen“ spielen sie ohne großes Finale. Hier hätte ich eine ausufernde Version erwartet. Dass sie nicht kam, schlimm war das nicht.
Besondere Vorkommnisse: keine. Ein gutes Konzert!

Setlist:
01: Holly
02: Pebbo
03: Win-win
04: Ego
05: Es geht sich aus
06: Abwärts
07: Es lachte
08: Altar
09: Misere
10: Haverie
11. A
12: Nebenstrassen
Zugabe:
13: Was du nicht siehst
14: Einen Monat noch
15: Ein Jahr Herbst

Kontextkonzerte:

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