Ort: Carlswerk Victoria, Köln
Vorband: Emma‐Jean Thackray

Kamasi Washington - Köln, 17.04.2025

Im Carlswerk ist es noch überschaubar voll, als wir um kurz nach halb acht den Saal betreten. Wie voll mag es werden, nachdem das Konzert aus dem letzten November auf diesen Gründonnerstag verlegt wurde? Ich vermute, dass bereits einige ehemalige Kartenbesitzer im Osterurlaub sind. Auf den digitalen Ticketbörsen wurden doch einige Karten für sehr wenig Geld angeboten. Bei Ticketswap z. B. für unter 30 Euro. Ein Schnäppchen, wenn ich bedenke, was man dafür geboten bekommt: einen der aktuell besten Saxophonspieler und Musiker unserer Zeit: Kamasi Washington. Oder richtiger gesagt, Tenorsaxophonspieler. Seine vier bisherigen bei einem Plattenlabel veröffentlichten Alben The Epic, Harmony of Difference, Heaven and Earth und Fearless Movement ​​gehören zu den erfolgreichsten des Jahrhunderts. Kamasi Washington selbst komponiert für und featured unzählige Künstler, die Liste der Einträge ist lang. Er arrangiert Songs für St. Vincent, spielt Saxophon bei Kendrick Lamars To Pimp a Butterfly und arbeitet mit Thundercat und Flying Lotus. Das alles macht ihn zu einem musikalischen Tausendsassa und führt die unterschiedlichsten Leute zu Kamasi Washington Konzerte: Indiehörer, alte Jazzliebhaber und Hip-Hop Kids.

Womit begann es, dass sich Playlists bei Spotify explosionsartig mit Jazz-Stücken füllten? Wann ging es los, dass Plattenläden in ihren Regalen, die sonst mit Indietronic-Gefiepse und Songwriter-Gejammer befüllt werden, Platz schafften für eine Musik, die lange in etwa so frisch gewirkt hatte wie ein Schwarz-Weiß-Film mit Humphrey Bogart? Wer lockte ein neues, aufgekratztes Publikum in die Clubs, junge Menschen, die dort etwas erlebten, dessen Grandiosität sie sich nicht hatten vorstellen können? Die Antwort auf all diese Fragen: Kamasi Washington. Mit dem Album „The Epic“ von 2015 und den Auftritten, die darauffolgten, fand eine tektonische Verschiebung in der Musikrezeption von Großstädtern statt: Jazz war wieder da. Und er hatte nichts mehr mit dem Gefühl „Rotwein am Kaminfeuer“ zu tun und nichts mit Cordjackett und Norwegerpulli.

schreibt der Stern über Kamasi Washington in seiner Albumrezension zu Fearless Movement. Dort steht auch die Geschichte, die der Bandleader auch an diesem Abend zum Song „Asha the First“ vorträgt: Die ersten Töne seien inspiriert vom Klavierspiel seiner dreijährigen Tochter, als sie zum ersten Mal nicht nur rumklimperte, sondern erstmals eine Tonfolge immer und immer wieder wiederholte. Seine Augen leuchten, als er die Geschichte erzählt.

Der Abend beginnt mit Emma‐Jean Thackray. Die englische Musikerin und Produzentin hat mehrere EPs und ein Album (Yellow) veröffentlicht. Emma‐Jean Thackray steht alleine auf der Bühne, ein Keyboard und das MacBook sind ihre Band. Sie selbst singt und spielt zu den digitalen Sounds Gitarre und Trompete. Das klingt gut, das ist unterhaltsam. Ihre Songs erinnern mich stark an Thundercat. Die Songstrukturen sind ähnlich denen des US-Amerikaners. In der Nu-Jazz Szene sei sie bereits eine größere Hausnummer, lese ich im Internet. Ihre Songs haben bei Spotify enorme Reichweiten. Ihr Konzert dauert eine gute halbe Stunde, und ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht covert sie sogar einen Thundercat Songs während ihres Sets. Emma‐Jean Thackrays neues Album Weirdo erscheint im nächsten Monat. (Und das ist definitiv etwas für Fans von Thundercat). ‘How about Jazz, do you like Jazz?’ Den letzten Song eröffnet Emma‐Jean Thackray mit diesem Sample. Die Frage können hier sicher alle mit ja beantworten.

Nach dem Soloauftritt ist es an der Zeit für die ganze große Show in großer Bandbesetzung.
Kamasi Washington hat sieben Musiker*innen mitgebracht. Einschließlich einem älteren Herrn an der Flöte und Klarinette, der sich nach intensiven Recherchen als sein Vater Rickey Washington herausstellt. Rickey Washington war in den 1970er Jahren ein durchaus angesagter Jazzer, der auf einer Vielzahl von Platten zu hören ist und der selbst drei Alben veröffentlicht hat. Neben seinem Vater gehören zur Kamasi Washington Band die Musiker*innen  Ryan Porter (Trombone), Miles Mosley am Bass, Tony Austin am Schlagzeug, Brandon Coleman am Keyboard, die Sängerin Patrice Quinn sowie DJ Battlecat. Ich recherchiere die Namen im Internet und erkenne schnell, wie sehr die neuere Los Angeles Jazzszene zusammenhängt. Als Urzelle fällt oft der Begriff der West Coast Get Down Gang. Die Anfänge dieses Ensembles liegen in einem Schulprojekt, der sogenannten Multi-School Jazz Band. Aus dieser bildete sich dann das Musikerkollektiv West Coast Get Down, dem neben Miles Mosley, Tony Austin, Brandon Coleman, Patrice Quinn und Kamasi Washington auch die Brüder Stephen ‘Thundercat‘ und Ronald Bruner angehören. Man kennt sich also seit langem und schlussendlich steht im Carlswerk das West Coast Get Down Ensemble auf der Bühne. Oder der Wu-Tang Clan des Jazz, wie es auf Wikipedia auch genannt wird.

Das Konzert ist ein typisches Jazzkonzert. Der Abend beinhaltet sehr oft sehr viele Soli.  Jeder Musiker bekommt seinen Freiraum, sich an seinem Instrument auszutoben. Hier ein Keyboardsolo, da ein Saxophonsolo und hier noch ein Klarinettensolo oder ein Schlagzeugsolo. Selbst DJ Battlecat bekommt seine Turntable Time und darf einen Song von Platte spielen. So sehr ich Jazzkonzerte gerne mag und ab und an welche Besuche, die Sache mit den Soli nervt mich jedes Mal etwas. Ach ja, Battlecat hat in den 1990er Jahren mit allen Großen des West Coast Rap zusammengearbeitet. Natürlich.

Das Konzert geht gut. Zwei Stunden lang spielen Kamasi Washington und Band Songs des aktuellen Albums Fearless Movement. Bis auf die Zugabe „Re Run“ (von The Epic) und „Vi lua vi sol“ (von Heaven and Earth) stammen alle Songs vom aktuellen Album. Wie gut, dass ich das noch nicht kenne. Beim Blick auf die Setlist frage ich mich spontan, welche Songs er wohl im Herbst letzten Jahres gespielt hätte. Auch die neuen Sachen, obwohl die Platte dann noch (lange) nicht veröffentlicht ist? Oder hätten sie ein anderes Set gewählt? Es bleiben Spekulationen…. Wie dem auch sei, es war ein großartiger Abend und auch anders wäre er nicht minder großartig geworden. Zu toppen wäre er nur dadurch, wenn das Konzert in einem altehrwürdigen Jazzclub stattgefunden hätte. So mit Tischen, Tischlämpchen und einer Suppe vorher.

Setlist:
01: Lesanu
02: Asha the First
03: Lines in the sand
04: Road to self
05: Get lit
06: Vi lua vi sol
07: Together
08: Prologue
Zugabe:
09: Re Run

Kontextkonzerte:
Kamasi Washington – Le Guess Who? Utrecht, 21.11.2015

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