Ort: Underground, Köln
Vorband:

Helmet

Samstage sind komische Konzerttage. Und es ist immer das gleiche. Kaufe ich ein Ticket für ein Konzert und sehe dann, dass es an einem Samstag stattfindet, freue ich mich darauf, den Luxus des nachfolgenden freien Tages genießen zu können. Aber ist es dann soweit, ist es Samstagnachmittag, befällt mich eine wochenendliche Trägheit, die mir je nach Gemütsverfassung jeglichen Spaß und jegliche Motivation nimmt, nach dem traditionellen Kaffee-Kuchen-Fussball Clash noch die Wohnung verlassen zu wollen.
„Samstag ist Selbstmord“ besangen einst die Hamburger Tocotronic den samstäglichen Ausgehzwang. Ich spürte ihn nie, hatte und habe nicht das Bedürfnis, weil Samstag ist unbedingt raus gehen zu müssen. Dieses living-for-the-weekend Ding war nie meins, weder in der Schulzeit, noch in der Studienzeit (ha, da war ja jeder Tag quasi ein Samstag) oder jetzt im Erwachsenenleben.
Nein, weggehen (und das heißt auf Konzerte gehen) macht unter der Woche doch viel mehr Spaß. Bis in die Puppen geht es selten, das ist samstags jedoch nicht anders, und ein bisschen Verschlafenheit finde ich ganz okay. So bin auch sehr froh, dass ich einer Tätigkeit nachgehen darf, die mir nicht nur Spaß macht, sondern mir auch die Möglichkeit von Unausgeschlafenheit am Morgen zulässt. Klar, wäre ich Lehrer oder gar Zahnarzt, da ginge das natürlich nicht. Dann wären Konzertbesuche am Wochenende sicher das Maß der Dinge. Aber so ist es nicht, und bestimmt nicht umsonst stehen die Freitage und Samstage bei Konzertbesuchen auf den letzten beiden Plätzen in der Wochentageauswertung. (So sagt zumindest last.fm)
Am Helmet-Samstag verspürte ich null Trägheit. Das ist eigentlich komisch, denn normalerweise kann ich die Uhr danach stellen, dass es so ist. Und als ich so gegen 17 Uhr nochmals in mich hörte, um mich endgültig zu vergewissern, dass die Lust groß ist, war ich zugegebenermaßen etwas überrascht. Ich hatte das Helmet Ticket in einem Augenblick gekauft, wo ich dachte, ach ein Albumkonzert ist immer spannend und dieses Betty, Helmets drittes Album, mochtest du doch damals schon. Ja damals, aber seit 15 Jahren habe ich es nicht mehr gehört und mit dem Kauf von Helmets Aftertaste Ende der 90er endete auch mein Interesse an der Band aus New York. Bekanntlich ist das aber kein Grund, ein Konzert nicht zu besuchen, oder wie es mein Freund Christoph mal formulierte: „Wenn eine Band sich schon extra die Mühe macht in die Stadt zu kommen, dann geht man da gefälligst hin.“
Es war jetzt auch nicht so, dass ich überhaupt nicht neugierig gewesen wäre. „Wilma’s rainbow“ ist doch einer dieser Songs, die man immer gern hat, die man auch nach 15 Jahren nachts um drei Uhr aus dem Stehgreif erkennt.
„Wilma’s rainbow“ ist für mich der Hit des Albums. Die anderen Singleauskopplungen „Biscuits for Smut“ oder „Milquetoast“ können da nur bedingt mithalten. Als ich vor einigen Tagen das Album nochmals wieder hervorkramte war ich überrascht, wie poppig es doch mittlerweile klingt. Hatte ich das nicht anders in Erinnerung? Und warum fällt es zum Ende hin so dermaßen ab? Ab „Speechless“ wird es in meinen Augen sehr krude, alles was danach kommt hätte nicht zwingend auf der Platte sein müssen.
Die spannendste Frage jedoch, die ich mir stellte, war die, ob Helmet auf ihrem Albumkonzert Betty in Originalfolge spielen würden. Denn das hieße, „Wilma‘s rainbow“ käme direkt zu Beginn und jedes zu spät kommen würde auf das Eklatanteste bestraft werden. Ein investigativer Blick in die Setlisten der Vorgängerkonzerte brachte dann das Ungedachte. Ja, sie spielen es eins zu eins runter. Puhh, mutig. Direkt mit ‘nem Knaller beginnen und die schwachen Songs am Ende des Albums hintereinander weg.

Ich war trotzdem spät dran. Nun lebe ich schon einige Jahre im Umkreis von Köln, aber im Underground war ich bisher noch nicht. Und nach diesem Abend möchte ich sagen, nix verpasst. Ein Konzert machte unter diesen Bedingungen keinen Spaß. Es kann doch nicht nur an den spätsommerlichen Temperaturen draußen gelegen haben, dass der Klub auf Saunatemperatur angeheizt war. Gut, der Laden war ausverkauft, aber vernünftigerweise war es nicht so ein ausverkauft, dass man sardinenbüchsenmässig beisammen stand, und ja, draußen war es auch gegen 20 Uhr noch angenehm warm, aber das rechtfertigt nicht die stickige Luft und übermäßig große Hitze. Nach einer Viertelstunde Konzert floss mir der Schweiß dermaßen aus dem Körper, das es kein Halten mehr gab. Nach einer halben Stunde war ich durch, nach einer Stunde war mein Hemd, das aber nicht eng am Körper anliegt und so den Schweiß aufsog, klitscheklatsche nass. Und ich war nicht der einzige, der unter der Schwüle litt. Allen um mich herum erging es ähnlich.
Nach einer guten Stunde spielte ich mit dem Gedanken, dass Underground zu verlassen. Aber ich kriegte nicht die Kurve, Helmet spielten auch nicht so schlecht, dass es gerechtfertigt wäre. Und Moment, kommt da nicht gerade „Unsung“, der Riesenhit vom Vorgängeralbum Meantime? Da konnte ich nicht gehen! Also blieb ich bis zum Schluss.

Helmet bestreiten ihre „Betty 20th anniversary tour“ mit Page Hamilton, Dan Beeman, Kyle Stevenson und Dave Case. Somit ist einzig Sänger und Gitarrist Page Hamilton vom 94er Bandgefüge mit dabei. Die anderen drei Mitglieder sind erst in den letzten Jahren zu Helmet dazugekommen.
Im Underground beginnen sie also mit „Wilma’s rainbow“ und beenden ihn knappe zwei Stunden später mit „Just another victim“.
„Just another victim“ ist auch so ein unscheinbarer Welthit, der auf diesem wahnsinnig guten Filmsoundtrack zum wahnsinnig schlechten Film Judgement Night veröffentlicht ist. „Just another victim“ ist die Collaboration von Helmet und House of pain. In den 90ern des Crossovers eines von vielen Traumpaaren. Andere Traumpaare waren zum Beispiel Faith No More und Boo-Yaa T.R.I.B.E. oder Slayer and Ice-T. Auch sie sind auf dem Soundtrack vertreten, der 1993 die Creme de la creme des Alternative und Hiphop zusammenbrachte und in meinen Augen ein musikalisches Zeitdokument höchster Güte darstellt. Unbedingt hörenswert und das lustigste Stück Crossover auf dem Sampler ist „Fallin‘“; Teenage Fanclub mit De la Soul. Sehr entspannt! Toll!

Die Setlist der ersten 45 Minuten stand, soweit keine Überraschungen.

Setlist (Betty-Album):
01. Wilma’s Rainbow
02. I Know
03. Biscuits for Smut
04. Milquetoast
05. Tic
06. Rollo
07. Street Crab
08. Clean
09. Vaccination
10. Beautiful Love
11. Speechless
12. The Silver Hawaiian
13. Overrated
14. Sam Hell

Im Nachgang spielten Helmet dann Songs der Alben Strap it on, Meantime und Aftertaste und hielten sich damit konsequent in den 90ern auf. Das Konzert beschränkte sich also weiterhin auf die Schaffensphase Anfang/Mitte der 90er und die Zeit um Betty. Das passte, und mit „Unsung“, das den zweiten Teil des Konzertes einläutete und mit „Meantime“, das es quasi beendete, waren überdies noch Hits zu spielen.

Helmet taten gut daran, Ausflüge in die neuere (!) Geschichte der Band zu unterlassen. Denn sind wir doch mal ehrlich, wenn man zu einem Jubiläumskonzert geht will man keine neuen Songs hören. Dann möchte man in die Vergangenheit eintauchen, die alten Reißer um die Ohren gehauen bekommen. Wenigstens geht es mir so und ist es mein Wunsch an all diese Albenkonzerte.

Das Betty Album empfand ich seinerzeit übrigens als revolutionär. Die Musik, die Helmet darauf boten war völlig neu. Es war kein Alternative Rock, es war kein Metal, und Grunge schon gar überhaupt nicht. Es war irgendwas zwischen allem. Groove metal lese ich irgendwo, aber ich weiß nicht, was das sein soll. Groove metal klingt überdies sehr albern. 2014 ist das alles natürlich nicht mehr revolutionär und neu. Die Songs klingen auch sehr altbacken und sehr in ihrer Zeit verankert. Im Gegensatz zu anderer Musik dieser Zeit sind Helmet typisch 90er und werden immer nur dort richtig funktionieren. Ich finde das nicht schlimm, und kleine zweistündige Rückblicke sind umso schöner, wenn man weiß, dass sie einem morgen nicht schon wieder über den Weg laufen. Denn Helmet Songs hört man nicht zufällig aus irgendwelchen Boxen dröhnen.

So wurde es der erhoffte laute und unterhaltsame Abend. Diesmal war keine Zeit für Sentimentalitäten, es war kein Konzert der leisen Töne. Stattdessen gab es irgendwie Metal. Das war mir an diesem Samstag auch sehr recht.

Setlist (ohne Album):
15. Unsung
16. So long
17. Renovation
18. Better
19. High visibility
20. Driving nowhere
21. Like I care
22. Birth defect
23. Blacktop
24. Turned out
25. Rude
26. Crisis King
27. Meantime
Zugabe I:
28. Bad mood
29. Repetition
Zugabe II:
30. Just another victim

Kontextartikel:
Judgement Night

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