Ort: Bang Bang Club, Berlin
Vorband: Sara Johnston
Von diesem Konzert hatte ich ehrlich gesagt nicht viel erwartet. Evan Dando – Allzeitsänger der lieblichen Lemonheads – war mal wieder solo und mit Akustikgitarre unterwegs. Wie schon vor Jahren, ohne neue Songs, ohne neues Album.
Nichts Neues also. Seine letzte Soloveröffentlichung Baby, i’am bored liegt über 10 Jahre zurück, die letzte Lemonheads Scheibe knapp 8 Jahre. Zwischenzeitlich, allerdings auch schon über 5 Jahre zurück, veröffentlichte Dando mit den Lemonheads ein Coveralbum voller Obskuritäten.
Nichtsdestotrotz und gerade weil sein Songfundus sehr groß scheint, kann das ehemalige Model plattenveröffentlichungsunabhängig Livekonzerte geben. Es ist eine Tour ohne Motto (beim letzten Mal spielte er 2012 zu Ehren des 20jährigen Jubiläums von It’s a shame about Ray), aber mit relativ teuren Ticketpreisen. Hingehen war eine Option, kein Muss.
Der Vorabend des Sleater-Kinney Konzertes ein paar Blocks weiter brachte jedoch keine bessere Alternative, also schien uns ein kurzer Besuch im Bang Bang Club passend zu sein. Überlegt, getan.
Lange wird es wohl nicht gehen, Evan Dando ist live nicht berechenbar. Schon oft habe ich ihn im miserablen Zustand erleben müssen, Konzerte kurz vor dem Abbruch, die leidigen schlimmen Rock’n’Roll Dinge. Daher war auch vor diesem Konzert die Frage, wie geht es ihm eigentlich und in welchem Zustand wird er auf die Bühne kommen. Ich finde es schlimm, mich mit solchen Fragen über einen Musiker vor einem Konzert quälen zu müssen, aber bei Evan Dando sind sie für mich unausweichlich.
In den 1990ern war Evan Dando das Model der Alternative Bewegung. Mit seiner Band den Lemonheads schrieb er die richtigen fluffige Popsongs, die MTV auch locker zur Primetime senden konnte. „Mrs Robinson“ war der Anfang, der erste Hit, die Alben It‘s a shame about Ray und Come on feel the Lemonheads der Höhepunkt der Musikerkarriere. Modeagenturen winkten dem gutaussehenden Evan Dando entgegen, er war der Sunnyboy und größtmöglicher Tennieschwarm aller Indiemädchen.
Leider verplemperte er aber in den Folgejahren sein überragendes Musikertalent auf tragische Weise mit Drogen. Eskapaden hier und da. Es lief nicht gut.
Aktuell scheint es besser zu laufen. Gott sei Dank!
Als Evan Dando um kurz vor halb eins trotz Saallichts seinen letzten Song ankündigt, ist die letzte U-Bahn längst weg. Da macht es dann auch nichts mehr, dass aus dem letzten Song vier letzte Songs werden. Die Zugabe nicht mitgerechnet. Zu diesem Zeitpunkt liegt ein sehr schöner, aber auch sehr langer Abend hinter mir. Knappe zweieinviertel Stunden schauten wir dem Ami mit der Gitarre jetzt schon zu.
Rückblick: 22 Uhr.
Sara Johnston hat seit einer Viertelstunde ihr Konzert beendet. Die Kanadierin, die man vielleicht noch als Teil der 90er One hit wonder Bran Van 3000 kennen könnte, spielte unspektakuläres aber schönes auf der Akustikgitarre. Songs von ihr kenne ich keine, das Set kam mir allerdings trotzdem sehr kurzweilig und wenig eintönig vor. Bei unbekannten SingersongwriterInnen ist das ja so eine Sache, schnell kann sich die anfängliche Begeisterung in Langatmigkeit umschlagen. Sara Johnston erinnerte mich aber phasenweise an Brenda Kahn, daher war hier und jetzt alles gut.
Eine Umbaupause wäre nicht nötig gewesen, auf der Bühne stand ein Mikrofonständer als quasi einziges Instrument. Trotzdem ließ Evan Dando auf sich warten. Nach einer knappen halben Stunde wurde ein Barhocker zum Mikrofonständer platziert, der Umbau war endlich abgeschlossen und Evan Dando kam mit einer Handvoll Zettel, die er sorgsam auf den Barhocker legte, auf die Bühne.
Was dann in den nächsten zweieinhalb Stunden passiert, ist kaum in Worte zu fassen. Was ist nur in ihn gefahren? Mehrmals stellte ich mir in den nächsten Stunden diese Frage.
Evan Dando fängt an zu spielen, und hört nicht mehr auf. Er hört einfach nicht mehr auf! Er spielt fast sein gesamtes Lemonheads Repertoire, seine Solo Sachen und wundervolle Coverversionen von „Teenage Kicks“ bis Teenage Fanclub. Dabei wirkt er so aufgeräumt, so spiellaunig und so guter Dinge, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Es ist schön, seine Stimme zu hören, sie klingt wie eh und je: harmonisch, gebrechlich, traurig, ruhig.
Zwischen den Songs brabbelt er immer etwas vor sich hin, das Mikrofon ist etwas hallig eingestellt, man versteht nur Bruchstücke. „Feels like a comedy evening“, höre ich heraus, und “brabbel brabbel Saturday night live”.
Ach egal. Zwei Witze erzählt er. Ich kann es kaum glauben.
Um kurz vor Mitternacht leert sich der Saal spürbar. Die letzten U-Bahnen möchte nicht jeder sausen lassen. Aber Evan Dando genügt auch ein halbvoller Bang Bang Club. „Oh, ich habe jetzt acht Cover gespielt, die nicht von den Lemonheads stammen.“ Er legt weitere drei nach, bevor Sara Johnston zu ihm auf die Bühne kommt. Gemeinsam spielen sie drei, vier Songs, darunter „The Outdoor type“ und „The great big no“. Auf „The Outdoor type“ habe ich mich besonders gefreut und es mir sehr gewünscht, es heute zu hören. Ebenso wie „Mallo Cup“ anderthalb Stunden zuvor. Es ist schon jetzt ein perfektes Konzert!
Aber es fehlen noch ein paar It’s a shame about Ray Hits: „Bit Part“, „Alison’s Starting to Happen“, „It’s a shame about Ray“, „Kitchen“ , „Ceiling Fan in my spoon“.
Dando spielt sie, bevor er feststellt, dass seine Setlist nun ausgeschöpft sei. Ob es denn Wünsche gäbe? fragt er in die Runde. Natürlich gab es Wünsche. Auf Zuruf spielt er vier fünf Songs, darunter „Postcards“ und „Ride with me“, bevor ihm noch ein paar weitere Stücke in den Sinn kommen, die er ungefragt hinten dranhängt.
Irgendwann ist dann jedoch Schluss. Evan Dando verlässt die Bühne, kommt nochmal zurück, spielt eine halbstündige Zugabe mit 12 Songs und geht dann endgültig.
Es ist viertel vor eins. Wir schleppen uns die Treppen aus dem Kellergewölbe nach oben. Die U-Bahn ist geschlossen, der Nachtbus fährt in 15 Minuten. Es war sehr schön, aber auch anstrengend.
‘Die Setlist bitte.‘ Die Nachricht erreicht mich via Facebook am nächsten Tag. Ich muss schmunzeln. Wie bitte ich hätte ich mir die merken sollen? Evan Dando spielte sicherlich an die 50-60 Songs, so dachte ich. Via Facebook wurde ich nach oben hin korrigiert, knappe 70 sollen es gewesen sein, so eine Insiderquelle.
Ich rechne kurz nach, zwei Minuten pro Song im Durchschnitt. Das kommt hin.
Wahnsinnskonzert!
Kontextkonzerte:
The Lemonheads – Köln, 12.05.2012 / Luxor
The Lemonheads – Esch-Alzette, 27.04.2012 / Rockhal
The Lemonheads – Köln, 03.10.2008 / Gebäude 9
The Lemonheads – Köln, 27.10.2006 / Bürgerhaus Stollwerck
Fotos:
Toller Konzertbericht! Und schön, dass der Abend allen Erwartungen getrotzt und sie offenbar bei Weitem übertroffen hat :)
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