Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: auch irgendwie Soko

Das hatte ich unterschätzt.
Vor über vier Jahren entdeckte ich via YouTube eine Pariser Sängerin. Ihr Name: Soko, so wie die ZDF Polizeiserien der verschiedenen Sonderkommissionen. Das war auch seinerzeit so ziemlich das einzige, was Google zu dem Suchbegriff Soko sagen konnte. Ernüchtert ob der wenigen, anlesbaren Informationen merkte ich damals an:

Eine französische Sängerin ohne Album und Biographie. Vier Songs und diverse YouTube Schnipsel reichen, um mich zu begeistern. SoKo, the next Fräuleinwunder! Die Pariser Antwort auf Kate Nash und Co.

Wem jetzt Lana del Rey in den Sinn kommen mag, bitte sehr. Der einzige aber bedeutende Unterschied zwischen der Sängerin aus Bordeaux und der Sängerin aus New York ist der, dass die Sängerin aus New York es in die großen Musiklandschaften geschafft hat. Stéphanie Sokolinski hingegen war nach ihrem fulminanten Eifersuchts-Drama „I’ll kill her“ erst einmal weg. Zwar veröffentlichte sie eine EP und tourte durch die Lande, blieb aber darüber hinaus jedoch still. Es gab keine „offiziellen Videos“, kein Ansinnen auf ein Debütalbum. Einzig Internet-Konzertschnipsel deuten darauf hin, dass SoKo noch dran ist.
In diesem Jahr erschien nun – überraschend und wie aus dem nichts – ihr Debütalbum, „I thought i was an alien“. Ich sag mal – ohne nur einen Song davon zu kennen -, der Titel passt. War „I’ll kill her“ geprägt von viel Lo-Fi Charme und stark akzentuierten, irren englischem Gesang, so scheint das neue Material davon weit weg zu sein:

„…und im Vergleich zur ersten EP ist mit dem starken französischen Akzent auch ein wenig das Schräge, Versponnene und Kiecksige verloren gegangen. Ausnahmen bilden hier das eröffnende „I Just Want To Make It New With You“, das klingt wie eine frühe LoFi-Aufnahme von CocoRosie, und das abschließende „You Have A Power On Me“, einem Experiment in schrägem Gesangsstil und Xylophon-Freistil. Die 13 dazwischen befindlichen Songs klingen getragen, melancholisch und depressiv“ (platten vor gericht)

Aber, und das hatte ich unterschätzt, SoKo schien trotz der längeren Abwesenheit nicht aus dem Gedächtnis interessierter Musikhörer und Teeniemädchen gerutscht zu sein. Nachdem ihr Berliner Konzert bereits seit längerer Zeit ausverkauft war, meldete auch das Gebäude 9: rien ne va plus.
Ich bekam das Anfang der Woche nur durch den Zufall einer last.fm Nachricht mit. Dort wurde ich gefragt, ob ich nicht noch ein Ticket für das Konzert am Mittwoch in Köln übrig hätte. Dies sei ein letzter verzweifelter Versuch, doch noch das Konzert besuchen zu können. Wie, ein Ticket über? Ein flüchtiger Blick auf die Seite eines Internet Ticketdealers bestätigte meine Ahnung. Nee, das Konzert ist nicht ausverkauft, da gibt’s noch Karten. Wieso sollten da auch mehr Leute hinwollen als z. B. zu Sebadoh? Ich hätte jedoch weiter klicken sollen, dann hätte ich bemerkt, dass Karten nicht mehr verfügbar sind. So entdeckte ich diesen Umstand erst über die Gebäude 9 Seiten, auf denen ich einige Zeit später nach interessanten Juni Konzerten suchte.
Mist! Doch ausverkauft!
Das Mist bezieht sich dabei rein auf meinen geplanten Dienstagabendablauf, den ich nun umstellen musste und nicht auf die Tatsache, dass ich es SoKo nicht gönnen würde, in einem vollem Gebäude 9 zu spielen. Es reicht nicht, erst um kurz nach halb zehn in Köln zu sein. Wenn ich wirklich etwas von dem Konzert mitbekommen möchte, dann muss ich zeitig anreisen. Ach, warum können Konzerte nicht erst um zehn Uhr beginnen.
Als ich das Gebäude 9 betrat, spielte SoKo bereits. Ich hörte ihre Stimme, sah sie aber nicht. Natürlich hatte ich es nicht zeitig genug geschafft, loszukommen, nun schien ich den Salat zu haben. Dass ich die Französin nicht sah, lag daran, dass sie sich hinter das Schlagzeug gesetzt hatte. Das stand ganz hinten im Dunkeln. Es war noch Vorprogrammzeit, aber die komplette SoKo- Band stand bereits auf der Bühne. Die Violinistin, Max, der Bassist und Stéphanie Sokolinski.*
Das Gebäude 9 war bereits voll und die Luft zum schneiden dick. Ich gab mir maximal eine Stunde in diesem Saunading. Das würde dann immerhin für knappe 20 Minuten SoKo reichen, so meine erste Hochrechnung. Dass dann alles anders kam und ich es doch knappe 2 Stunden im Saal aushielt, fasse ich immer noch nicht. Ich mag Hitze nicht, ich mag zu enges beieinander stehen nicht, ich mag es hinten im Gebäude 9 nicht, aber all diese Negativargumente zählten im Laufe des Abends immer weniger.
SoKo spielte so grandios auf, dass ich all mein Komfortzonendenken ablegte. Hinzu kam ein Umstand, den ich bisher nur in der Kulturkirche bei einem Sophie Hunger Konzert so erlebt hatte: mucksmäuschenhafte Stille. Selbst hinten nahe dem schmalen Ausgang in Richtung Vorraum war es so still, dass man die Klingeltöne der Mobiltelefone in den Kleidungstaschen des Nachbarn hören konnte. Also des über-übernächsten Nachbarns.
„Was ist das für ein nerviges Geräusch“ fragte Stephanie nach drei, vier Songs. Es sei die Klimaanlage, kam die Antwort. „Arrgh, sie klappert so, das stört.“ Oh nein, dachte ich, als in der nächsten Pause das Geräusch nicht mehr zu hören war, sie haben sie runtergefahren. „Ade ihr Kubikmilliliter Frischluft.“ Gerade zu beginn, in den ganz ruhigen Stücken, die SoKo allein auf der Gitarre vortrug, wäre etwas Luftbewegung gut gewesen. So zum entspannten reinkommen und akklimatisieren.
In diesen Momenten erinnerten mich ihre Songs an Nico. Betrübt und tiefmelancholisch depressiv klangen sie. Das SoKos Stimme arg angeschlagen schien, war überdies nicht zu überhören, verlieh den Songs jedoch einen noch morbideren Nico- Charakter. Die Songs schienen allesamt vom neuen Album zu sein.
Aha, das klang alles ganz anders als dieses sarkastisch bittersüße „I’ll kill her“, durch das ich vor Jahren auf die mittlerweile in L. A. lebende Französin aufmerksam wurde. „I don’t kill people“, so erwiderte sie die Rufe nach ihrem vermeidlich größten Hit. Gegen Ende des Konzerts erklärte sie dann ausführlicher, warum sie dieses Lied nicht mehr spielen wolle. Es transportiere nicht mehr ihr Gefühl, sie habe bemerkt, dass sie sich mit den Worten darin nicht mehr einverstanden erklären kann und nur als ausführende Marionette des Publikums dieses Lied anzustimmen, oh nein, das wäre es ja wohl nicht. Es sollten doch alle Spaß in einem Konzert haben, nicht nur das Publikum, sondern auch die Musiker auf der Bühne. Schlüssig und plausibel vorgetragen – wahrscheinlich muss sie sich jeden Abend erklären – gab es hierfür großen Applaus. Aber zu diesem Moment fraß ihr das Gebäude 9 eh schon aus der Hand.
Im Sinn des Luftaustausches gab es im Set auch laute Stücke. Ich glaube, dann wurde schnell das Gebläse aktiviert, denn im Laufe des Abends wurde das Raumklima deutlich erträglicher. Meist spielte SoKo dann Schlagzeug. Ihr Drummer hätte über Nacht die Band verlassen, so müsse sie eben diesen Job auch noch erledigen. Believe it or not, die Schlagzeuggeschichte entwickelte sich zum running gag des Abends. Nichtsdestotrotz, Musiker, die mit umgeschnallter Gitarre Schlagzeug spielen, sieht man selten. Es scheint aber – wenn auch mehr schlecht als recht – zu funktionieren.
So wechselten laute mit leisen Songs, Geschichten mit Alien- Saalbeleuchtung und allerlei anderen Dönekes einander ab. Um kurz vor halb zwölf, ich war tatsächlich immer noch im Saal, kam das für mich überraschendste Statement meiner gesammelten Kölnkonzerte: „Das Gebäude 9 sei mit Abstand das ruhigste Publikum der letzten Konzerte gewesen.“
Unglaublich.

Setlist:
01. I cannot be bothered to open my eyes again
02. Crybaby
03. Treat your woman right
04. Why don’t you eat me now, you can
05. Little mermaid man
06. Trapped in Freedom
07. We might be dead by tomorrow
08. For Marlon
09. Don’t you touch me
10. Destruction of the disgusting ugly hate
11. I just want to make it new with you
12. I thought I was an Alien
13. People always look better in the sun
14. I never meant to hurt you
15. First love never die
16. How are you?
17. Happy Hippie Birthday
18. No more home, No more love.
19. You have a power on me

* Wie ich heute lesen musste war es auch irgendwie die SoKo Band, die das Vorprogramm bestritt, weil ihr eigentliches Vorprogramm die Tour verlasen hat.

Multimedia:

Kontextkonzert:

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. U.

    Ach, dann scheint das mit der Saunatemperatur und dem Sauerstoffmangel wohl zum Tourneekonzept zu gehören …

Schreibe einen Kommentar