Ort: Het Depot, Leuven
Vorband: Mess Esque

Das wusste ich nicht, und ich war sehr überrascht über die Geschichte, die mir vor Konzertbeginn erzählt wurde. Es geht um eine Kassette, ein Unikat, das vor jedem Bonnie Prince Billy Konzert am Merchstand verkauft wird. Darauf enthalten ist, ich sag jetzt mal, exklusives Bonnie Prince Billy Songmaterial. Die Kassette wird dem vermeintlichen Käufer allerdings nur nach Nennung eines Codes ausgehändigt. So weit, so nerdy. Der Code wird über die sozialen Netzwerke Bonnie Prince Billys im Vorfeld bekanntgegeben. Verantwortlich dafür ist, so entnehme ich dem Instagram Post – den ich erst nach dem Konzert recherchiert habe – ein Mann namens Oscar Parsons.
Oscar Parsons will sell these human-hand-assembled (by dennis loeser) comp cassettes containing all sorts of bpb things, one copy available per show. ask him by using the password “apocalypse no no no!” at the merch table. see you soon netherlands, see you soon belgium, see you soon france, and warsaw too. what’s good eats in warsaw?
Instagram Post
Ich bin natürlich viel zu spät, um überhaupt den Hauch einer Chance zu haben, die Kassette kaufen zu können. Ca. 100 Leute stehen vor mir am Het Depot, die Schlange reicht fast bis zur Bahnhofsunterführung auf der anderen Straßenseite der verkehrsberuhigten Bahnhofstraße. Aber ganz davon abgesehen, ich hätte auch keinerlei Interesse und/oder Ehrgeiz am Kassettenkauf entwickelt, selbst wenn ich in irgendeiner Art und Weise die Möglichkeit dazu bekommen hätte. Bei diesen Dingen bin ich raus.
Die Geschichte über die Kassette erzählt mir mein belgischer Konzertkollege, der etwas weiter vorne in der Schlange stand und den ich später im Saal treffe. Er wiederum hat die Geschichte von zwei Regensburgern, die ihn auf einen jungen Mann aufmerksam machten, der wohl schon ein paar Minuten länger am Het Depot wartete, um als erster im Gebäude und damit am Merchstand zu sein. Später sehen wir auch ihn im Saal, er zeigt uns ausgiebig das Objekt der Begierde. Er hatte schlussendlich das Rennen um die Kassette gegen einen der beiden Regensburger gewonnen. Was für eine interessante Geschichte. Das klingt alles sehr nerdig, das gebe ich zu, dabei bin ich gar kein Bonnie Prince Billy und/oder Country Nerd.
Ich bin eher zufällig hier. Erst zu Beginn der Woche, beim obligatorischen Konzertlistenaustausch wurde ich auf das Konzert aufmerksam. Natürlich ist es seit langem ausverkauft, aber überraschenderweise bietet Ticketswap selbst am Samstagvormittag noch ausreichend Tickets. Und da ich abends noch keine konkreten Pläne hatte und da der Ticketpreis unter 30 Euro fiel, zog ich einfach die Option und nutzte die Gelegenheit, mir Bonnie Prince Billy abends in Leuven anzuschauen. Im Herbst letzten Jahres spielte er ein paar Konzerte in Deutschland, was mich damals bereits leicht interessierte, aber aufgrund horrender Ticketpreise direkt wieder abschreckte. Als ich aber so nebenbei auf dieses Konzert im Het Depot aufmerksam gemacht wurde und die Rahmenbedingungen mehr als passenend waren, griff ich zu.
Und so machte ich mich bei bestem Wetter auf nach Leuven. Knappe zwei Stunden später stand ich vor der Frituur hinter dem Bahnhof und entschied mich doch dagegen, kurz einzukehren. In 10 Minuten öffnet das Het Depot, eine halbe Stunde später startet die Vorband Mess Esque.
Also wechselte ich die Bahnhofsseite, das Het Depot liegt direkt am Vorplatz des Leuvener Bahnhofs und war überrascht, als ich eine Schlange nahezu quer über den halben Platz sah. ‘Oh ha, da bin ich wohl nicht der einzige Interessierte.‘ Der Einlass geht zügig, und als ich den Saal betrete, ist vorne überraschend viel Platz. Die meisten Leute suchten sich gute Sitzplätze, andere kaufen noch Getränkejetons an den Automaten, so bleibt auch für die nicht ganz pünktlichen noch ein Platz in den vorderen Reihen. Wie immer ist in Belgien alles ganz angenehm und sehr entspannt. Wie erwähnt, ich bin jetzt nicht so der große Country/Folk Fan, daher war ich mir über diesen Abend im Vorfeld nicht sicher, ob und wie er mir gefallen würde. Im Intervall von Sterbenslangweilig und ‘ich gehe eher’ bis hin zu ‚überraschend gut’ und ‘ich werde Countryfan’ ist – so denke ich – alles drin. Das Ende ist mit 23 Uhr angegeben, hoffentlich wird es nicht zu lang.
Erstmal ist die Wartezeit bis zum Auftritt von Mess Esque enorm kurzweilig. Auch der Auftritt der australischen Band ist okay. Ihr Folkrock wird durch die wunderbare Stimme von Helen Franzmann sehr hörenswert. Zusammen mit dem Gitarristen Mick Turner ist sie Mess Esque; an diesem Abend begleitet sie ein Schlagzeuger. Alle drei Musiker*innen sehe ich später nochmal wieder, wenn sie den größten Teil des Bonnie Prince Billy Konzerts unterstützen. Ihr aktuelles Album erschien vor ein paar Tagen, es heißt Jay Marie, comfort me. Das hhvmag schreibt über das Album:
Das australische Duo, bestehend aus Helen Franzmann und Mick Turner, baut in seinen Stücken keine klassischen Songs, sondern Kulissen aus Nebel und Hall. Jeder Ton wirkt wie von innen beleuchtet, jede Melodie wie eine Frage, die sich selbst beantwortet. Durch diesen Nebel aus schimmernden Gitarrenlinien und hallenden Beats taumelt Franzmanns Stimme, mal schlafwandlerisch sicher, mal sirenenhaft lockend.
Ich sehe jedoch weder Nebel, höre aber dafür klassische Songstrukturen. Wie dem auch sei, Mess Esque sind – wie ich finde – eine passende Vorband. Auch, weil Mick Turner bereits mit Bonnie Prince Billy zusammengearbeitet hat und sie im Laufe des Abends diese Songs gemeinsam präsentieren können.
Über Bonnie Prince Billy bzw. Will Oldham weiß ich eigentlich nur, dass er irgendwann auch mal was mit den Silver Jews zu tun gehabt hat. Dass er auch das Coverfoto von Slints Albums Spiderland fotografierte, wusste ich nicht. Das lese ich erst in meiner Nachbereitung zum Konzert. Ich bin also bestens vorbereitet. Zusammen mit dem Saxophonisten und einem Flötisten/Gitarristen betritt er nach kurzer Umbaupause die Bühne. Am Schlagzeug sitzt derweil erneut der Mess Esque Schlagzeuger. Dieses Mal nur mit etwas Glitzer auf der Wange. Glitzer tragen übrigens alle vier Musiker. Sie starten mit „2/15“, ursprünglich einem Song von Mick Turners geschriebenen Stück. Im Laufe des Konzertes folgt noch ein weiteres, „64“. Beide stammen von der Get on Jolly EP, die um die Jahrtausendwende entstanden ist. Letzteres habe ich nachgelesen. Sehr überraschend für mich bin ich ratzfatz im Konzert. Ab dem zweiten Song passt es für mich, ab dem dritten Song denke ich, es ist ein überragendes Konzert, ab dem fünften Song bin ich mir da sehr sicher. Von Langeweile aufgrund zu viel Countrygedudel keine Spur. Genau erklären, warum es mir so geht, kann ich nicht. Fest steht aber, dass mich die Bühnenpräsenz von Will Oldham fesselt und sehr beeindruckend rüberkommt. Musikalisch geht es mir ein bisschen so wie mit Johnny Cash Songs. Eigentlich nicht mein Ding, andererseits höre ich sie sehr gerne.
Auf der Bühne spielen die vier sehr ruhig und sehr bedächtig. Die Songs sind nicht dramatisch überladen, sie klingen eher minimalistisch und sehr eindringlich. Oft schleicht sich das Saxophon ruhig und langsam in die Songs, oft wird die Gitarre nur leicht angezupft, die Schlagzeugtrommeln mehr gestreichelt als geschlagen. Ich muss schon genau zuhören, um die Feinheiten überhaupt mitzubekommen. Die Texte und Ansagen von Will Oldham entbehren oft nicht einem leichten Sarkasmus der Welt, dem Konzert und des Lebens gegenüber. Das ist natürlich sehr unterhaltsam und passt in die gesamte Szenerie des Konzertes.
Zur Mitte des Sets gesellen sich Helen Franzmann und Mick Turner zur Bonnie Prince Billy Band. zwei Musiker*innen mehr, die aber nicht dafür sorgen, dass es lauter wird. Helen Franzmann singt ab und leise ein paar Backing Vocals und die Gitarre von Mick Turner macht nun auch nicht einen Unterschied aus, wie ich finde. Aber sie stören auch nicht. Zum Ende des Konzerts kommen noch zwei Songs, die ich mir zur Konzertvorbereitung angehört hatte: „I see darkness“, der Hit von Bonnie Prince Billy und ein sehr schönes „Boise, Idaho“.
Himmel, was war das für ein schöner Abend. Manchmal ist es gut, wenn man sich neuen Horizonten offen gegenüber zeigt und sich Dinge einfach mal antut, auch wenn sie auf einen ersten Blick unsinnig erscheinen. Ich werde jetzt kein ausgesprochener Bonnie Prince Billy Fan, aber ich kenne jetzt seine Musik und weiß, dass ich mir durchaus die ein oder andere CD kaufen sollte.
You are what you are. If you don’t like it, take drugs.
Setlist:
01: 2/15
02: New partner
03: London May
04: The water’s fine
05: Sometimes it’s hard to breathe
06: Guns are for cowards
07: The brute choir
08: West Palm Beach
09: Strange form of life
10: Strange trouble
11: Blood of the wine
12: So everyone
13: Lay and love
14: Like it or not
15: 64
16: I see a darkness
17: Crazy blue bells
Zugabe:
18: Boise, Idaho
19: Our home
20: Shorty’s ark
Kontextkonzerte:
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