Ort: Jaki, Köln
Vorband: Fräulein

Big Joanie - Köln, 11.10.2023

Tatsächlich wahr. Im Jaki war ich bisher noch nicht. Dabei liegt der Umbau vom Studio 672 zum Jaki nun schon wirklich einige Jahre zurück. 2019 wurde das Kellergeschoss im Stadtgarten grundrenoviert. Ich war 2018 zum Konzert von Suuns das letzte Mal hier; damals gab es hinten noch eine Sitzecke und die Bar war an der linken Seite des Saals installiert. Im Jaki ist die Grundordnung etwas anders. Die Bar rutscht nach hinten, aber nicht ganz an die Wand, man kann noch um sie herum gehen, die Sitzecke ist verschwunden und die Bühne wurde etwas verbreitert. Sie umfasst nun die gesamte Kopfbreite des Saals. Der Saal wirkt übersichtlicher und ich denke auch bei einem ausverkauft ist es hier nun angenehmer, Konzerte zu gucken, als im alten Studio 672.
Das Big Joanie Konzert ist an diesem Abend nicht ausverkauft. Im Club Volta spielen The Murder Capital, es gibt also ein gutes Konkurrenzangebot. Ich bevorzuge jedoch Big Joanie. The Murder Capital sah ich in den letzten beiden Jahren sehr oft, Big Joanie dagegen erst einmal. Vor einigen Jahren stolperte ich im Rahmen des Crossing Border Festivals in Den Haag in ihr Konzert und war spontan sehr angetan. Mir gefielen ihre do-it-yourself Herangehensweise und die Songs. Vor allem das feine Solange Cover „Cranes in the sky“ blieb hängen.

Als dann das Konzert in Köln bekannt gegeben wurde, blieb mir förmlich keine andere Wahl, als mir ein Ticket zu kaufen. Auch passte mir das Jaki besser als Konzertvenue in den Kram als das in Deutz gelegene Carlswerk Victoria. Im Moment sind große Bauarbeiten auf meiner Zugstrecke in die große Stadt, so dass der Pendelverkehr nur eingeschränkt mit Zügen umgesetzt wird; der größte Teil der Fahrten wird mit Schienenersatzverkehr durchgeführt. Und der Schienenersatzverkehr ist eklig. Er ist der Rosenkohl unter den öffentlichen Personennahverkehrtransportmöglichkeiten. Aushaltbar, aber freiwillig nie erste Wahl.
Froh war ich, als ich tags zuvor bemerkte, dass die Verbindungen um halb sieben nach und um kurz vor 23 Uhr zurück aus Köln als Direktzüge angesetzt waren. Yeah, das passt gut, das sind genau die Verbindungen, die ich für einen entspannten Konzertbesuch brauche. haha, Schienenersatzverkehr. Da nahm ich es auch entspannt hin, dass die Hinfahrt 30 Minuten länger als sonst üblich dauert; die Strecke ist aktuell nur eingleisig befahrbar, in Erftstadt muss die Bahn auf den Gegenzug warten. Ach egal, ich habe ja Zeit. Ich bin immer noch zwanzig vor acht im Stadtgarten.

Das hat natürlich alles nichts direkt mit dem Big Joanie Auftritt zu tun, gehört aber zur Geschichte dieses Tages. Denn das mit den Zügen wird später noch unerwartet interessant.

In der Woche vor dem Konzert las ich, dass sich die Band personell verändert hat. Die Schlagzeugerin Chardine Taylor-Stone hat – kurzfristig? – Big Joanie verlassen. Schade, in Den Haag fiel sie mir besonders auf. In vorderster Reihe am Bühnenrand stehend spielte sie die Schlagzeugtrommel und ich hatte den Eindruck, dass sie vielleicht die wichtigste Person in der Band sei. Überraschend nahm ich daher die Meldung in der letzten Woche zur Kenntnis. Auf Instagram las ich ein Statement von Big Joanie, auf Twitter eines von Chardine Taylor-Stone. Für die anstehende Tour in Kontinentaleuropa (oder das Mainland, wie die Bassistin Estella Adeyeri es nennt), Köln steht dort auf Platz eins, solle eine Interimslösung die Dinge am Schlagzeug vorerst regeln.

We’re sad to announce that after 10 incredible years of playing together, our drummer Chardine Taylor-Stone is leaving Big Joanie. If you’ve ever seen us live then you’ll have seen her standing up front and centre, drumming with her unique self-taught style, and speaking powerfully in support of the marginalised. A founding member of the band, it’s been truly magical to watch her grow over the past decade, and such an honour to share a stage together. We will miss her immeasurably, and can’t wait to see what new ventures she turns her talent and creativity to next. ❤️ Thank you to everyone who has supported the three of us over the years – we end this era of Big Joanie having achieved so much more than we could have ever imagined. All shows during our upcoming EU tour will feature an interim drummer, as we transition into a new chapter for the band.

Big Joanie – Instagram

So sitzt dann ein Mädchen namens Lu am Schlagzeug und ihr ist die Nervosität deutlich ansehbar. Ein zwei kleine Verspieler und Abstimmungsprobleme werden jedoch nonchalant weggelacht. Gut so, es soll doch allen bestmöglich Spaß machen. Neben Lu komplettiert Vanessa an den Keyboards Big Joanie an diesem Abend. Viel mehr als die beiden Vornamen erfahre ich über die Tour/Gastmusikerinnen nicht.

Im Jaki bin ich zeitig, der Saal ist nahezu leer. Im Laufe der Vorband füllt sich dann aber doch ganz gut. Für mich lief es bisher nach Plan, ab jetzt wird es aber ein skurriler und dämlicher Abend. Also abseits der Musik, Fräulein und Big Joanie trifft keine Schuld.
Es beginnt ganz harmlos. Im WC des Jaki möchte ich mir kurz die Hände waschen. Ich nehme also ordentlich Seife aus dem Seifenspender, um erst dann festzustellen, dass es kein Wasser gibt. Beide Wasserhähne funktionieren nicht. Mit seifenverklebten Händen steh ich da und gucke dumm aus der Wäsche. Es fühlt sich nicht gut an, die Seife klebt stark. Ich schaffe es so gerade, mir die Seife mit den Trockentüchern von den Händen abzuwischen, Gott sei Dank ist die Flüssigseife sehr flüssig. Es gelingt mir ganz gut.
Später an der Bar möchte ich mein Bier mit der EC-Karte bezahlen. ‚Erst ab 10 Euro möglich’, entgegnet mir die Barkeeperin. Na, so teuer sei das Bier wohl nicht, antworte ich.  Sie guckt irritiert und ich suche mein allerletztes Bargeld zusammen. Eigentlich wollte ich mir davon morgen früh ein paar Brötchen beim Bäcker kaufen. Der nimmt nämlich auch ungern bis überhaupt nicht Kartenzahlungen an. Nun, dann regle ich das irgendwie anders. Mit eigenem Toastbrot anstatt frischen Brötchen zum Beispiel.

Big Joanie spielen gut. Der Sound ist schwer und klingt ab und an nach Bluesrock. Plus Postpunk-Gitarren. Gerne wird ihr Musikstil mit Punk, DIY und bluesigem Riot Grrrl umschrieben. Das passt auch ganz, finde ich. Die neuen Sachen sind auf den ersten Liveeindruck etwas rockiger als die Sachen vom ersten Album Sistahs. Bei „In My Arms“ erinnert der Bass sanft an The Cure, „Happier still“ dagegen ist viel Alternative Rock in Skunk Anansie Manier. Es geht auf Back Home also gut durch die Musikstile. „Your word“ gefällt mir gut. Dass danach leider „Cranes in the sky“ so gar nicht bei mir ankam, liegt an der Deutschen Bahn, nicht an Big Joanie. Wie gut, dass ich den Song live schon einmal hören durfte. Auf der am Boden liegenden Setlist sind noch zwei Songs als Zugabe ausgewiesen. Ich weiß allerdings nicht, ob sie die auch gespielt haben.
Denn zu diesem Zeitpunkt bin ich bereits auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Als ich um kurz vor 22 Uhr, Big Joanie kündigen da gerade mit der Ansage ‘a couple of more songs’ ihre letzten beiden Songs an, meine Bahn-App routinemäßig checke, sehe ich ein rotes Kreuz hinter meiner geplanten Zugverbindung. Halt fällt aus, bedeutet das. Okay, dann nach Süd oder zum Hauptbahnhof. Als ich sehe, dass auch die Halte ausfallen, werde ich etwas nervös. Die nächste Direktverbindung, und auch die letzte, geht eine Stunde später. Aber auch hier fallen alle Kölnhaltepunkte aus. Ich klicke umher und lese etwas von einem Bombenfund und Gleissperrungen. Na toll.
Als Big Joanie „Cranes in the sky“ ankündigen, entdecke ich eine zusätzliche Verbindung Schienenersatzverkehr. Mit dem Bus bis nach Erftstadt und dann in den Zug. Scheinbar die einzige und letzte Möglichkeit, heute noch ohne Taxikosten nach Hause zu kommen. Ich prüfe die Abfahrtszeiten der Straßenbahnen, ich muss um kurz nach halb elf am Hauptbahnhof sein. „Cranes in the sky“ ist mittlerweile durch, ein letzter Song wird angekündigt. Ich beschließe, die drei Minuten abzuwarten und dann zur Straßenbahnhaltestelle zu gehen. Um 10 nach 10 sitze ich in der Linie 5 zum Hauptbahnhof, 20 Minuten später im Bus.

Zuvor boten Fräulein ein passendes Aufwärmprogramm. Gitarristin/Sängerin Joni Samuels und Karsten van der Tol am Schlagzeug bilden eine niederländisch/irische Kombination, die mich ein bisschen an Royal Blood und diese eine belgische Band erinnert. Zwei EPs haben sie veröffentlicht, Songs wie “Big cool” oder die neue Single “The last drop” gefallen mir gut. Allerdings, und das ist Teil zwei der Geschichte, hat diese Art von Musik bei mir nur eine sehr kurze Halbwertzeit. Ich fürchte, nächste Woche habe ich Fräulein wieder aus meinem Musikgedächtnis verloren. 

Setlist:
01: Cactus tree
02: Happier still
03: Used to be friends
04: Taut
05: Confident man
06: Today
07: What are you waiting for?
08: Your words
09: Sainted
10: It’s you
11: Fall asleep
12: Cranes in the sky
13: In my arms

Kontextkonzerte:
Big Joanie – Crossing Border Festival Den Haag, 05.11.2021

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