Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband: Little wings

Angel Olsen

Es war eine Szene des Abends. Mittlerweile ist ja Gang und Gebe, dass auf Konzerten auf Teufel komm raus gefilmt und fotografiert wird. Erst neulich bei The Cure stand ein Pärchen vor mir, bei dem der Freund wohl den Auftrag bekommen hat, jeden Song bildlich festzuhalten. Mehrmals! Plus Bühnenselfies. Und so war er mehr mit Fotos machen beschäftigt als mit zugucken. So ist das nun mal heutzutage, ich möchte das gar nicht kritisieren. Die technischen Möglichkeiten sind da, also werden die technischen Möglichkeiten genutzt. Warum auch nicht. Jeder nach seiner Fassong, wie man im Rheinland so sagt. Aber, wie so oft, gibt es auch Extreme. So wie der Typ beim The Cure Konzert hatte auch ein Typ beim Angel Olsen Konzert das Bedürfnis (ich vermute wohl weniger die Pflicht), viel aufzunehmen und viele Fotos zu machen. Der Unterschied war nur, in einer Mercedes Benz Arena ist das nicht so auffällig und für Umstehende und Musiker nicht so nervig wie im kleinen Stadtgarten.

Nervig für die Musiker, denen permanent eine Kleinbildkamera vor die Nase gehalten wird, auffällig und ärgerlich für die Umstehenden, weil der beste Platz des Saales durch einen Permanentfilmer besetzt ist und das Gehampel mit den Armen dann auf Dauer doch irgendwie stört. Da steht er dann, und filmt ohne Ende. Nicht nur einen Song, sondern mehrere. Eigentlich alles. Pseudofachmännisch mit Kameraschwenks. Nach drei Songs ununterbrochenen Filmens machte ein Mitarbeiter der Band (oder des Stadtgartens) ihn darauf aufmerksam, doch bitte etwas weniger zu filmen. Er akzeptierte, für 3 Songs. Dann zückte er sein Handy und machte munter weiter. Als es zur Zugabe dann scheinbar einen kleinen Disput mit der Angel Olsen über sein Verhalten gab, hörte ich nur seinen Kommentar ’chill Angel, chill.‘ respektvoll klang das nicht, ich weiß aber nicht, was die Sängerin vorher gesagt hatte. Wie dem auch sein, die Band begann, „Intern“ zu spielen, der Permanentfilmer machte das, was er bis dahin machte: er filmte. Eine sichtlich angefressene Angel Olsen zeigte ihm darauf über Minuten den Stinkefinger,  bis schlussendlich der Bandmitarbeiter erneut kam, und, unter dem Applaus der Umständen, den Permanentfilmer von seinem Platz verwies.
Die Frage ist nun, ist das richtig oder ist der Platzverweis übertreiben? Ich meine, er war richtig. Wie so oft im Leben ist auch das Filmen und Fotografieren bei Konzerten von nicht akkreditierten Fotografen eine Sache des gesunden Maßes. Niemand hat etwas gegen das tapen des Lieblingssongs,  solange nicht vorher absolutes Filmverbot ausgewiesen wurde. Das gehört zum Fantum ja irgendwie dazu. Auch Angel Olsen hatte nichts gegen Fotos und ein paar Videoaufzeichnungen von anderen Besuchern. Nur, und das kann ich voll nachvollziehen, wenn jemand permanent vor der eigenen Nase mit einer Kamera rumfuchtelt und sich scheinbar null auf das Konzerterlebnis einlässt, dann ist das nicht nur unhöflich, dann geht das einfach nicht. Wer in der ersten Reihe steht, der möge doch auch den größten Teil des Konzertes zuhören und dem Künstler das Gefühl geben, dass er wegen des Konzerterlebnisses da ist. Das ist zumindest meine Meinung.

Die anderen Szenen des Abends waren dagegen viel amüsanter und herzerfrischender!
Wenn zum Beispiel die zweite Sängerin sanft und weicht ein paar schüchterne Tanzeinlagen hinlegt.
Oder wenn der Gitarrist vor mir stehend sein Spieldingens aus der Hand fallen lässt, es mit verdrehten Augen vom Boden aufhebt, und schmunzelnd weiterspielt.
Oder wenn er Blickkontakt zu den ersten Reihen sucht, verschmitzt dabei lächelt und kleine Grimassen schneidet.
Oder wenn Angel Olsen munter mit der Band kommuniziert. (‘Hey Emily, du bist ja auch da. Alles okay?’).
Dann sind das die Szenen eines Konzertes, die Spaß machen.

Sind das Anzeichen für einen guten Abend? Ich denke ja.
Dieses tolle Konzert habe ich Facebook zu verdanken. Ich sage es, wie es ist. Erst durch eine dieser sonst nervigen, gesponserten Werbungen in meiner Timeline wurde ich auf Angel Olsen aufmerksam gemacht.

Nach ausverkauften Konzerten in Hamburg und Köln gibt es noch Tickets für den Kölner Stadtgarten…

So las sich ungefähr der Wortlaut des Werbeposts. Das machte mich neugierig, ich klickte den beigefügten Link, gelangte zu einem Video und hörte „Shut up kiss me“. Bähm. Das war gut, das war sogar sehr gut. Ich kannte den Song irgendwoher, nur hatte ich ihn nicht mit der amerikanischen Sängerin in Verbindung gebracht. Wann ist das Konzert? Freitag. Da habe ich noch nichts vor. Ticket zum Warenkorb hinzufügen? Ja.
Und so stand ich an besagtem Freitagabend im Stadtgarten vor der Bühne. Ich freute mich auf das Konzert. Ich war gespannt, ich war neugierig. Je mehr Videos ich mir am Nachmittag von Angel Olsen angeschaut hatte, umso mehr wurde ich Fan ihrer Musik.
Die Mischung aus Country, Singer/Songswriter und Indiegitarren faszinierte mich. Anfangs hatte ich Spontanassoziationen wie Lisa Germano oder Brenda Kahn, später – und erst recht im Laufe des Konzertes – musste sich diese revidieren. Nein, mit beiden hat die Angel Olsen Band nichts gemein. Das hier war anders. Das hier war ganz anders. Mir fehlt ein Vergleich. Allein diese wunderbare Slidegitarre, die längeren Gitarrensoli, die dramatisch aber unaufgeregt klangen, waren großartig. Das ließ die Songs  nicht nach Protest oder Sozialkritik klingen, das klang mehr nach einer abgespeckten Dinosaur Jr Variation im Gemässigkeitsmodus. Was für ein Quatsch, aber so in der Art war über weite Strecken des Konzertes mein Eindruck.

Im Internet las ich, Angel Olsen bringe den Grunge in ihre eigentlich countryesken Songs. So könnte man es auch umschreiben, und das ist nicht nur auf die Nirvana Gitarre zu Beginn von „Give it up“ und die 1990er Jahre Alternative-Rock Motive in „Not gonna kill you“ zu beziehen. Vom zarten Singer/Songwriter hatte das Konzert nicht so viel gemein. Klar, die Grundzüge der Songs sind ruhig, aber live wurden sie durch die zweite Gesangsstimme und vor allem durch die zweite Gitarre um so vieles bombastischer und rockiger, dass ich mich andauernd auf das nächste Stück die nächste laute Gitarrenphase freute. Ich genoss diese Sequenzen, die so perfekt und fein arrangiert waren, dass es mir einfach Spaß machte, ihnen zuzuhören. „Sister“ war das Kernstück des Abends. Lang. Laut. Fleetwood Mac trifft auf Neil Young. Inklusive furiosem Gitarrenfinale. Da passte alles und es war die Blaupause dessen, was sich den ganzen Abend über abspielte und was ich versuche, in diesem Abschnitt zu beschreiben. „Special“, noch so ein Langatmer, stand ihm vier Stücke später in nichts nach.
Da ich die aktuelle Platte erst hinterher kaufte, kannte ich nur die Videosongs, trotzdem fühlte ich mich vom ersten Takt an heimisch. „Never be fine“, Hi five“, bevor mit „Shut up and kiss me“ der Hit früh rausgehauen wurde. Das war gutes Zeugs, und bis zur Zugabe mit „Intern“ und „Woman“ änderte sich daran nichts.

Die Band kam im Beatles Gedächtnisoutfit. Graue Anzüge, weiße Hemden, diese schmalen Krawattendings. Das sah schnieke aus. Die reguläre Angel Olsen Combo um Bassistin Emily Elhaj, Schlagzeuger Joshua Jaeger und Gitarrist Stewart Bronaugh wird um zwei weitere Musiker verstärkt. Ein weiterer Gitarrist, der lustige, der vor mir steht, und eine Backgroundsängerin. Sechs Personen in Summe. Das größte Bandaufgebot, das ich in dieser Woche sah. Viel los auf der Bühne, weniger im Konzertsaal. Es war gut besucht, aber nicht wirklich voll. Und allen, die nicht da waren, muss ich leider sagen, sie hätten besser da sein sollen. Dann hätten sie nicht eines der besten Konzerte des Jahres verpasst.

Die Vorband.
Little wings. Als ich den Stadtgarten betrat, spielte sie bereits. Ich sah einen bärtigen Sänger und hörte Folkkram. Oh Gott, dachte ich, das kann ja zäh werden. Wurde es aber nicht. Weder musikalisch noch visuell. Zum Ende des Songs zog der Sänger seine Hose aus. Ich war irritiert. Darunter trug er eine weitere Hose. Eine weiße Jeans statt der schwarzen zuvor. Zwei Songs später zog er sein Hemd aus, darunter trug er ein grünes T-Shirt. Weisse Hose und grünes Shirt war nun die Banduniform. Auch die anderen beiden Musiker trugen diese Kombination. Gut, das wirkte genauso theatralisch wie der Ausdruckstanz von Sänger Kyle Field und albern, aber mittlerweile hatten mich Little wings musikalisch milde gestimmt und ein bisschen überzeugt. Da fällt das dann nicht so ins Gewicht. Denn es war nicht so folkig, wie der erste Höreindruck befürchten ließ. Zum Ende ihres Auftritts klang das Trio gar ein bisschen nach Yachtrock. Nicht so verkehrt.

Am Ende des Tages waren wir uns einig, ein gutes Konzert erlebt zu haben.

Das war ganz schön laut und krachig. Aber Krach ist Musik in meinen Ohren.

Dem ist nichts, aber auch rein gar nichts hinzuzufügen. Ach, an diesem Abend passte einfach alles zusammen.

Kontextkonzert:

Fotos:

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