Ort: Club Volta, Köln
Vorband: ĘSYA

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Es ist meine Premiere, ich besuche zum ersten Mal den Club Volta auf dem ehemaligen Industriegelände an der Schanzenstrasse. Er ist sowas wie der kleine Bruder des Carlswerk Victoria. Beide Säle liegen in der gleichen Industriehalle, nur getrennt durch einen gemeinsam genutzten Innenhof. Soweit so gut. Was beide Konzertorte damit aber auch gemeinsam haben, ist die chaotische Parkplatzsuche in der Dauerbaustelle rund um die Schanzenstrasse und für mich die Unmöglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einer einigermaßen akzeptablen Zeit hierhin zu gelangen. Beides trifft natürlich auch auf die nur einen Steinwurf entfernt gelegenen Palladium und E-Werk zu. Abgesehen davon ist es ein schönes Gelände, und wenn die Baustellen abgeschlossen sind, ist das gesamte Gebiet ein toller Arbeits- und Kulturort.
Als ich am frühen Abend den Vorraum des Clubs betrete, suche ich den Eingang zur Halle. Ich sehe ihn nicht, drehe mich kurz um und entdecke eine Bühne. Ist das die Bühne, auf der später ĘSYA und Algiers auftreten werden? Ja. Ich brauche nicht lange um zu schnallen, dass ich bereits im Konzertraum stehe. ‘Komische Anordnung‘, denke ich. Der Haupteingang direkt neben der Bühne und die Theke im Hintergrund vermitteln nicht den Eindruck, dass dies der Konzertsaal ist. Ein paar Minuten länger beschäftigt mich noch die Frage, ob sich die Bands in dem großen Spiegel, der über der Bar hängt, beim Konzert selbst beobachten können. Dann schweifen meine Gedanken ab und ich denke mehr über das folgende Konzert nach. Beim nachmittäglichen Vorband googlen habe ich Gott sei Dank noch mitbekommen, dass die Savages Bassistin mit ihrem Soloprojekt ĘSYA den Abend eröffnen wird. Ich hätte mich doch sehr geärgert, wenn ich nur aus Trägheit ihren Auftritt verpasst hätte.

Algiers.
Das Feuilleton feiert die Band gerade gehörig ab. Neben den obligatorischen Berichten in Musikzeitungen und in Onlinemagazinen zappte ich durch Zufall an einem Sonntagabend in einen Algiers Bericht im ARD Magazin TTT. Und überall Lobeshymnen. Folgerichtig sind in den Tagen danach einige Konzerte ausverkauft, unter anderem das im Kölner Club Volta. Was so ein bisschen Medienpräsenz an der richtigen Stelle ausmacht. Aber, und das muss ich klar und deutlich sagen, das aktuelle Album der Band aus Atlanta hat es auch verdient! There is no year ist ein tolles, interessantes und sehr hörenswertes Album, für mich noch eine Spur besser als das schon sehr gute The underside of power. Algiers vermischen hier irgendwie alles: Post-Punk, Gospel, Südstaatenblues, Rock. Ich kann das gar nicht besser beschreiben, als nur all die Musikrichtungen aufzuzählen, die mir beim Hören der Songs in den Kopf kommen. Songs wie die von Algiers habe ich bisher nicht gehört, ich kann sie mit keiner anderen Band vergleichen.
Fünf Mann stehen im Volta auf der Bühne. Bassist Ryan Mahan, Gitarrist Lee Tesche, Schlagzeuger Matt Tong, Sänger Franklin James Fisher sind die Algiers Kernband. Ergänzt wird das Quartett um und eine weitere Person – wenn man gemein wäre könnte man sagen der Kumpel der Band, der eigentlich kein Instrument spielen kann aber trotzdem mit auf Konzertreise soll – die im Bühnenhintergrund allerlei Kleininstrumente wie Rasseln, Schellen, etc. aus einem Köfferchen holt, damit Geräusche macht und ab und an in Refrains die zweite Gesangsstimme gibt. Da die Bühne des Volta nicht allzu groß ist, geht es ein wenig beengt zu.

Mein vor einigen Tagen angeführter Vergleich zu TV on the Radio wird an diesem Abend als völliger Unsinn enttarnt. Mag ich beim Platte hören ab und an an TV on the Radio erinnert worden sein, live geht mir der Vergleich völlig ab. Algiers sind live nicht so melodiös wie auf Platte, auch wenn melodiös für Algiers ein vielleicht unpassender Begriff ist. Es ist mehr Noise, mehr Durcheinander. Zeitweise fühle ich mich durch die Vielzahl der Klänge überfordert. Hier noch eine Rassel, dann kurz ein Saxophon, die übereinander geloopte Gitarre, der mehrstimmige Gesang. Algiers spielen einen so dichten und vielschichtigen Sound, es ist schwer, dem in jeder Sekunde hinterherzukommen. Einzig das Outcast Cover „Liberation“ bringt ein bisschen Pop in die ansonsten durch Blues, Punk und Noise aufgeheizten Songs.

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Aber der Reihe nach. Den Abend eröffnet Ayşe Hassan mit ihrem Solo-Projekt ĘSYA. Dem Zuspruch im Volta nach zu urteilen wissen vielleicht zwei Hände voll, wer da gerade auf der Bühne steht. Die Bassistin der Savages kämpft in den ersten Minuten mit der Musikanalage und dem Zuschauerzuspruch. Beide wollen sich nicht so recht auf die Synthie-Sounds aus dem Computer einlassen. Die Boxen dröhnen viel zu übersteuert den Gesang und die Keyboards weg, die Zuschauer gehen lieber nochmal raus oder bleiben an der Theke kleben. Beides ändert sich während des halbstündigen Auftritts nur bedingt.

Auch als das Saxophon von Ryan Mahan das Konzert von Algiers einläutet, ist es vor der Bühne noch gemütlich voll.
Matt Tong hat nichts verlernt, sein Schlagzeugspiel ist nach wie vor exzellent. Bereits bei Bloc Party war er derjenige, der den Songs das entscheidende Etwas gab. Und so ist es auch bei Algiers. Mit den ersten Schlagzeugbeats hört man, dass hier ein großer Fachmann am Werk ist. Es ist auch sein verdienst, dass es quasi kein warmspielen gibt, sondern dass Algiers direkt vom ersten Song an ein Höchstmaß an Dichte, Dampf und Intensität erreichen. Die Messlatte ist somit früh gelegt worden und den fünf Musikern gelingt es, sie nicht zu unterbieten. Allerdings ist es auch nicht möglich, sie allzu hoch zu überspringen. Im Laufe des Abends wird der harsche Sound nicht noch harscher, der soulige Gesang nicht noch souliger und die wilden Rasseleskapaden nicht noch wilder. Algiers haben gleich zu Beginn des Konzertes ihr höchste Intensität erreicht, eine Steigerung scheint unmöglich.
Das Publikum steht und staunt. Ich hätte ehrlich gesagt mehr Getanze erwartet. Aber es bleibt verhältnismäßig ruhig und bewegungslos im Saal. Interessanterweise ist der Altersdurchschnitt relativ hoch. Ebenso die Weintrinkerdichte. Ich hatte nicht mit so viel – ich sag jetzt mal – Kulturpublikum gerechnet. Ist das die Konsequenz aus Beiträgen im Kulturfernsehen?
Sie frickeln viel. Franklin James Fisher loopt fast bei jedem Song irgendwas, seine Stimme, einen Gitarrenpart, das Schellenrasseln. Im Hintergrund kniet ihr fünfter Mann und holt allerlei Kleininstrumente aus dem vor ihm geöffneten Koffer. Klarer Eyecatcher ist jedoch Lee Tesche, und das nicht nur wegen seines Karate Kid Stirntuchs. Er beansprucht auf der kleinen und zugestellten Bühne den meisten Raum, er bewegt sich am wildesten zwischen Bühnenrand, Schlagzeug und Keyboard hin und her. Die Bühne ist dabei kompromisslos gleichbleibend in blauem Licht gehüllt. Eine Lichtshow gibt es nicht.
Der Sound im Club Volta bleibt leider nicht so gut. Wie schon bei ĘSYA klingt alles hallig und schlecht ausgesteuert. Die Ansagen von Franklin James Fisher zum Beispiel sind kaum hörbar. Im Laufe des Abends wird er zwar besser, aber so richtig gut wird es nie. Ich bin angetan.

Algiers erfüllten alle meine Erwartungen. Es war ein guter Konzertabend mit einer Band, die aktuell ihresgleichen sucht.

Kontextkonzerte:
Algiers – Absolutely free Festival Genk, 04.08.2018

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