Ort: Tours & Taxis, Brüssel
Vorband:

dEUS

Heimspiele sind die besten Spiele, dachte ich, als ich mich gegen 2 Uhr nachts auf den zugegeben etwas unheimlichen Heimweg zu meinem Hotel im Brüsseler Norden machte. Ich hatte gerade zwei Stunden dEUS Konzert hinter mir und war noch völlig aufgekratzt. In Gedanken das grandiose Konzerte vor Augen, die Melodie von „For the Roses“ im Ohr, so ließ sich der kleine Fußmarsch entlang eines Kanals leicht und schrecklos bewältigen.
dEUS gehören zu meinen absoluten Lieblingsbands, seit sie Mitte der 90er Jahre mit ihrem Händchenhalten-Video erstmals bei MTV’s 120 Minutes auftauchten (oder hieß es 1994 bereits 420 Minutes bzw. Alternative Nation?). Die Belgier um die kongenialen Tom Barman und Stef Kamil waren der Beweis, dass intelligenter Rock Underground nicht nur von Sonic Youth oder anderen amerikanischen Bands stammen muss. Einen Festivalsommer waren dEUS der letzte heiße Scheiß, und das zu Recht. Ihr 1994er Debütalbum Worst Case Scenario war ein Noise Album par excellence. Während in Großbritannien die Wiedergeburt des Britpops anstand, Oasis veröffentlichten Defintely maybe, hatte der Kontinent mit dEUS seine eigenen Indielieblinge. Neben „Suds & Soda“ hatte das Debüt mit „Via“ und “Hotellounge“ gleich drei potentielle Indie-Evergreens und zeigte bereits früh, was diese Belgier drauf haben. Welche andere Indieband hatte seinerzeit schon eine Geige im Instrumentenschrank? Bei dEUS war sie elementar wichtig, als Ohrenschmeichler wie bei „Via“ kam sie zum Einsatz, aber auch, wenn es experimentell-laut und kratzig-schräg werden sollte. Unglaublich toll sind die Geigensequenzen in „Suds & Soda“, wenn Tom Barman und Stef Kamil darüber ihr ‚Friday, Friday‘ brüllen.
Zwei Jahre nach Worst Case Scenario erschien mit In a Bar, under the sea Album Nummer zwei, 1999 mit The ideal crash Album Nummer 3. Für mich war es in dieser Zeit schwer, dEUS live zu sehen. Im Nachhinein glaube ich nicht, dass ich sie damals auf irgendeinem Festival gesehen habe, und so recht weiß ich auch gar nicht mehr, wo ich sie zum ersten Mal gesehen habe.
Eine Recherche in diesem Blog ergab fünf Konzertbegegnungen seit 2006. Die Konzertphasen nach Pocket Revolution habe ich also gesehen. Das ist die Periode der zweiten dEUS. In der sechsjährigen Pause zwischen The ideal crash und Pocket Revolution hat sich die Band personell sehr verändert. Aus den Anfangszeiten blieben nur noch Sänger Tom Barman und Klaas Janzoons (Keyboards, Violine) übrig, Gitarrist Mauro Pawlowski, Bassist Alan Gevaert und Schlagzeuger Stéphane Misseghers kamen neu hinzu.
Diese Formation hat sich bis heute gehalten und stand auch im Brüsseler Tours & Taxis auf der Bühne. Das Tours & Taxis, ein ehemaliges Fabrikareal im Backsteinstil, war der veranstaltungsort des belgischen PIAS Nites Festival. Als dEUS Anfang des Jahres quasi als Headliner für dieses kleine Festivals bekanntgegeben wurden, war das für mich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Endlich wieder ein dEUS Konzert und endlich die Möglichkeit, sie in Belgien zu sehen. Zu Ehren von 20 Jahren Worst Case Scenario, so war der Auftritt angekündigt. Dass sie aber ein Albumkonzert spielen würden, stand für mich nie zu zur Frage. Zu sehr hat sich die Band bei ihren letzten von mir gesehenen Konzerten ihrem Debüt verweigert, als dass sie es jetzt vollständig spielen sollten. Und abgesehen davon, es fehlen wichtige Musiker von damals. Unabhängig davon war meine Vorfreude riesig, es war klar, dass ich da hin muss, nicht möchte!

Da der Zeitplan des Abends bis zum dEUS Auftritt enorm aus den Fugen geraten war, ist es bereits Sonntag, als dEUS die Bühne der größeren der beiden Hallen betreten. (Es wurde immer abwechselnd in zwei Hallen gespielt, in der größeren The Spectors, Milky Chance, Girls in Hawaii und dEUS), in der kleineren Champs, John Grant und Melanie de Biasio). Trotz der späten Stunde, der Auftritt liegt 45 Minuten über der geplanten Anfangszeit) ist die große Shedhalle (Kölner Palladiumgrösse) pickepacke voll. Die Erwartungshaltung an das Konzert scheint nicht nur bei mir enorm groß.

Unter großem Jubel betritt die Band die Bühne und es ist mir bereits nach wenigen Sekunden klar, dass dies ein besonderer Abend werden würde. Es war so einer dieser Momente, die ich nicht erklären kann, die es aber gibt. Sie kommen einfach, unangekündigt, ungefragt. Dieses sichere Gefühl, dass das Konzertaußergewöhnlich gut wird, verfestigt sich während des Openers „Slow“. Oh ja, diese Band ist heute in Spiellaune und das Publikum außergewöhnlich gutherzig.
Bereits nach drei, vier Songs scheinen sich meine kühnsten Träume zu erfüllen. Insgeheim hatte ich auf eine Art best-of Setlist gehofft. Als mit „Instant street“ sehr früh der erste Welthit gespielt wurde („The Architect“ – auch ein Hit – lag da schon hinter mir), ist mir klar, da müssen noch weitere folgen. Das können sie so nicht stehen lassen.
„Instant street“ ist der erste Gänsehauterzeuger. Bereits nach wenigen Sekunden erkennt die halbe Halle den Song und die Freude darüber ist zum Greifen. Es entsteht diese einzigartig wundervolle Konzertatmosphäre, wieder nicht beschreibbar, die aber jeder Konzertgänger kennen dürfte, der jemals einen perfekten Augenblick mit seiner Lieblingsband erlebt hat. Auf sicherlich 10 Minuten dehnen dEUS den besten Song ihres 1999er Albums The ideal crash bis zum Schluss aber auch wirklich jeder um mich herum die Refrainmelodie wenigstens mitsummt: „bababa baba baba“ Großartig! Und die heulende Violine. Toll! Ach, alles super!

Das dEUS in Belgien eine andere Nummer sind als bei uns in Deutschland war mir klar, dass sie aber in der Heimat so groß und so abgefeiert werden, nicht. Schon allein für dieses „Instant street“ lohnte der Ausflug.
Was soll jetzt noch kommen? Wie kann das noch gesteigert werden? „Little arithmetics“ heisst die Antwort. Nach oben hin scheint die Skala an diesem Abend offen. Mein Zweitliebstes nahezu direkt nach dem Liebsten, ich bin überglücklich.
Spontan fällt mir das Band of Horses Kulturkirchenkonzert ein. Das Konzert meines Lebens. Sollte sich gar an diesem Abend eine Ablösung vollziehen? dEUS sind kurz davor, und noch sind ja einige Songs zu spielen. Zwischen meinen Lieblingsliedern kurz eine eigenwillige, aber erkennbare Version von Fleetwood Macs „Oh well“, dann besinnen sich dEUS wieder auf die eigenen Hits.
In den knapp 2 Konzertstunden gibt es keine Füller. Als schwächsten Song empfand ich das französisch chanson-eske „Quatre Mains“, das beste schwächste Lied überhaupt. „Fell off the floor, Man“, „Keep you close“ und „Sun Ra“ (traumhaft wildes Gitarren-Noise- Zwischenspiel) halten dagegen alles.
Der Focus der Setlist liegt zwar mehr auf den 2005er plus Alben (und damit auf den vermeidlich schwächeren Werken der Band), aber durch die punktuellen Zugaben von The ideal crash und In a bar under the sea ist es dann doch großartig. Ich denke, eine bessere Setlist können dEUS nicht auffahren.

Mit „Bad timing“ gibt es dann das furiose Finale, das ich von dEUS kenne. Da aber schon die Songs zuvor oft in Gitarreninferni ausuferten und von Barman und Co so gespielt wurden, als seien sie ihr letzter Song, ist der wirklich letzte Song entsprechend noch eine Spur heftiger. 10 Minuten „Bad Timing“, mit grandiosen Gitarren. Ich schätze, alle in der Halle haben ein Lächeln im Gesicht. Auch die Band, die wirklich in großer Spiellaune war, geht mit einem zufriedenen Lachen von der Bühne.
Die Zugabe geht dann nochmals weit zurück. „Theme from Turnpike“ und „For the Roses“ vom Zweitlingswerk, bevor der Song kam, der kommen musste: „Suds & Soda”. Nun war das Debütalbum doch noch vertreten. Sieben Minuten Jubel und Goldkonfetti. Ein sehr spektakuläres Ende eines wirklich sehr, sehr guten Konzertes.
Als das Licht angeht bin ich völlig am Ende. Geflasht, sagt man wohl neudeutsch.
Manchmal weiß man gar nicht, wie sehr man eine Band mag oder ihre Musik liebt. Dann bedarf es der besonderen Momente, um das wirkliche Ausmaß vorgeführt zu bekommen. In der Musik, wie auch im anderen Leben. Und dieses dEUS Konzert war ein besonderer Moment, da bin ich mir ganz sicher.
Ein rundum gelungener Abend. Der tat gut!

Setlist:
01: Slow
02: Constant now
03: The Architect
04: Oh your God
05: Instant Street
06: Girls keep drinking
07: Oh Well
08: Little Arithmetics
09: Fell off the floor, Man
10: Quatre Mains
11: Keep you close
12: Sun Ra
13: Nothing really ends
14: Bad Timing
Zugabe:
15: Theme from Turnpike
16: Roses
17: Suds & Soda

Kontextkonzerte:
dEUS – Köln, 14.04.2008  Kulturkirche Nippes
dEUS – Melt! Festival, 18.07.2008
dEUS – Köln, 11.10.2008  Live Music Hall
dEUS – Köln, 28.11.2011  Live Music Hall

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Gudrun

    Schön, dass sich alles so perfekt gefügt hat!

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