Ort: B32, Maastricht
Vorband: The Lumes
Dass auch jenseits des ehemaligen eisernen Vorhangs ambitionierte und gute Indiepoprock Musik gemacht wird, muss irgendwie offensichtlich und einleuchtend sein. Subkultur und Kultur gibt es überall, wo Menschen leben. Aus mir nicht ganz einleuchtenden Gründen ist es nur so, dass Bands und Musik aus diesen Ländern nicht bis zu uns hervordringen. Ich kenne zum Beispiel nur Motorama, eine Band aus Rostow am Don im tiefsten Russland. Darüber hinaus fällt es mir schwer, andere Musiker benennen zu können. Warum das so ist, und warum sicher nicht nur mein Blick eher nach Westen gerichtet ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht hat es etwas mit der Vergangenheit zu tun, vielleicht etwas mit musikalischen Verflechtungen. (Kennt man eine Band, so möchte man auch Bands aus dem musikalischen Umfeld kennen lernen, interessiere ich mich für eine Musikrichtung, suche ich nach ähnlichen Bands – Britpop, zum Beispiel, der per Definition nur aus Britannien kommen kann; oder Grunge, der eigentlich nur im Westen Amerikas beheimatet sein sollte.) Am Desinteresse anderen Erdregionen gegenüber liegt es nicht. Japan zum Beispiel hatte tolle Visual Arts und Pop, Noise Bands, nur leider interessiere ich mich nicht für üppig kostümierte und dramaturgisch durchgestylte Musikshows. Daher besuche ich die wenigen Konzerte, die diese Bands in Europa geben, nicht.
Denn das ist vielleicht auch ein weiterer Punkt. Indiebands aus Osteuropa touren nicht so oft bei uns. Der Aufwand lohnt vielleicht nicht, die Kosten sind zu hoch. Eine Ausnahme hiervon ist sicher Motorama, die gefühlt andauernd in Frankreich/Deutschland oder in Peru unterwegs zu sein scheint. Ende letzter Woche entdeckten wir, dass die mazedonische Band Bernays Propaganda ein paar Konzerte in Benelux, Frankreich und bei uns geben sollte. Einige wenige Auftritte zwar, aber immerhin Auftritte. Deutschland wurde zweimal abgedeckt, natürlich mit Berlin, und ein weiteres Mal mit einem Auftritt in Eisleben. Spontan weiß ich gar nicht, wo das zu verorten ist. Allerdings waren Konzerte in den Niederlanden auch im Tourkalender. Amsterdam zum Beispiel, oder Maastricht. Aha Maastricht. Das ist nicht weit weg, das ist an einem Abend machbar.
Bernays Propaganda sind eine wie ich finde typische Indieband. Angefangen haben sie mit klassischem Indiepop eher britischer Prägung, sich dann aber immer mehr in Richtung Elektroindie bewegt. Teilweise in mazedonischer, größtenteils jedoch in englischer Sprache. Eigentlich gut klingende Voraussetzungen, die über die eigenen Landesgrenzen hinweg funktionieren sollten. Leider ist es schwierig, verständliche Informationen und Videos über die Band zu finden. Die Informationsdichte zu Bernays Propaganda in englischer Sprache hält sich in überschaubaren Bereichen. In ihrer Heimat sind sie, so mein Eindruck anhand einiger Livevideos, mittelgroß. Ich musste zwar ein bisschen suchen, bis ich Videomaterial von der Band fand, aber was ich dann sah und hörte, überzeugt mich. „A bone to the Dog“ halte ich für einen großartigen Song, und live erschien mir die Band Potential zu haben.
Wer sind nun diese Bernays Propaganda? Die Band besteht aus Gitarrist Vasko Atanasoski, Schlagzeuger Dzano Kuc, Bassist Sasa Pavlovic sowie Sängerin Kristina Gorovska und existiert seit 2007. 5 Alben haben sie veröffentlicht, das erste Happiness machine 2009, das aktuelle Politika Ist seit ein paar Wochen auf dem Markt. Darüber steht auf der bandcamp Seite der Band:
It is clear from the get-go that Bernays Propaganda have approached things differently for their fourth album. “Politika” flirts with electronic new-wave, taking away some of the guitars’ sharp edges, while the pace is dictated by a drum machine. A bold move by a band who had the guts to change their sound and approach to music on their fourth album. The new material recalls the sound of New Order and other new-wave artists from the early 80s, as well as the sounds of German Indietronic in the vein of The Notwist, a band that underwent a similar sound transformation with their album “Neon Golden”. Compared to Bernays Propaganda previous releases, “Politika” is permeated by a more melancholy tone – a suitable reflection of the times we live in – putting the vocals more in the spotlight. Lyrically they are as fierce as ever, uncompromisingly commenting on the modern way of living and position of each individual in the contemporary madness called democracy.
Mit diesem Vorwissen machten wir uns auf den Weg nach Maastricht. Nichts sollte uns an diesem lauen Frühlingsabend die Laune verderben. Die niederländische Stadt wirkt einladend auf uns, bevor wir das B32 aufsuchten, das sich östlich der Maas befindet, schlenderten wir etwas umher. Das Konzert mit den beiden Bands The Lumes und Bernays Propaganda war für 20 Uhr angesetzt. Um kurz vor acht war es noch überschaubar leer. Das Konzert fand in einer Art Galerie oder Künstlerraum statt. Ausgerichtet wurde es von einigen jungen Menschen, vielleicht m Rahmen eines städtischen Studentenkulturprogramms. Wir wurden mit zwei Sorten selbstgemachten Kuchen empfangen und der Frage, wieviel wir denn für diesen Abend bezahlen möchten. Die Preisspanne reichte von ‘okay‘ bis ‘awesome‘. Da der Beginn noch etwas auf sich warten ließ, mampften wir erstmal ein Stück Kuchen und schauten uns um. Im Konzertsaal lief eine Videoinstallation, der Raum, ganz in weiß gehalten, wirkte wie ein Ausstellungsraum auf uns. Eine Bühne gab es nicht. Am anderen Ende waren ein Schlagzeug und Boxen aufgebaut, das Mischpult, stand direkt daneben. Alles war über abenteuerlichen Mehrfachsteckerkonstruktionen und Verlängerungskabeln miteinander verbunden.
The Lumes eröffneten. Da wir noch kurz um den Block gewandert waren, kamen wir nicht ganz pünktlich zu ihrem Auftritt in den Saal. Etwa 20 Leute standen umher und lauschten dem Lärm. Oh ja, es war laut, die kleinen Boxen dröhnten ordentlich. The Lumes – Schlagzeug, Gitarre, Bass – spielten einen großartigen Wall of sound. Der Gesang des Sängers übertönte die Gitarren nur dezent. Die Homepage der Galerie beschreibt die Band folgendermaßen:
Rotterdam based post punks channel their teen angst through reverb-soaked songs. For fans of Joy Division, Bauhaus and Feyenoord.
Ich mag lieber Ajax Amsterdam, das jedoch nur am Rande. Mein musikalischer Eindruck war spontan der: My bloody Valentine mit einem Kick amerikanischem Noise. Die drei, vier Songs, die wir hörten, waren wunderbar. Sie passten perfekt in diesen Ort, do it yourself Indierock trifft auf do it yourself Konzertatmosphäre. Es war ein guter musikalischer Start in den Abend, den – wie erwähnt – nichts schlecht machen konnte. Auch nicht der Duft des asiatischen Essens, das neben uns von einem Mädchen ausgepackt und an Ort und Stelle verspeist wurde.
Um kurz nach neun begannen dann Bernays Propaganda. Bereits beim Aufbau und Soundcheck stellte ich fest, dass sie wohl ohne Schlagzeuger das Konzert bestreiten. Lediglich ein Keyboard wurde auf einem Tisch aufgebaut. Der Teppich, auf dem normalerweise die Schlagzeuge stehen, blieb leer. Der Soundcheck dauerte etwas, in einem Gespräch zwischen einem der Veranstalter und der Sängerin Kristina Gorovska bekam ich mit, dass darauf hingewiesen wurde, dass in 10 Minuten das Licht aus den Dachfenstern wegfallen würde, und man sich vielleicht doch besser beeilen solle. Zwar verfügte der Raum über zwei Neonröhrenstränge, die blieben jedoch während der Aufbauphase und des Konzertes aus.
Zwei Hände voll Songs speilten Bernays Propaganda bis 22 Uhr. Das war das offizielle Konzertende, sicher wegen Lärmbelästigungsregelungen, denn das B32 liegt mitten in einer Wohnstrasse.
Musikalisch begann es mit Noise. Das überraschte mich, klang aber nicht schlecht. Erwartet hatte ich Pop, nun dröhnte die Gitarre zum Keyboardbeat. Die Songs begannen mit langen Instrumentalphasen, der Gesang kam meist spät dazu. Ich fühlte mich an Bands wie Health erinnert. Mittlerweile hatten sich ein paar mehr Leute eingefunden, es blieb aber überschaubar. Die Band schien das nicht zu stören. Bernays Propaganda spielten groß auf. Kristina Gorovska performte wie wild und unternahm zu einem Stück gar einen Ausflug ins Publikum. Bei diesem Song las sie Botschaften der Videoprojektion ab.
Das gesamte Konzert über flackerten irgendwelche Filmchen und Bilder über die rückseitige Wand des Konzertraumes. Es war die einzige Lichtquelle im ansonsten dunklen Raum. Ab und verrutschte der Projektor, er wurde dann manuell wieder zurück gerückt. Ach, das wirkte so herrlich entspannt und unverkrampft. Bis auf „A bone tot he Dog“ kannte ich kein einziges Stück. Das störte aber überhaupt nicht.
Nach guten vierzig Minuten war das Konzert vorbei. Oder war es mehr eine Performanceveranstaltung als ein Konzert? Ich bin mir nicht sicher, schlussendlich ist es aber auch egal. Denn es war ein guter Abend, an dem alles irgendwie zusammen passte. Der Ort, die Musik, das Ambiente.
Meine musikalischen Erwartungen an das Konzert erfüllte die Band nicht. Sie übererfüllte sie! Zwar hatte ich mit etwas komplett anderem gerechnet, aber ob dieses andere so famos und gut geworden wäre, ein paar Stunden nach dem Konzert bin ich mir da nicht sicher.
Bernays Propaganda überraschten mich positiv. Ich hoffe, dass die Band ihre Tour als erfolgreich ansieht und in den größeren Städten etwas mehr Leute zieht. Verdient hätten sie es. Ihre Musik ist es wert.