Ort: Club Bahnhof Ehrenfeld, Köln
Vorband:

ToeAuf der Hinfahrt entdecke ich durch Zufall einen Artikel auf der Webseite Psychology of music. Ein Umweg über drei verlinkte Seiten führte mich zu ihr, ohne Hinweise hätte ich die australische Webseite nie und nimmer entdeckt.
‘If you’re happy and you know it: Music engagement and subjective wellbeing‘, so lautet die Überschrift über die Studie, die sich mit der Abhängigkeit zwischen Musik hören/machen/sehen und dem persönlichen Wohlbefinden beschäftigt. Als Ergebnis haben die Forscher herausgefunden, dass regelmäßiges Konzertbesuchen das eigene Wohlbefinden steigert. Was für eine Überraschung, das hätten eifrige Konzertgänger auch so mitteilen können; eine extra Studie über etwas, was klar ist, braucht es da doch nicht. Aber dem empirischen Grundgedanken muss Rechnung getragen werden und so stellten die Forscher nach einer Befragung von 1000 Personen fest, dass ‘das Interagieren mit Musik durch Tanzen oder das Teilnehmen an Musikevents mit höherem subjektive Wohlbefinden verbunden wird, als wenn man diese Dinge nicht tut.‘

The present study uses data gathered in 2014 as part of the 31st survey of the Australian Unity Wellbeing Index to provide insight into the relationship between music engagement and SWB. A stratified random sample of 1,000 participants was interviewed via telephone. The findings revealed that engaging with music by dancing or attending musical events was associated with higher SWB (subjective wellbeing) than for those who did not engage with music in these forms. (Quelle)

Steigern Konzertbesuche mein Wohlbefinden, so verringert Mathe es um den mindestens gleichen Wert. Seit 40 Jahren begleiten mich Zahlen. Rationale, irrationale und solche, die sich als Buchstaben tarnen: erst in der Schule, jetzt im Beruf. Doch so recht Freunde sind wir nicht geworden. Ich könnte nicht einmal sagen, dass sich so etwas wie eine Art Hassliebe zwischen uns eingestellt hat. Nein, Zahlen sind einfach da, so wie ich. Mehr geht nicht zwischen der Mathematik und mir.
Diese gnadenlos schlechte Überleitung hin zur japanischen Band Toe, die ich an diesem Abend in Köln sah, liegt an dem Label, das Toe mit sich herumtragen: Die Japaner machen das, was Fachleute gemeinhin als Math-Rock bezeichnen. Und Math-Rock mag ich, Mathe mochte ich noch nie. Deswegen bin hier und nicht bei der Arbeit.
Toe spielen Math-Rock auf wunderbarste Art und Weise. Zu diesem Ergebnis kam ich zwei Stunden zuvor, als ich die Konzertankündigung für den heutigen Abend entdeckte und eher aus Langeweile ein paar Videos der Band anklickte. Gleich das erste Video, bzw. die Musik in dem Video, begeisterten mich so sehr, dass ich noch ein, zwei andere Clips anschaute um dann spontan zu entscheiden, diese Band sehen zu müssen. Die Videos brachten viele tolle Pling-Pling Gitarren und rein instrumentale Songs.

Mit diesem Wissen machte ich mich auf, gespannt darauf, was mich sonst noch erwartet.
Toe sind der Schlagzeuger Kashikura Takashi, Yamane Satoshi am Bass und die beiden Gitarristen Mino Takaaki und Yamazaki Hirokazu. Zu dieser Kerngruppe gesellte sich in Köln ein Keyboarder, der bei nahezu allen Songs unterstützte.
Toe machen glasklaren Math-Rock. Der Schlagzeuger treibt die Band voran, die Gitarren haben viel Rhythmus, der zwischen schnell und langsam variiert.

Der Konzertbeginn war jedoch leicht anders und abseits von dem, was ich in den Videos hörte. Es begann für meine Ohren jazziger. Auf Rollhockern sitzend und mit Akustikgitarren starteten die beiden Gitarristen Mino Takaaki und Yamazaki Hirokazu in den Abend. Das kam (für mich) unerwartet, aber nicht ungelegen. Die ersten 20 Minuten, die die Band in dieser Konstellation bestritt, waren enorm abwechslungsreich und spannend. Irgendwo zwischen Post-Rock, Jazz und Americana könnte ich die ersten Songs verorten. Die typischen Math-Rockstrukturen hielten sie noch zurück. Aber was heißt das schon, typische Math-Rock Strukturen. Gibt es die eigentlich? Die Musikseite Wikipedia beschreibt Math-Rock wie folgt:

Whereas most rock music uses a 4/4 meter (however accented or syncopated), math rock frequently uses non-standard time signatures such as 7/8, 11/8, or 13/8, or features constantly changing meters based on various groupings of 2 and 3. This rhythmic complexity, seen as „mathematical“ in character by many listeners and critics, is what gives the genre its name. The sound is usually dominated by guitars and drums as in traditional rock, and because of the complex rhythms, the drums section of math rock groups tend to be more salient than in other genres. It is commonplace to find guitarists in math rock groups using the „tapping“ method of guitar playing, and loop pedals are occasionally incorporated, as by the band Battles. Guitars are also often played in clean tones more than in other upbeat rock songs, but some groups also use distortion.

Okay.

Der Bassist trägt eine Fugazi Short. Mmhh, denke ich, das, was ich gerade höre, ist nicht so weit weg von Hardcore. Auch wenn es total abwegig klingen mag. Toe spielen natürlich nicht rau und ruppig, schreien auch nicht, aber der Grundgedanke ihrer Musik ist irgendwie derselbe. Ja, ich sinnierte während des Konzertes ein bisschen über musikalische Zusammenhänge. Wenn ich gefragt werde, wie ich Math-Rock beschreiben könnte, beginne ich immer mit einem namedroppig: Modest Mouse und die Foals. Ihre Frühwerke. Damit können viele bereits etwas anfangen. Zusätzlich empfehle ich, ein paar Sachen von TTNG zu hören.

Doch zurück zum Konzert. Ich bin nicht sicher, ob die ersten drei, vier Songs Stücke aus der Frühphase (Toe veröffentlichen seit 2002 Platten) oder vom aktuellen Album Here you stammen. Mein Hintergrundwissen ist zu gering.
Nach den ersten 20 Minuten änderte sich die Szenerie. Die Schemel wurden weggerollt, Mino Takaaki und Yamazaki Hirokazu nahmen die elektrischen Gitarren und spielten nun die Melodien, also diese feingliedrigen, Wikipedia nennt es ‚reine‘, hochtönigen Gitarren, die ich erwartet hatte, weil ich sie aus den Videos kannte. Ab jetzt wurde es tanzbarer und flotter, inklusive dem ein oder anderer Gitarrenverzerrspiel. Es kam etwas mehr Post-Rock ins Spiel. Das sorgte für viele interessante neue Aspekte. Und für weitere Abwechslung und musikalische Vielfalt. Vor dem Konzert war ich mir unsicher, ob mich das Instrumentalgeplinker auf Konzertdauer nicht müde macht, weil mir die einzelnen Songs beim ersten Kurzhörgang daheim doch recht ähnlich vorkamen. Aber ich dachte falsch. Das Konzert war durch die Bank unterhaltsam, hoch energetisch und sehr kurzweilig.

‘Konban wa.‘ Guten Abend. Kurz vor Ende des Konzertes nimmt Yamazaki Hirokazu doch noch das Mikrofon zur Hand. Er erzählt etwas, bedankt sich. Das vollzieht sich in einem lustig klingenden Kauderwelsch aus japanisch und englisch. Es ist nahezu unverständlich. ‘A couple more‘, soviel wird klar, spielen sie noch. Na dann mal los!
Toe drehen nochmals auf. „Boyo“ und „Song silly“ folgen. Zwei Songs, die ich mir von meiner Videoschau gemerkt habe. Und endlich ein bisschen Gesang. Nein, vermisst habe ich den bisher zwar nicht, aber allgemein und meistens gefallen mir Songs mit Gesang besser als Instrumentalstücke. So ist es auch bei Toe. Für mich ist Yamazaki Hirokazu Gesang sowas wie das Sahnehäubchen auf einem verdammt leckeren Kuchen. Sicherlich, sonderlich gut singen kann er nicht, aber darum geht es auch nicht. Sahne muss auch nicht sonderlich gut schmecken. Sie muss nur da sein. Manchmal reicht schon billigste Sprühsahne aus. Und genauso verhält es sich hier. Der gesang gibt den Songs nochmals einen Schub nach vorn. Egal, wie gut die Stimme klingt.

Das großartige „Goodbye“ zum Schluss darf nicht fehlen. Die Gitarren plingen ein letztes Mal. Noch eine Zugabe, dann ist dieser überraschend schöne Abend vorbei. Überraschend deswegen, weil er so spontan kam und so herrlich verlief.
Ich möchte Toe jedem ans Herz legen. Sie sind eine gute Band.

Kontextkonzert:

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