Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband:

The Thing Jazz KonzertThe Thing, die norwegische Rhythmusgruppe vieler bekannter Indiegrößen wie Neneh Cherry oder Thursten Moore, kenne ich vom letzten Neneh Cherry Konzert im Kölner Stadtgarten. Das war sein toller Abend und zeigte in Ansätzen, was für feine Musiker Mats Gustafsson, Ingebrigt Håker Flaten und Paal Nilssen-Love sind. Wobei Rhythmusgruppe natürlich Quatsch ist, denn The Thing sind eine eigenständige, etablierte Jazzgruppe, die seit 2000 Alben veröffentlicht. Ihr Sound ist dabei so einzigartig und genreübergreifend, dass gerne Indiemusiker anfragen, ob man nicht ein paar Liveshows oder das ein oder andere Album zusammen machen wolle/solle/könne. Thurston Moore etwa, mit dem The Thing 2014 das Live Album aufnahmen, oder Neneh Cherry, mit der die drei 2012 The Cherry Thing veröffentlichten. (Ich empfehle, in das Suicide Cover „Dream baby dream“ hineinzuhören.)

Der Stadtgarten entwickelt sich programmtechnisch immer mehr zu einer ausgewiesenen Jazzadresse. Das bekomme sogar ich mit, obwohl ich im Jazzumfeld nur über ein gefährliches Halbwissen verfüge und mich in keinsterweise als Kenner der Szene bezeichnen darf. Aber ich arbeite mich langsam hinein und beginne dabei natürlich und logischerweise an den Nahtstellen zu meinem musikalischen Heimatbecken Indierock. Colin Stetson ist so ein Jazzer, den ich so vor Jahren beim Primavera für mich entdeckte, und auch die norwegischen The Thing sind aufgrund ihrer Kollaborationen ein solcher Verknüpfungspunkt. So stolperte ich letzte Woche über ihre Konzertankündigung für den Stadtgarten, heute erst sah ich, dass sie auch in Bochum gespielt haben, und beschloss, mir ein Ticket zu besorgen. Als Spielort für diese kleinen Jazzabende wird im Stadtgarten gerne der kleine Saal genommen. Feste Bestuhlung, ruhig, überschaubar. Ich könnte fast sagen, in intimem Rahmen spielen hier Jazzmusiker aller Couleur. Der erwähnte Colin Stetson trat hier mit Ex Eye auf.An diesem Abend bespielen The Thing den nahezu ausverkauften Saal, der für die Skandinavier  nochmals mit einer seitlichen Sitzplatzbühne platztechnisch aufgestockt wurde.

In der Ankündigung schreibt der Stadtgarten folgendes:

Womöglich eines der besten Freejazz-Trios der Gegenwart: Wenn Mats Gustafsson, Ingebrigt Håker Flaten und Paal Nilssen-Love loslegen, dann geht von ihrem Jazz eine archaische Wucht aus, die brachial, roh und zugleich höchst musikalisch anmutet. Wild und ungebremst rast dieser Ton-Sturm über einen hinweg – und hinterlässt einen sprach- und atemlos.

Und was soll ich sagen, das kann ich so unterschreiben: es war beeindruckend stürmisch. Himmel, ich habe so etwas noch nicht gesehen und gehört. Und erwartet hatte ich das eigentlich auch nicht. Ich kannte im Vorfeld nur eine Handvoll Songs und Songinterpretationen, was man eben bei einer YouTube Suche vorgesetzt bekommt. Dass der Sound des Trios aber solche Wuchtwellen schlagen kann, konnte ich mir nicht ausmalen.

Das Konzert war zweigeteilt. Die beiden Sets wurden von einer gut 15 minütigen Pause unterbrochen, die sicherlich auch der körperlichen Anstrengung des Saxophon Spielens geschuldet ist. Im ersten, gut 40 minütigen Block spielen The Thing drei Stücke. Eine halbe Stunde lang knallt das Saxophon atemlos durch den kleinen Saal und ich sehe ekstatische Gesichtszüge beim Bassisten Ingebrigt Håker Flaten. Die ersten beiden Songs werden durch ein Zwischenspiel des Bassisten zusammengehalten, der wie wild am Kontrabass zupft und dabei äußerlich mit seinem Instrument mitleidet. Ja, man kann den Bass elegant spielen und die Saiten mehr streicheln als zupfen, man kann ihn aber anders spielen.  Ingebrigt Håker Flaten  spielt ihn anders. Wild zerrt und zupft er an den Saiten, manchmal haut er mit der Faust auf den Holzkörper. Zwischendurch wechselt er zur elektrischen Bassgitarre und verzerrt und feedbacked wie Kevin Shields. Da klemmt dann schon mal der Drumstick hinter den Basssaiten.
Noch mehr leidet aber der Saxophonist. Nach einer halben Stunde ist Mats Gustafson fertig. Seine Gesichtsadern sind deutlich sichtbar hervorgetreten, die Zunge hängt ihm aus dem Hals wie mir nach fünf Runden Stadtwaldlauf. Er muss jetzt erstmal tief durchatmen, um weiterspielen zu können. Sturzbäche von Spucke laufen aus seinem Instrument, wenn er es auf den Kopf stellt. Saxophon spielen scheint ein undankbarer Job. In dieser wilden Art und Weise muss es fürchterlich anstrengend sein. Aber es ist auch ein tolles Instrument, mit dem man hervorragende Sachen machen kann – und R’n’B Jazz.

Nach einigen Momenten spielen sie ein weiteres Stück, das deutlich kürzer als die beiden vorangegangenen Stücke ist. Dann ist Pause. Es bleibt Zeit, durchzuatmen. Auch für mich. Das war schon überwältigend, vielleicht auch ein wenig bedrückend, was mir da in den ersten Minuten geboten wurde. Ich bin sprachlos und baff. Musikalisch traf ich mich in diesen 40 Minuten eine Gemengelage aus Sonic Youth’scher Klangwirrheit, Colin Stetsons Saxophonwucht, einem Metallica Schlagzeug und den leisesten Bassgitarrenfeedbacksounds, die ich je gehört habe. Genauso verwirrend wie diese Aufzählung klingt, fühlte ich mich auch. Ich konnte das Gesehene nicht recht einordnen, auch mir tat die Unterbrechung ganz gut.
Die Stücke stammten, wenn ich das richtig verstanden habe, vom kommenden Album Again, welches am 24. Mai veröffentlicht wird. Am Freitag dem 25. Mai sei norwegischer Nationalfeiertag, lerne ich so nebenbei, da könne die Veröffentlichung nicht durchgeführt werden.

Nach der Pause ging es nicht ganz so wild weiter. Oder hatte ich mich nur an die Wucht und Dynamik gewöhnt? Auch das ist möglich. The Thing spielen weitere drei Stücke. Das mittlere stammt von Ingebrigt Håker Flaten, die anderen beiden Songs sind Interpretationen anderer Jazzkomponisten. Nachdem sich The Thing in der ersten Hälfte wild und dramatisch gezeigt haben, lassen sie es nun ruhiger und ‘melodiöser‘ angehen. Nahezu sanft und ruhig klingt das Konzert aus.

„Wir haben keine Blättchen mehr, wir haben keine Melodien. Wir improvisieren.“

So kündigt Mats Gustafsson die Zugabe an. Es folgt das leiseste Stück des Abends, ganz ohne irres Saxophon, dafür mit einer Vielzahl kleiner Klimperinstrumente, Schneebesen, Rasseln und Metallscheiben, die Schlagzeuger Paal Nilssen-Love meditativ auf die Trommel fallen lässt. Das war anders als alles zuvor, aber auch das war großartig!

Kontextkonzerte:
Neneh Cherry – Köln, 07.03.2014 / Stadtgarten

Schreibe einen Kommentar