Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband:

Neneh CherryIch arbeite mich gerade an den ersten beiden Staffeln der US Serie Treme ab. Staffel 1 liegt fast durchgeschaut auf dem Festplattenreceiver, Staffel 2 läuft aktuell täglich und wird fleißig aufgezeichnet, während die dritte Staffel wohl bald nachgeschoben wird.
In der Drama-Serie Treme geht es um Musiker, Restaurantbesitzer und andere, die in dem Stadtteil Treme in New Orleans mit den Folgen des Wirbelsturms Katrina klar kommen müssen. Die Handlung beginnt im Herbst 2005, drei Monate nach dem Hurrikan Katrina und konzentriert sich auf die miteinander verbundenen Lebensgeschichten der lokalen Musiker und Stadtbewohner. Dass da viel Musik im Spiel ist, erklärt sich von selbst. Treme ist der älteste Bezirk von New Orleans und historisch bedeutender Ursprung der afroamerikanischen Musik und Kultur. Die post Katrina Nachwehen einer Stadt und der Versuch eines Neuaufbaus mit der Musik und der Tradition New Orleans sind die beiden Anker, die diese Serie zusammenhält und sehr sehenswert macht. Einer der Hauptakteure ist Delmond Lambreux, ein Jazz Musiker, der zwischen seiner Familie in New Orleans und seiner Karriere in New York hin- und hergerissen. Während sein Vater Albert Lambreux um die Freigabe der Projects und für den Wiederaufbau der zerstörten Nachbarschaft kämpft, schlägt sich der Sohnemann mit dem coolen New Yorker Jazzpublikum rum. Die Kritiker sehen in ihm den neuen Wynton Marsalis, aber Platten verkauft er kaum. In einer der letzten Folgen fragte ihn ein befreundeter Musiker vorwurfsvoll, was ihm den lieber sei: Platten verkaufen oder von den Kritikern verehrt zu werden? ‚Es gäbe doch schließlich nichts Wichtigeres als gute Musikkritiken für ein außergewöhnliches Trompetenspiel zu erhalten‘, lautete seine Antwort.

Und was hat das mit Neneh Cherry zu tun? Nicht besonders viel, außer dass auch ihr letztes Album in den vergangenen Tagen überall hochgejubelt und voller Respekt rezensiert wurde. Egal ob Musikexpress, Pitchfork, Rolling Stone, ich las nur Positives über ihr Comeback und das aktuelle Album Blank Project.

„Trout“ war vor vielen Jahren meine Neneh Cherry Droge. Dieses Duett mit dem R.E.M. Sänger Michael Stipe ist der Hammer und zeitlos schön. Knappe 22 Jahre liegt Homebrew, so das Album, auf dem „Trout“ veröffentlicht ist, bereits hinter mir, und mit ihm auch all die weiteren Knaller wie „Buddy X“ oder „Money Love“.
Das nachfolgende und letzte reguläre Neneh Cherry Album Man aus dem Jahr 1996 kenne ich dagegen nicht. Jeder kennt aber sicherlich die Radiohits „7 Seconds“ und „Woman“, die es beinhaltet. Mit Man war Neneh Cherry endgültig er Straße entflohen und im Pop-Radio (damals auch schon wdr2) angekommen. Nichts für mich, und so blieb es auch in den Jahren danach einfach mal für eine längere Zeit ruhig um die Schwedin. Ich verlor das Interesse, nicht nur an Neneh Cherry, sondern auch an HipHop.

Erst 2012 gab es das nächste musikalische Aufhorchen. Zusammen mit dem Trio The Thing veröffentlichte Neneh Cherry ein Jazzalbum voller Coverversionen. Das weiß ich aber nur, weil das Album eine sehr schöne Suicide Coverversion von „Dream baby dream“ enthält, die ich vor 2 Jahren zufällig entdeckte, als ich mich etwas mit Suicide beschäftigt habe. Ach je, dieser Song wird so oft gecovert, es überrascht mich immer wieder, wer und welche Bands sich auf dieses Brachialwerk stürzen.
Soweit meine Neneh Cherry Vorgeschichte. Und nun also ein „richtiges“ Neneh Cherry Album. Keine Zusammenarbeit, kein halbes Mitwerkeln bei einem anderen Musiker. Blank Project ist Neneh Cherry 2014; zwar nicht alleine, aber in Eigenverantwortung. RocketNumberNine sind live die Musiker im Hintergrund, Four Tet der Produzent des Albums.

Blank Project ist ein großartiges Album. Es ist großartig, weil es sehr vielschichtig und abwechslungsreich ist. Ich kann es nicht nur auf TripHop oder HipHop oder experimentellen Jazz eingrenzen. Es ist irgendwie alles und hat alles und diese Mischung hat mich direkt beim ersten Hören umgerissen. Blank Project könnte auch genauso gut von Portishead oder Massive Attack stammen, und es wäre bei beiden Bands nie und nimmer eines ihrer schlechten Alben.

Im Stadtgarten machen Tom und Ben Page an Synthies und Schlagzeug ordentlich Druck. Die Brüder sind RocketNumberNine und begleiten Neneh Cherry auf ihrer kleinen Tour. Ihre Synthies und Schlagzeug dröhnen alles zusammen, in den Anfangsminuten ist es so unendlich laut im Stadtgarten, dass ich meiner Konzertnachbarin mit ein paar Ohrenstöpseln aushelfe. Leider reicht das nicht, um die Gehörgänge wirkungsvoll zu schützen, kurz darauf verlässt sie die vorderen Reihen. Die Lücke wird rasch geschlossen. Der Stadtgarten ist restlos ausverkauft (gibt es eine Steigerung von ausverkauft?) und um Punkt 21 Uhr ist es ziemlich voll und warm im Konzertraum.

Auf den Auftritt muss ich lange warten. 19.30 Uhr Beginn stand auf dem Ticket und in der Zeitungsankündigung. Als ich gegen kurz vor acht den Stadtgarten betrete, sehe ich einen Ankündigungszettel an der Tür und möchte direkt wieder umkehren. 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr DJ Set, 21.00 Uhr bis 22.30 Uhr Neneh Cherry.
Menschenkind, das ist noch über eine Stunde hin. Was tun? Noch ein bisschen durch die Gegend schlendern? Als ich jedoch direkt neben dem Zeitplan das ausverkauft Schild entdeckte, entschied ich mich fürs Warten im Klub. Wie blöd wäre es denn, später kommend im vollen Laden keinen guten Platz mehr zu erhaschen? Doppelt blöd. Also rein und lieber ein bisschen gelangweilt durch die Gegend schauen.

Um kurz nach neun betritt Neneh Cherry unter großem Jubel die Bühne. Wie 50 sieht sie überhaupt nicht aus. Das Publikum ist voller Vorfreude und präsentiert sich sehr durchmischt. Es überwiegt die neue 30er Generation der Anfang 40jährigen, die „Buffalo Stance“ noch live erlebt haben. Aber auch jüngere Menschen nutzen diesen Freitagabend, um eine der großen Musikerinnen der 1990er Jahre zu sehen.
Um es vorweg zu nehmen: Niemand wird sich ärgern, sich aufgerafft zu haben, denn wir alle werden mit einem tollen Konzert belohnt. Neneh Cherry ist gut gelaunt, dieser letzte Abend ihrer kleinen Europatour ist ein Feierabend für sie und ihre beiden Musikerkollegen. Es wird viel gelacht, ab und an ein Einsatz verpasst und gegen Schluss des Sets häufiger im Textbuch, das neben Neneh Cherry auf einem Notenständer liegt, hin und her geblättert.
Das Konzert besteht nahezu ausschließlich aus Songs des aktuellen Albums Blank Project. Der Beginn des Abends ist grandios. „Across the water“ dieser ruhige minimale TripHopper, der erste Song des Albums, der ausschließlich aus ihrem Gesang und Tom Pages Percussions besteht, ist traumhaft. Als „Blank Project“ nachgelegt wird, ist alles perfekt. Sehr viel besser kann ein Konzert nicht beginnen. Die vielleicht besten Songs des Albums gleich zu Beginn, kann das gut gehen? Oh ja, das ging sogar sehr gut.
Mit „Blank Project“ wird es tanzbar und laut. Die Akklimatisierungsphase dauert nicht so lang, die Band ist da und der Stadtgarten ist auf Betriebstemperatur. Neneh Cherry hat uns im Sack, und ein Rauskommen ist nahezu unmöglich. Zwar dröhnen die Ohren, aber niemand weicht mehr von seinem Platz. Neneh Cherry hat sich mittlerweile ihrer Jacke entledigt und hopst in weißen Knöchelturnschuhen und im T-Shirt über die Bühne. Und diese Sängerin soll schon seit zehn Jahren Großmutter sein? Es scheint unglaublich, ist aber so. Ihre Tochter wird dieser Tage 25 Jahre alt, so alt wie ihr größter Hit „Buffalo Stance“. Den wird sie an diesem Abend auch noch spielen, aber erst später.
Erst kommen noch all die anderen Hits vom aktuellen Album: „Cynical“, „Naked“, „Out of the black“. Zu „Everything“ dröhnt der Sound noch mehr, nach fünf Minuten entpuppte er sich als wahrer Tanzflächenfüller und geht dramatisch ab.
Nach Rückblicke auf Vergangenes hoffe ich jedoch vergeblich, kein „Trout“ (ach, wie toll das gewesen wäre), kein „Manchild“ oder „Soul Sassy“. Aber so richtig hätte das auch nicht hierhin gepasst. Überhaupt habe ich eher das Gefühl, dass dieser Abend keiner dieser Best-of Abende werden sollte, keine Rückschau, kein billiger Hitabverkauf.

Und das wirkt überraschend gut. Der Stadtgarten ist nach einer guten Stunde mehr als begeistert und ich denke, niemand hat den Saal verlassen, ohne etwas vermisst zu haben.
Denn als Zugabe kommt er dann doch noch, der kleine Rückblick. Allerdings musste ich schon genau hinhören, um „Buffalo Stance“ in seiner neuen, den Blank Project Sachen angepassten Version zu erkennen.
Dabei bleibt es dann. Punkt. Ende. Aus. Ein tolles Konzert.

Fotos:

Schreibe einen Kommentar