Ort: Live Music Hall, Köln
Vorband: Laura Carbone
Die Band The Jesus and Mary Chain hat mich nie sonderlich berührt. Das gebe ich offen und unumwunden zu, finde es aber, je länger ich an diesem Tag darüber nachdenke, umso merkwürdiger. Es überrascht mich deswegen, weil The Jesus and Mary Chain all das vereinigen, was mich seit meinen 20er Jahren in der Musik und an Bands fasziniert: Gitarren, Lärm, Hoffnungslosigkeit. Gerade Ende der 1980er Jahre, als ich viel House of love, The Sundays, Kitchen of distinction oder My bloody valentine hörte, hätten sie perfekt in meine Lebenssoundtrackplaylist gepasst. Doch hätte, hätte Fahrradkette. The Jesus and Mary Chain fand nicht statt. Nicht so richtig zumindest. Also nicht in dem würdevollen Maß, das sie verdient hätten. Natürlich kannte ich „Head on“ (und das nicht erst seit Trompe le Monde und den Pixies), „Blues from a gun“, „April skies“, „Just like honey“ oder „Some Candy talking“, aber die wichtigen Alben Psychocandy, Darklands und Automatic kaufte ich erst sehr viel später, als mich die Hoffnungslosigkeit von Lost in Translation so stark beeindruckte, dass ich die Musik aus und um den Film einfach in höheren Dosen brauchte und mir ein Angebot einer Triple Sonderedition passenderweise in die Karten spielte. Um dann endgültig ein großer Fan der Schotten zu werden, dazu war die Zeit jedoch zu weit fortgeschritten, ich aus der jugendlichen Wandel- und Zweifelphase heraus und beileibe noch nicht in einer erwachsenen Bill Murray’esken Sinnkrise angekommen. Und überhaupt: die Band war Anfang der 2000er Jahre null existent. Immerhin nahm ich JAMC nun wahr und wusste ihr Werk zu schätzen. Aus der beobachtenden Distanz und mit dem Zeitverzug von mehreren Jahrzehnten.

So war ich folgerichtig nur wenig Feuer und Flamme, als The Jesus and Mary Chain nach einem neuen Album auch eine Europatour ankündigten. Als viele ob der Gelegenheit, die Band endlich (mal wieder) live zu sehen, vollkommen ekstatisch reagierten, blieb ich kühl. Mhh, mmh, 40 Euro, möchte ich das Geld ausgeben für dieses Konzert? Eine Frage, die ich mir nicht oft stelle. Hier poppte sie in den Tagen vor dem Konzert mehrmals in meinem Kopf auf und machte mir Angst. Wieso diese rigorose Haltung, so schlimm waren The Jesus and Mary Chain vor Jahren auf dem Primavera doch nun auch nicht. Ganz im Gegenteil. Und „Just like honey“ mit Bilinda Butcher, das war doch famos! Wie konnte ich da ein scheinbar finales Urteil a la ‘ich möchte die eigentlich nicht sehen wollen‘ fällen. Aber logisch, je näher der Konzerttag kam, desto mehr änderte sich meine Sichtweise. Im Laufe des Tages entschied ich mich dann, ein Ticket zu kaufen. Die Neugierde siegte, oder war es nur die Langeweile und eine konzertiale Sehnsucht, die am Wochenende davor kurzfristig unerfüllt blieb. Nein, es war schon Neugierde und schliesslich auch eine gehörige Portion Vorfreude.
JESUS steht in großen Lettern auf den beiden Orange-Boxen, an denen ganz ruhig William Reids Gitarre lehnt. William ist einer der beiden Reid Brüder, die irgendwann in den 1980er Jahren The Jesus and Mary Chain gegründet haben. Sein Bruder Jim ist der Sänger der Band. The Jesus and Mary Chain steht nochmal auf der Trommel des Schlagzeuges, soll doch keiner fragen, welche Band gleich auf der Bühne steht. Ein drittes JESUS Banner hängt links neben dem Schlagzeug. Während der Umbaupause bot sich die beste und einzige Gelegenheit, den Bühnenaufbau anzuschauen; während des Konzertes sollte das nicht mehr möglich ein.

Denn erst ging das Licht aus (und gefühlt nicht mehr wieder an) und dann kam der Nebel. Viel Nebel. Fast bis gegen Ende des ersten Konzertblocks nach 60 Minuten war die Bühne eine solche Waschküche, dass ich nicht hätte sagen können, wie viele Musiker gerade am Arbeiten sind. Hinzu kam ein dunkles, indirektes Licht, das in seinen Blau- oder Rottönen kaum bis zum Bühnenboden vordrang und mehr den Nebel in einen diffusen Farbmantel hüllte, als tatsächlich Licht spendete. ‘Wie ein Bild von Gerhard Richter‘ kam es mir in den Sinn. Das Konzert sieht aus, wie eines dieser verschwommenen Richter Meisterwerke. Und es fühlte sich auch verschwommen an. Die verzerrten Gitarren passten perfekt zu dem diffusen Licht, und der Nebel perfekt zu den verzerrten Gitarren. In seiner Undurchsichtigkeit passte alles zusammen, und das Konzert entwickelte sich zu einem klanglichen und visuellen Traum, in dem die mir gewohnte Ungemütlichkeit der Live Music Hall nicht existent wurde.
Nebenbei bemerkt war es gut, die Songs zu hören, die ich länger nicht mehr gehört hatte, aber immer noch kannte: „Head on“, „Just like honey“, „Candy talking“. Die Schönheit des Konzertes war davon aber nicht abhängig; selbst wenn The Jesus and Mary Chain nur das neue Album gespielt hätte, wäre es wunderbar gewesen. Oft sage ich das über ein Konzert!
Es verloren sich ein oder zwei ‘a couple of new songs‘ Augenblicke im Set, der große Teil war jedoch den alten Gassenhauer vorbehalten und somit für viele die Zeit der Jugenderinnerungen. Denn natürlich ist das Publikum mit der Band gealtert.

Falsch machen The Jesus and Mary Chain an diesem Abend nichts. Sie geben der Meute, was sie hören möchte und die Meute freut sich darüber wie kleine Kinder. An der Vorband hatte sie jedoch weniger Interesse. Kaum halb voll war der Saal, als Laura Carbone die Bühne betraten. Im Verlaufe des Abends hatte zumindest die Sängerin noch zweimal das Vergnügen, eine aufmerksamere Besucherschar vor Augen zu haben. Zu einem neuen Stück und dem The Jesus and Mary Chain Klassiker “Just like honey“ brauchte es eine weibliche Gesangsstimme, und zwangsläufig fiel die Wahl die Sängerin von Laura Carbone. Wer gehässig ist könnte sagen, ihr wichtigster Job an diesem Abend. Damit täte man ihr und den anderen Musikern aber gehörig unrecht. Nach eigener Aussage habe die Band eine wunderbare Woche verbracht, was ich ihnen sehr gönne. Denn an diesem Abend fand ihre Musik kaum eine Beachtung. Das ist schade, denn manchmal erinnerten mich Laura Carbone an Mazzy Star und passten so thematisch gut zu den Schotten. Aber hey, gerade bei solchen Konzerten (alte Band, die lange nicht auf Tour war) haben es Vorbands nicht leicht. Das musste ich schon oft beobachten.

Kontextkonzert:
The Jesus and Mary Chain – Primavera Sound Festival, Barcelona, 24.05.2013

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