Das vk liegt im Brüsseler Norden, in der Nähe der Metrostation Ribencourt. Die Metro musste ich nicht nehmen, unser Hotel lag nur wenige hundert Meter in Richtung Bahnhof Bruxelles Noord entfernt. Zwei gemütliche Abendspaziergänge waren also garantiert.
The Charlatans im vk 19.02.2008 An der Schoolstraat, die ich zum vk entlanglaufe, befinden sich links und rechts arabische Geschäfte. Mehrere Barbershops, afrikanische und arabische Imbisse, diverse Supermärkte und Kioske sind auch an diesem Sonntag Abend noch gut besucht. Es herrscht ein reges Treiben in diesem Viertel.
Es ist kurz nach 20 Uhr, als ich am vk ankomme. Gleich neben einer Teestube geht es durch eine Tür herein. Durch den Hausflur nach links, und schon steht man im Club. Zwei Treppenstufen rechts runter und der Konzertraum öffnet sich vor einem. Es ist ein länglicher Raum, die Decke holzvertäfelt, die Wände aus Naturstein. Von aussen würde man das hier gar nicht vermuten. Der Club wirkt wie eine Parallelwelt, die so gar nichts mit dem übrigen Viertel zu tun hat.
Als Support eröffnen die belgischen Showstar. Ich kenne die Band nicht. Musikalisch liegen sie irgendwo zwischen den aktuellen dEUS und den rockigen Metal Molly. Eingängige, leicht in die Indierichtung abdriftender Gitarrenrock mit kleinen Popelementen. Sagt man dazu Benelux-Rock? Es klingt zumindest interessant und ist allemal ein zweites Ohr wert. Die Band besteht aus 5 Leuten und mehr ist erstmal nicht in Erfahrung zu bringen. Der Sänger entpuppt sich als exaltierte Rampensau und charismatisches Aushängeschild der Band. Dramatische Gesten im dunklen V-Ausschnitt-Pullunder.
Showstar spielen eine gute halbe Stunde. Aufgehängte Zettel verrieten, dass danach eine halbstündige Umbaupause anstehe, bevor die Charlatans gegen 21.30 Uhr an der Reihe seien.The Charlatans im vk 19.02.2008
Zeit, sich was zum Trinken zu holen. Der Getränkekauf gestaltet sich umständlicher als gewohnt. Es gilt, zuerst Jetons zu kaufen, mit denen man dann sein Bier an der Theke auslösen kann. Jugendkulturzentrum- und Stadtfestcharme, der zweimaliges Anstehen bedeutet. Und ich lerne: Landsleute begegnen einem im Ausland immer da, wo man sie nicht gebrauchen kann. Zum Beispiel, wenn man wartend in einer Schlange steht. Wer drängelt sich von rechts an den Anstehenden vorbei und macht gute 5 Personen Raum- und Zeitgewinn? Richtig, zwei Mitbürger, die sich im Gespräch miteinander als solche outen. Ein Engländer vor mir schaut verwundert drein. Seinen Gesichtsausdruck lasse ich unkommentiert. Ich wundere mich auch nicht darüber, dass der Kollege satte 40 Jetons (= 20 Bier) kauft. Er ist bestimmt nicht alleine hier, oder?
Die Klischeewelt ist mitunter eine sehr reale. Nach dieser schönen, kleinen Inzenierung ging es mit leichter Verspätung um viertel vor Zehn endlich musikalisch weiter.
Die Band um Tim Burgess legte sofort gut los. „Cross my path“ und „Weirdo“ waren die ersten beiden Songs. Ich mag Musik zwar, wenn sie laut ist, aber hier war es doch sehr laut. Ich zückte sofort ein Taschentuch, doch selbst die eigentlich hilfreichen Papiertaschentuchohrstöpsel versagten ihren Dienst. Aber nach ein zwei Stücken pegelte sich die Lautstärke ein, oder haben sich die Ohren nur an den Lärm gewöhnt? Klar war der Sound aber deswegen noch lange nicht. der Bass wummerte teilweise mächtigst, und auch der Rest klang nur bedingt ausgewogen.
Die Charlatans spielten einen guten Mix aus ihrem Repertoire. Auch ein paar neue Sachen, die ich noch nicht kenne, waren dabei. Das neue Album ist erst in einigen Tagen downloadbar, daher konnte ich mir vorher kein Bild über die neuen Sachen machen. Live klang das aber vielversprechend und schliesst gut an der ersten Singleauskopplung „Cross my path“ an.
Schön war es, mal wieder die alten Kamellen wie „The only one i know“, „North country Boy“, „Weirdo“ oder „You’re so pretty“ zu hören. Und immer wieder die Schweineorgel, dass eigentliche Markenzeichen der Charlatans. Mehr als bei jeder anderen Band der Madchester und Rave Zeit.
Die Charlatans wirken frisch und dynamisch. Der Zahn der Zeit ist The Charlatans im vk 19.02.2008natürlich nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen, aber hier steht keine Band auf der Bühne, die nur aus der glorreichen Zeit der Rave-o-lution zehrt und zeitgeschichtstechnisch stehengeblieben ist.
In Würde gealtert, so könnte der Auftritt trefflich beschrieben werden. Nur Tim Burgess scheint Berufsjugendlicher geblieben zu sein. Der Haaschnitt ist noch derselbe wie vor 15 Jahren, und die hippen skinny Jeans dürfen natürlich ebensowenig fehlen. Vielleicht erscheinen gerade deswegen seine Gesichtszüge älter als bei seinen Mitstreitern. 40 Jahre sind halt ne Hausnummer.
Das vk (De Vaartkapoen) ist gut über die Hälfte gefüllt. Das Publikum, durchschnittlich Anfang, Mitte 30, hatte seinen Spas und ging mit. Die Stimmung war gut.
Gegen Ende des regulären Sets ging ich weiter nach hinten, sowohl um meine letzten beiden Jetons einzulösen, als auch um mir schon mal meine Jacke aus der Garderobe zu besorgen. Dabei bestätigte sich der Eindruck vom frühen Abend. Der Gardrobist (?) hatte den Überblick verloren. Nachdem er erst längere Zeit in der falschen Ecke gesucht hat, bietet er mir fragend zwei Jacken an. Ich entscheide mich für meine.
Hier hinten ist der Sound besser. Ich geniesse die letzten beiden Songs der Zugabe und gehe begeistert Richtung Hotel.
Um kurz nach elf ist die Teestube neben dem vk längst geschlossen. Die Läden auch. An der Ecke stehen drei Frauen. Einzig körperliche Dienste kann man heute noch kaufen. Die Strasse wirkt ausgestorben. Leise summe ich charlataneske Orgelhymnen vor mich her. Die Fahrt nach Brüssel hat sich gelohnt. Auch wenn die Charlatans ihre beste Zeit lange hinter sich haben, live sind sie einen Besuch wert.
Auf dem Boulevard d’Anvers sehe ich von weitem einen Verkehrsunfall. Gott sei Dank nur Blechschaden.

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