Ort: Zakk, Düsseldorf
Vorband: Pigeon

Protomartyr

‘Gute Bands sollte man öfter im Jahr sehen’ twitterte ich am Montagabend, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte. Protomartyr erlebte ich erst vor ein paar Monaten in einem ausverkauften Gebäude 9. Das Konzert war toll und als sie vor einigen Wochen weitere Konzerte in meiner Nähe ausriefen, war klar, da geh’ ich hin. Egal, wann und wo ich Protomartyr das letzte Mal gesehen habe. Selbst, wenn es gestern gewesen wäre. Denn gute Bands sollte man öfter im Jahr sehen.
Es dauerte eine Weile, bis Protomartyr nach der gut und interessant klingenden Vorband Pigeon aus Berlin die Bühne betreten. Pigeon erinnern an die Japandroids, haben jedoch einen Gitarristen mehr als die Kanadier und klingen dementsprechend krachiger. Die drei Berliner sind eine gute und musikalisch passende Vorband. Sie sind laut und machen auch irgendwas mit Post-Punkrock.

Joe Casey ist einer der interessantesten Sänger, die ich gesehen habe. Mich fasziniert es sehr, wie er, mehr erzählend als singend, seine Texte präsentiert und dabei seine Stimme gleichbeliebend ruhig und distanziert wirkt. Diese Ruhe und Distanz klingt aber immer so, als würde er gleich wie wild drauflos poltern und einem Worttiraden an den Kopf werfen, die sich gewaschen haben. Ich mag das vielleicht auch deswegen so, weil mich Joe Casey damit ein bisschen an Mark Kozelek erinnert. Und der ist ja derzeit mein Lieblingssänger. Musikalisch sind Protomartyr viel wilder und latent aggressiver als die verschiedenen Kozelek’schen Bandmodelle, da gibt es zwischen beiden Musikern kaum Berührungspunkte.
Ein Protomartyr Konzert zieht aus dem Joe Casey Auftritt seine Extraportion Spannung. Mag er auch der ausgeglichenste Mensch auf Erden sein, steht Joe Casey auf der Bühne, habe ich zu jeder Sekunde ein bisschen Angst oder zumindest höchsten Respekt vor ihm. Immer denke ich, gleich passiert etwas Unvorhersehbares. Unberechenbarkeit ist das Wort, was es am besten trifft. Protomartyr, oder zumindest Joe Casey, wirken auf mich unberechenbar.

Das ist aber nicht alles. Musikalisch haben Protomartyr einiges im Köcher. Ihr aktuelles Album Relatives in descent, mit dem sie im Frühjahr auf Tour waren, gefällt mir bisher am besten. „A private understanding“, „Windsor hum“, „Don’t go to Anacita“, „My children“, auf Relatives in descent sind nur Hits. Dieses Album ist ein Meilenstein im aktuellen Postpunk. Relatives in descent nachfolgend hat die Band in der Zwischenzeit eine EP veröffentlicht. Vier Songs, von denen zwei mit Kelley Deal als Co-Sängerin eingespielt wurden. Die Consolation EP erschien vor ein paar Wochen und gefällt mir bisher nicht ganz so gut. Sie ist mir ein bisschen zu schnarchnasig.

Der Postpunk der Band ist laut. Im halbvollen Zakk Club entsteht nicht ganz die Stimme des ausverkauften Gebäudes 9. Kann ja auch nicht, wenn Enge, Schweiß und die daraus entstehende drückende Stimmung fehlen. Hier und jetzt wirkt das Publikum aufgeräumter und entspannter. Ruhiger ist es, nicht aber leidenschaftsloser. Viele, die da sind, haben die Band schon oft gesehen und nutzen diesen Montagabend, um nochmal kurz vorbeizuschauen, ein Stündchen mitzunehmen. Man kennt sich, man schätzt sich, man weiß, was man erwartet. Entsprechend ist die Stimmung im Saal. Aufgeregte Neugierde weicht einer ich-weiß-Bescheid Attitüde. Protomartyr machen sich daraus scheinbar nicht viel. Warum sollten sie auch, der Zuspruch ist ja da. Er äußert sich nur anders. So erkenne ich keinen Qualitätsunterschied zum Gebäude 9 Konzert. Protomartyr machen ihre Sache, und die ist toll! Ich kann es nicht zieltreffender beschreiben als so: Immer, wenn die gleichtönigen Schlagzeugrhythmen und der Gesang einen Hauch von zu viel Monotonie verbreiten könnten und ich kurz davor bin, abzuschalten, kommt eine Gitarrenspur daher, die so wunderschön ist, dass nie und nimmer Langeweile entstehen kann. So fühle ich Konzerte von Protomartyr. Live sind die Songs viel rauer und wirken stärker auf mich als auf Platte. Das fiel mir gestern wieder auf, als ich, in der Nachbetrachtung zum Konzertabend, Relatives in descent in Ruhe nachhörte.

Aber nochmal zurück zu Joe Casey. Als ich heute durch das Internet fleuchte, fand ich diesen bemerkenswerten Tumblr Blog: Descriptions of Joe Casey – Music writers have had a hard time trying to wrap their minds around Protomartyr front man Joe Casey’s unique brand of anti-charisma.
Ha ha, hervorragend, ich könnte jede Äußerung zitieren, weil einfach jede schlau beobachtet und zutreffend ist. Doch ich belasse es bei einer kleinen Auswahl.

The lead singer, Joe Casey, is incongruous on stage in his khakis, blazer, and polo shirt, looking a bit like the guy who’s always hanging out in any office building’s copy room.

Protomartyr were insanely good last night. Singer like an unholy hybrid of Mark E Smith, Shane McGowan, Neil Hamburger & David Cameron…

Is this: (a) your substitute English teacher hungover from a wine and cheese night, giving a lecture on Shakespeare or (b) Joe from Protomartyr giving the best show I’ve seen this year?

The one who looks like a Belgian lorry driver is lead singer Joe Casey.

Klarer Fall, Joe Casey ist der uneingeschränkte Charismat der Band. Kein Wunder, ein Bierbecher in der Hand, zwei Bierflaschen in der rechten, eine in der linken Sakkotasche. Die Beschreibungen aus dem Tumblr Blog könnten zutreffender nicht sein.
‚Das Konzert ist erst zuende, wenn die Flaschen leer sind‘, spekuliere ich nach den ersten Songs. Als das Set zur Hälfte um war und noch mehr als der halbe Biervorrat in den Sakkotaschen hang, bekam ich kurz Zweifel. Nach zwei Dritteln und der Ansage ‘We have eight more. They are all fantastic‘ wähnte ich mich jedoch wieder auf der Tipp-Spur. Die letzte Flasche leerte sich während der Zugabe. Zwei Songs, kurz und schnell gespielt. ‘Damit wir an diesem Montag rechtzeitig wieder zuhause wären. Morgen sei ja arbeiten. ‘Zuviel der Fürsorge! Zu diesem Zeitpunkt hatte Casey schon ein paar Mühen, das Mikrofon am Halter zu arretieren. Na egal, so kenne ich ihn, so habe ich ihn im April kennengelernt.

Protomartyr sind eine tolle Band! Oder, um noch einmal den Tumblr Blog zu zitieren:

Protomartyr are awesome but they look like 3 scared teens who started a band with their alcoholic uncle.

Kontextkonzerte:
Protomartyr – Köln, 22.04.2018 / Gebäude 9
Protomartyr – Primavera Sound Festival Barcelona, 02.06.2016

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