Ort: Rotondes, Luxemburg
Vorband:

John Maus - Luxemburg, 13.08.2024

Congés Annulés, die zweite.
Als ich die Konzertankündigung von John Maus im Frühsommer entdeckte, war ich überrascht und glücklich zugleich. John Maus, den ich vor vielen Jahren beim Primavera Sound Festival gesehen habe und von dem ich seitdem ein Fan bin, macht tatsächlich noch Musik?! Das ist mehr als Frage gedacht denn als Feststellung. Immerhin liegt seine letzte Veröffentlichung sechs Jahre zurück. Und er kommt tatsächlich für ein paar Konzerte nach Europa! Das ist dann eine Feststellung, über die mich sehr gefreut habe. Luxemburg im August, und später dann noch Frankfurt, Hamburg und Berlin.

Doch nochmal kurz zurück nach Barcelona. Seinerzeit hatte ich mich im Vorfeld nur kurz mit John Maus beschäftigt. Beim durchhören mir unbekannter Musiker*Innen fielen mir seine 1980s Synthie-Sounds positiv auf, sodass ich sein Konzert beim Zusammenstellen des Konzerte-guck-Plans berücksichtigt habe. Ob John Maus eine Band, ein Solokünstler oder ein Projekt, das wusste ich zu dem Zeitpunkt nur unscharf. Er spielte dann mit Schlagzeuger und Gitarristen. Mir vertraute 1980s Beats wummerten über den Platz. John Maus machte irrste Verrenkungen und schlug sich immer wieder vor die Brust oder gegen die Schläfe. Es wirkte wie eine Art  Selbstkasteiung, ich verstand das nicht. Die Songs gefielen mir sehr und das Gesamtpaket – also die ‘Show’ – wirkte über die knappe Konzertstunde auf mich sehr beeindruckend. Monate später sah ich ihn erneut. Auch in Spanien, dieses Mal aber im Norden, in Bilbao beim BIME Festival. An diesem Abend war das Setting komplett anders: keine Band, nur ein Macbook lag auf der Bühne. Es war eine one-man Karaoke Show, der Auftritt allerdings noch zerrissener als Monate zuvor in Barcelona.

Soweit die Vorgeschichte zu meinem Kennenlernen. In den Jahren danach hörte ich nichts mehr von ihm, also wortwörtlich und im übertragenen Sinn. Es blieb ruhig, neues Songmaterial gab – und gibt es – nicht. Einzig politisch motivierte Zwischenfälle nach der letzten Präsidentschaftswahl ließen kurz aufhorchen, wer mag, kann das Googlen. Ich wusste also, was mich an diesem Abend erwartet: keine neuen Songs und eine (w)irre Performance.

Also Luxemburg.
Draußen sind es schwülwarme 30 Grad, im Auto ist die Klimaanlage kaputt. In der Ferienzeit (und das als Memo an mich) ist die Fahrt durch die Eifel sehr entspannt. Erneut komme ich gut durch und bin überraschend zeitig am Luxemburger Hauptbahnhof. Hier ist die Luft noch drückender. Ich gehe zügig in Richtung Rotondes und dann auch direkt in die Rotonde. Ich weiß, sie ist klimatisiert; noch mehr warme Luft brauche ich erstmal nicht. Im Klub bin ich fast allein, gut 20 Minuten vor Konzertbeginn tummeln sich tatsächlich noch alle im Congés Annulés Pop-Up Biergarten rum. Das Konzert ist für 21 Uhr angesetzt, und um 21 Uhr ist die Rotonde auch gut gefüllt.

Auf der Bühne auf dem Boden steht bereits das MacBook, angeschlossen an die Soundanlage.

Es wird dunkel, John Maus kommt aus dem Backstagebereich, drückt auf Play und legt los. Zack, Betriebsmodus auf vollen Touren. Sich akklimatisieren, warm spielen, ‘Hallo’ sagen, alles fällt aus. Überhaupt, John Maus sagt in den nächsten 50 Minuten kein einziges Wort. Er performt kommentarlos einen Track nach dem nächsten. Ich glaube, er beginnt mit „Castles in the grave“, vom 2011er Album We must become the pitiless censors of ourselves,sicher bin ich mir da nicht. Von diesem Album spielt er später noch „Cop Killer“, „…and the rain“ und „Quantum leap“. Da bin ich mir sicher.
Sein hellgraues Hemd ist nach drei Songs durchgeschwitzt, schon zu „Castles in the grave“ hüpft er wie ein irrer über die Bühne, verpasst aber auch Einsätze, so dass ich den Eindruck gewinne, dass John Maus hier unter Vollplayback performt. Egal. Schon nach wenigen Sekunden ist es genau die Show, die ich vom BIME Festival kannte und die ich erwartet hatte. Zum Ende des Songs kniet er sich vor seinen Laptop, trinkt ein paar Schlucke Wasser, schüttet sich den Rest über das Gesicht und startet den nächsten Song. So geht das stereotyp auch in den nächsten Songunterbrechungen.
Manchmal rennt John Maus von links nach rechts, klatscht die Seitenwände ab, so wie wir früher bei Sprintübungen im Schulsport. Wenn er das nicht macht, dann headbangt er mit dem gesamten Oberkörper, springt wie irre auf der Stelle oder schreit herum. Das Publikum feiert seine Emotionen, schreit zurück, ballt ihm die Fäuste entgegen, jubelt. Es ist eine Mischung aus 80s Synthiedisko und Südkurve. 

Musikalisch klingt das Konzert wie ein Synthiemixtape aus den 1980er Jahren. Oft dunkle Keyboards, Atari-eske Dudelsounds, stark hallender Gesang. Ich fühle mich da direkt heimisch, alles kommt mir irgendwie bekannt vor. Auch wenn die Songs mir unbekannt sind. Im Musikjournalistensprech wird das, was John Maus macht, auch als Hypnagogic Pop bezeichnet. Hypna..was? Ich kannte den Begriff auch nicht, finde im Netz eine Erläuterung aus dem Jahr 2012:

Erst einmal zum Wort selbst: ›Hypnagogisch‹ beschreibt den Geisteszustand beim Einschlafen, den Übergang in die Welt der Träume, wenn das Unbewusste langsam seine Schleusen öffnet und Realität und Traum sich vermengen. Weil in dieser Phase des Entschlummerns das Unbewusste besonders viele Bilder produziert, spricht man auch von der ›hypnagogischen Fantasie‹. Der schottische Musikjournalist David Keenan hat daraus 2009 den Begriff ›Hypnagogic Pop‹ abgeleitet. Neben dem typisch verhallten, verrauschten und dösigen Klangbild ist damit eine ›fantastische‹ Heimsuchung durch Verdrängtes und Vergessenes gemeint: Im Pop-Selbst melden sich diffuse Erinnerungsfragmente zu Wort, die sich einst im Unbewussten eingenistet haben. Die Geister der Kindheit steigen empor, selbst längst generalverdrängte Peinlichkeiten wie das von den linksliberalen Eltern geschätzte esoterische Synthie-Gekniedel, Yacht Rock oder smoother Konsenspoprock der 80er Jahre werden im Hypnagogic Pop zum musikalischen Stoff.

POP. Kultur und Kritik – Uni Muenster

Ariel Pink, großer Kumpel von John Maus, wird als sowas wie der Ur-Vater des Hypnagogic Pop angesehen. Generell scheint die Szene relativ überschaubar zu sein.  

Etwa in der Mitte kommt „Bennington“, mein John Maus Lieblingssong. Wenn ich nochmal in den Staaten sein sollte, muss ich die Stadt unbedingt besuchen. Es gilt nur noch herauszufinden, welches Bennington gemeint ist. Wikipedia listet 11 amerikanische Städte mit diesem Namen auf. „Bennington“ ist auch über 12 Jahre oder so alt, aber der Song ist gut gealtert. Überhaupt ist John Maus’ Hypnagogic Pop enorm zeitlos. 21.55 Uhr. Das war es, das Konzert ist nach 50 Minuten vorbei. John Maus hat so unscheinbar die Bühne verlassen, wie er sie bestiegen hat. Eine Zugabe spielt er nicht. Der Saal leert sich schnell, draußen weht ein leichter Wind, der die Schwüle des Abends ein wenig erträglich macht. Auf dem Weg zum Parkhaus zucken Blitze über meinem Kopf. Ein wenig Abkühlung könnte ich gebrauchen. Darüber, dass das Konzert noch nicht einmal eine Stunde dauerte, scheint niemand unzufrieden. Vielleicht, weil sich die 55 Minuten wie 90 Minuten anfühlten.
Verdammt, das war intensiv!

Kontextkonzerte:
John Maus – Primavera Sound Festival Barcelona, 29.05. – 02.06.2018
John Maus – BIME Live Festival Bilbao, 26. – 27.10.2018

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