Ort: Kulturbahnhof Langendreer, Bochum
Vorband: Steffen Nibbe
Was für ein großartiger Abend mit Gisbert zu Knyphausen im alten Kulturbahnhof Langendreer. Viel zu spät beendete die Band ihr Konzert, es schien so, als wollten sie gar nicht mehr aufhören.Anders als die jungen Bouranis hat Knyphausen es wirklich drauf. Ihm fehlen nicht die Worte und die unaufdringliche Melancholie, um die schönen Leiden des jungen Lebens auf den Punkt zu bringen. Dass er dabei vier Musiker um sich versammelt, die alle ihr Handwerk mehr als perfekt verstehen, macht ihm die Sache einfach und ein Knyphausen & Band Konzert zu einer runden Angelegenheit.
Gisbert zu Knyphausen also. Der Name sagte mir lange Zeit nicht viel, ach was, er sagte mir überhaupt nichts. Da konnten alle um mich herum noch so von seiner Musik schwärmen, ich wollte ihn partout nicht kennenlernen. Einladungen mit zu seinen Hoffesten zu fahren, ließ ich verpuffen. Was soll das, irgendwo in Rheinhessen auf einem Weingut ein SingerSongwriter Konzert anzugucken. Der Weg ist zu weit, die Aussicht auf melodramatisches Akustikgitarrengeklimper schien mir nicht lohnenswert genug. Und überhaupt, wo liegt dieses Eltville eigentlich. Und Wein können die Besucher dort auch verköstigen? Na das klang mir doch sehr nach einem gemütlichen Jazz- Frühschoppen. Ich Ahnungsloser!
Was ich damals nicht wusste: Die Knyphausens gehören zu einer der alten Winzerdynastien in Deutschland, ihr Weingut im klassischen deutschen Rieslinggebiet, dem Rheingau, gehört zu den etablierten im Land.
Was ich auch nicht wusste, Gisbert zu Knyphausen ist der deutsche Singersongwriter mit den besten Melodien, der schönsten Traurigkeit und den intelligentesten Texten.
Das entdeckte ich aber erst später. Irgendwann lag dem Rolling Stone ein Knyphausen Live Album bei. Und wie alle Musikmagazin CDs landete auch diese CD im Auto. Auf einer längeren Autobahnfahrt war es dann soweit. Die CD lief und lief und lief und ich erkannte meine Fehleinschätzung. Von da an war es ein Ziel, diesen Knyphausen einmal in einem Konzert live zu sehen.
Gisbert zu Knyphausen. Seine Texte sind wundersam durchdacht, zuweilen gar verschroben. Der Melodieteppich ist eifrig-emsig und gekonnt sowie engmaschig geknüpft. Und damit verbunden sind wiederum Melancholie, Bizarrerie – aber ebenso Poesie. Der deutsche Liedermacher gibt sich zwar unaufgeregt, doch sind seine Live-Auftritte durchaus andersartig.
Diese Andersartigkeit hatte ich nicht im Plan. Zwar haben wir letzten Sommer auf dem Juicy Beats eine Stunde lang Knyphausen und Band zugesehen und zugehört, allerdings ist mir dieser Auftritt in den letzten Wochen aus dem Gedächtnis gerutscht. Als ich mich daher auf den Weg nach Bochum machte, erwartete ich einen ruhigen, schwach instrumentierten Konzertabend. Ich hätte es besser Wissen können. Mein nächster Irrtum.
Wie das Konzert begann endete es auch im fulminanten „Hey“: mit vier Gitarren Dazwischen lagen viele gute Momente aus den beiden Alben „Hurra! Hurra! So nicht.“ und „Gisbert zu Knyphausen“. Viele laute und ein paar ruhigere. Immer und überall konnte sich der Sänger dabei auf seine Band verlassen. Das Ensemble begleitet Knyphausen unaufgeregt korrekt. „Conny, hast du Lust „Cowboy“ mit mir zu spielen?“ fragte Gisbert seinen Keyboarder. „Wir spielen das ja nicht mehr so oft.“ Conny hatte und begleitete den anfangs etwas unsicher nach den Tönen suchenden Knyphausen. Es war ein Wunsch aus dem Publikum, der hier und jetzt erfüllt wurde. Die Band war bereits in ihrem zweiten Zugabeblock angekommen und sich nicht immer einig, welches Stück denn nun das nächste sein solle. Man schwankte, konnte sich aber – sein Vorschlag aus dem Saal – nicht dazu entschließen, beide zur Auswahl stehenden Stücke zu spielen. Soweit ging die Fanhörigkeit dann doch nicht. Allerdings muss ich erwähnen, dass die Band bis dahin nicht mit ihrer Musik hinter dem Berg gehalten hat. Gute 2 Stunden waren die fünf schon auf der Bühne, spielten viel und hatten sichtlich Spaß an diesem Abend.
Knyphausens Band ist großartig. Heimlicher Star der Band ist Bassist Frenzy Suhr. Er ist an diesem Abend der Jazz in Knyphausens Musik und genau wie Jens Fricke, Sebastian Deufel und Gunnar Ennen ein Könner seines Fachs.
„Musik ist Scheisse“, der Aufkleber pappt immer noch an seiner Akustikgitarre. Wenn sie aber so präsentiert wie an diesem Abend, möchte ich das nicht unterschreiben.
Da ich mich daheim hauptsächlich mit dem Akustik Rolling Stone Album auseinandergesetzt hatte, war ich angenehm überrascht, wie gut alles im Bandkontext funktioniert. Dem kaputten Charme der Songs kann die Lautstärke nichts anhaben. Der positive Nebeneffekt ist ebenso praktisch: das Gläsergeklimper von der Bar und das ein oder andere Gespräch werden so locker übertönt. Gerade in kleineren Locations (der Bahnhof Langendreer ist gerade noch intim zu nennen), in denen der Thekenbereich in den Konzertsaal integriert ist, können diese Arbeitsgeräusche doch sehr nervend werden. Es passte zum Abend, dass dies in Bochum nicht der Fall war.
Mein kleiner Wermutstropfen, sie haben ihren Modest Mouse Hit nicht gespielt. Aber sonst, alles gut.
Der Wein zur Musik:
2009 Erbach Riesling Kabinett trocken,
Gisbert Edition No. 2 – 2008 Pinot Noir
Knippie – 2009 Riesling trocken
Gisbert Edition No. 1, 2008 Riesling feinherb
Kontextkonzert:
Juicy Beats – Dortmund, 30.07.2011