Ort: Luxor, Köln
Vorband: Frànçois & The Atlas Mountains
Anna Calvi singt mit weit aufgerissenem Mund. Klar akzentuiert klingt ihre dunkle Stimme. Oh ja, singen kann die junge Frau aus England, und wenn die Welt gerecht wäre würde sie den nächsten James Bond versoundtracken und nicht ihre Inselkollegen Adele. (Was jetzt nicht heißen soll, dass sie es nicht verdient hätte, Anna Calvi hätte es nur mehr verdient.)
Gitarrespielen kann sie auch. Und wie! Zur großen Freude des jazzangehauchten Publikums. Das ist zahlreich erschienen, das Luxor meldet ausverkauft, und so sind wir an diesem Abend nicht umgeben vom typischen Indiepopkonzertpublikum, und vielleicht ist das ein Grund mit, warum dieser Abend ein nerviger und anstrengender Abend für mich war.
Auch dazu beigetragen haben bestimmt die abgehetzte Anfahrt (Zug verpasst, Lieblingsparkreihe besetzt), der vorangegangene Orthopädenbesuch, die Vorgruppe und viele Aufreger der Woche, die dazu führten, dass es letztlich ein für mich nicht überzeugendes Konzert wurde.
Jeodch der Reihe nach, und dann weiter zur Musik:
Als ich kurz vor neun im Luxor auflaufe, ist der Laden schon gut gefüllt. Das Konzert ist seit Wochen ausverkauft, wenig verwunderlich nach einem tollen Stadtgartenauftritt im Frühjahr (den ich wegen Antriebslosigkeit sausen ließ) und einem überragenden selbst betiteltem Debütalbum der Sängerin (das ich eine lange Zeit intensiv gehört habe).
Das lästige am Luxor ist, dass sich die Waschräume quasi direkt neben der Bühne befinden, und man sich durch den kompletten Konzertsaal kämpfen muss, um dort hinzu gelangen. Für Gäste, die das nicht wissen, erscheinen Waschraumgänger auf den ersten Blick als Vordrängler und Reinquetscher, und so wird ihnen gerne schon mal der Weg Richtung Bühne (und Waschraum) nur äußerst missmutig freigegeben. Sehr schnell wurde mir bewusst, dass an diesem Abend viele Besucher zum ersten Mal das Luxor betraten. Nun gut, geduldige Wortwechsel helfen weiter und irgendwann war das Ziel erreicht. Eigentlich eine belanglose Sache, wenn ich nicht diese Art von unsinnigen Gesprächen den ganzen Abend über immer mal wieder gehört und gesehen hätte.
Ach Leute, was ist denn dabei, wenn jemand seinen Platz verlässt, weil er durstig ist oder es zu warm oder was-auch-immer und ein paar Minuten später wieder zurück zu seinen Leuten möchte? Dann muss man doch nicht böse gucken. Aufgestanden, Platz vergangen, gilt nicht immer und hier überhaupt nicht.
Wie komme ich jetzt auf den Begriff „Komfortzone“? Dass sie bei ausverkauften Konzerten selten eingehalten werden kann, liegt in der Natur des Luxors, dass sie jedoch so schamlos übertölpelt wird wie an diesem Abend nicht unbedingt. Man stelle sich die Situation wie folgt vor: voller Laden, vierte Reihe, kurz vor der Sardinenbüchse. So weit alles im grünen Bereich. Wir haben es uns in der Enge eingerichtet. Oft erlebtes, oft ertragenes. Dann ein Geschiebe von rechts, und zwei weitere Menschen klebten vor unseren Bäuchen. „Ist doch okay, wir sind ja auch kleiner.“ Nein, es ist nicht okay, denn nicht nur Größe, sondern auch die Masse spielt eine Rolle.
An normalen Tagen stört mich das alles sehr wenig, aber gestern Abend waren es die falschen Momente. Will sagen, es war ein mehr als unglücklicher Start in ein Anna Calvi Konzert, auf das ich sehr gespannt war.
Im Frühjahr hatte ich mich nachträglich noch oft darüber geärgert, nicht in den Stadtgarten gefahren zu sein. Umso schöner war dann die Nachricht, dass Anna Calvi im Herbst an der Ostsee auftreten wird und noch besser die Ankündigung, dass sie im Oktober erneut in Köln spielt.
Denn wie erwähnt, „Anna Calvi“ ist ein tolles Album. Oberflächlich erinnert der Stil ein wenig an PJ Harvey, was mehr Anna Calvi‘s Gesang geschuldet ist als der musikalischen Grundrichtung. Die ist mehr Blues als Indie, mehr Bolero als britische Melancholie.
Auf dem Album hört man das im Kleinen, Live erlebte ich es im Großen. Ein starkes Blues-Gitarrensolo im ersten Song „Riders by the sea“ zeigte mir die Richtung. Die gefällt mir normalerweise nicht, da gehe ich mit Christoph, ich hatte aber Hoffnung, dass es nur bei diesem kurzen Aufflackern bleiben möge – ähnlich wie auf dem Album – und nicht noch weitere größenwahnsinnige Gitarrensolo folgen. Oder wenn doch, dass diese nicht so dick auftragen und durch anderes überstrahlt werden. Das hätte dem bis dahin suboptimalen Abend sehr gut getan, aber da diese Welt nicht gerecht zu sein scheint, lief es eher nach der Brehme- Doktrin: „Haste Scheiße am Bein, haste Scheiße am Bein.“
Die Gitarrensoli blieben im Erträglichen, allerdings überstrahlte das andere nicht. Nach den ersten vier Songs hatte ich eigentlich genug, selbst das auf CD famos aufspielende „Blackout“ hinterließ bei mir nichts.
Abgesehen von allem trara drum herum – ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt – gewann ich mehr und mehr den Eindruck, dass Anna Calvi an diesem Abend in nicht allzu großer Spiellaune sein muss. Zu heruntergerissen wirkten die Songs.
Nach einer guten halben Stunde hörte ich auf: Den Refrain kenne ich. Nicht von Anna Calvi, sondern von einer anderen Band. „Eine wenig geglückte Coverversion“ ließ ich meinen Nachbarn wissen, ohne ihm genau mitgeben zu können, um welches Cover es sich handelt. „Wolf like me“ (TV on the Radio – so weiß ich heute) stand ab da beispielhaft für das Konzert. So wie der Coverversion das voranpreschende, energische fehlte, drang all das, was ich an Anna Calvi‘s Songs so schätze, im Luxor leider nicht bis zu mir vor: Ihre Dramen, die Explosivität, das Nervenaufreibende. Selbst das ganz große „Suzanne and I“ verpuffte irgendwo.
Das letzte Drittel verlief nicht anders. „Desire“, der zweite Hit, ließ kurzzeitig etwas Schwung aufkommen, der Saiten-Fingertanz im etwas zu langem Gitarrensolo des finalen „Love won’t be leaving“ war beeindruckend, aber im Ganzen war es das nicht.
Es war ein komischer Abend. Ja, ich hatte andere Erwartungen. Auf einen neuen Versuch in ein paar Wochen beim Rolling Stone Weekender.
Multimedia:
Fotos: frank@flickr
Kontextkonzerte:
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Schön mal wieder eine Konzertreview zu lesen. Sehr schade, dass du derzeit nicht öfter eine schreibst. Auch schade, dass Frau Calvi konzertativ nicht an ihr famoses Album heranreichte. Und ja, es gibt Locations, die können viel vom Zauber eines Konzertes nehmen. Hier in Berlin habe ich das Gefühl, dass das fast auf jede zutrifft. Bin ja mittlerweile soweit, dass ich bestuhlte Konzerte für das Nonplusultra halte.