Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: And the golden choire

Slut

Wer rechtzeitig seine Mails liest, ist manchmal im Vorteil.

Bei Facebook steht, dass Slut im Stau standen und die Halle erst um halb neun aufmacht!

Dieser Satz in der Mail eines Konzertfreundes erreichte mich gestern Abend um kurz nach 18 Uhr, leider las ich ihn erst heute Morgen. So verpasste ich die Tatsache, das 20 Uhr am Gebäude 9 locker eine halbe Stunde zu früh ist, dass all das feierabendliche Abhetze eine Spur zu unnötig war. Von den Umständen her also ein suboptimaler Start in das neue Konzertjahr. Und so stand ich wie eine Ölsardine in der Büchse im Vorraum des Gebäudes und betrachtete einen dämlichen Film auf dem über der Theke installierten Fernseher. 3sat wird auch immer komischer. Gut, ich hätte mich wieder aus dem Vorraum rausquetschen können, aber was sollte das bringen? Die anderen kamen ja erst um neun Uhr, also just genau in dem Moment, in dem die Vorgruppe „And The Golden Choir“ und damit genauer gesagt Tobi Siebert, auf die Bühne kam. „Ihr habt alles richtig gemacht“, sagte ich und dachte „ich nicht.“. „Hast du denn meine Mail nicht gelesen?“ kam es zurück. „Nein.“
Also Slut. Ein Konzertjahr kann schlimmer beginnen. Die Band aus Ingolstadt ist für mich das personifizierte „unterschätzt werden.“ Seit guten 20 Jahren gibt es Slut, die ersten fünfzehn Jahre habe ich davon locker verschlafen. Natürlich hatte ich Ende der 90er und/oder Anfang der 00er Jahre Slut-Konzerte gesehen, aber keines blieb mir so nachhaltig in Erinnerung, dass ich die Band hätte besser verfolgen müssen. Wie großartig sie aber gerade auf ihren ersten beiden Alben war, zeigte mir „For Exercise And Amusement“ vor einigen Jahren. Slut waren auf Albumtour und ich wurde zum kleinen Slut Fan. Endlich, könnte man sagen. Aber besser jetzt als nie mehr. Den Winter rund um dieses Konzert hörte ich die Band fast ausschließlich, „For Exercise And Amusement“ war ein fast täglicher Wegbegleiter und „Virus“, „I know“ und „Cloudy day“ große Lieblingslieder.
Nach dieser Jubiläumstour wurde es wieder ruhig um die Band, im Sommer drauf noch ein Festivalauftritt beim Maifeld Derby, und dann verschwanden Slut langsam wieder aus meinem Musikkosmos. Bis letztes Jahr „Alienation“ erschien und die dazugehörige Tour angekündigt wurde. Zweifel hinzugehen hatte ich nie, zu wichtig war mir die Band geworden, als dass ich ein Konzert verpassen möchte. Und da der Januar traditionell saure Gurkenzeit ist, was andere Termine angeht, gab es keine Entschuldigung und Ausrede.
Nachdem Tobi Siebert, der übrigens auch Produzent ist und in diesem Job Anteil am neuen Slut Album hatte, fünf Songs gingen produktionsstechnisch auf seine Kappe, nach einer guten Dreiviertelstunde die Bühne verließ, hatte ich eigentlich noch kein Konzertgefühl. Der Auftritt, bei dem für mich nicht immer klar war, was denn nun von Platte kam (auf der Bühne stand ein Schalplattenspieler, und nach jedem Song legte Tobi Siebert eine neue Platte auf, die sich musikalisch mit dem von ihm gespielten Instrumente deckte) und was von ihm live gespielt wurde, ging komplett an mir vorbei. Zu Beginn gelang es mir noch sehr gut, mich in die elektronisch anmutenden Songs hinein treiben zu lassen, je länger das Set dauerte, desto schwieriger und langweiliger empfand ich den Auftritt. Na, dass hielt nicht, was es in den ersten Minuten versprach.
Tobi Siebert hatte damit jedoch noch nicht Feierabend. Bei Slut ist er auf dieser Tour neben der Stammbesetzung Christian Neuburger, Rainer Schaller, Gerd Rosenacker, Matthias Neuburger und René Arbeithuber der sechste Mann. Nun, warum nicht. Ob die Hereinnahme notwendig war, kann ich nicht beurteilen. Aber warum sollte er sonst dabei sein? Es gibt mit Sicherheit Gründe dafür und der auf der Bühne stehende Instrumentenpark wollte ja auch bedient werden. Mann, die Bühne, und im Gebäude 9 ist sie nicht so klein, war vollgestellt. Diverse Trommeln und Keyboards verbauten fast die gesamte linke Bühnenhälfte.
Und jetzt kommt der Teil, wo ich bei Slut Konzerten regelmäßig ins hadern komme. Muss das alles sein, braucht‘s so viele Instrumente wirklich? Auch gestern hatte ich phasenweise den merkwürdigen Eindruck, dass sich Slut durch die vielen Instrumentenoptionen zu sehr im Weg stehen. In diesen Momenten denke ich immer „jetzt werden sie wieder überambitioniert“. Dann verlaufen sich die Songs in längeren Instrumentalpassagen und die Gitarren wirken weniger als Punktlandung, die ich es von den Platten gewöhnt bin. Das ist mir aber manchmal egal. Gestern freute ich mich in diesen egalen Augenblicken über die älteren Songs. Wie sagte doch Sänger Matthias Neuburger sinngemäß nach einer guten ersten halben Stunde, in der sie hauptsächlich Songs des neuen Albums „Alienation“ gespielt haben: „Das neue Album haben wir für heute fast durch. Nun folgen die Filetstücke der vergangenen Alben.“ Passt, es kamen unter anderem „Easy to love“, immer wieder groß, „Still No 1“, „Reminder“ und „Why pourquoi?“ Und dieser Mischmach aus neu und alt ließ den Abend zu einem guten Konzert werden. Slut haben für ihre Konzertreihe zum neuen Album die richtigen Songs gewählt, wie ich meine. Jedes Mal „Cloudy day“ und „I know“ ist ja auch nix.
Das „Moritat von Mackie Messer“ eröffnete schlussendlich die Zugabe, die mit den schönsten Cure Gitarren Ingolstadts am wunderschönsten endete: „Hope“.

Slut sind eine Indieinstitution, von ihnen gibt es nicht viele in diesem Land. Neben The Notwist sind sie der zweite große, alte Brecher. Bitte weitermachen! Denn wenn ihr weiterhin so spannend bleibt wie mit dem neuen Album, dann seid ihr immer eine gute Band. Oder wie die Spex sagt:

Eine gute Indierockband ist eine gute Indierockband ist eine gute Indierockband.

Kontextkonzert:
Slut – Köln, 10.11.2010

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