Ort: Konzerthaus, Dortmund
Vorband:

Sophie Hunger,Konzertbericht,Konzerthaus Dortmund

Ich mag Menschen, die einen melancholisch-traurig Blick haben. Bei ihnen fühle ich mich gut aufgehoben. Natürlich mag ich auch andere Menschen, aber ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mich zu den scheinbar eher melancholischen Menschen hingezogen fühle. Jakub Błaszczykowski ist mein derzeitiger Dortmunder Lieblingsfußballer, früher war es Stéphane Chapuisat. Jakub Błaszczykowski bekam beim BVB den Spitznamen ‚der große Melancholiker‘. Ähnliches sagte man auch in den 1990ern über den besten Schweizer Fußballer des letzten Jahrtausends. Ich könnte noch ein, zwei weitere Menschen aufzählen, belasse es aber bei einem: Sophie Hunger, auch Schweizerin, auch mit eher traurig-nachdenklichem Blick.
Vor einigen Jahren wurde ich Fan. Ihr Album Monday’S Ghost war mir eine Zeitlang sehr wichtig. „Birthday“, „Monday’s ghost“ und vor allem „Walzer für niemand“ sind Songs, an denen ich sehr hänge. Ich erinnere mich noch gut an ihr erstes Konzert im Gebäude 9. Es war im Frühjahr, es war voll und Sophie Hunger wirkte auf eine Art sympathisch, die mir sehr gefiel. Seit diesem Zeitpunkt habe ich sie auf dem Zettel. Zweimal sah ich sie danach noch, und beide Male bestärkten mich ihre Konzerte in meinem ersten Eindruck. Ja, Sophie Hunger ist eine feine Musikerin und ihre Konzerte jedesmal ein besonderes Erlebnis.
Die Dortmunder Konzerthausankündigung über das Sophie Hunger Konzert nahm ich daher wohlwollend entgegen. Ich versprach mir von dem E-Musik-esken Ambiente eines Konzertsaales einen gelungeneren Abend als in einigen Wochen vom Kölner Gloria. Dort wird Sophie Hunger auch spielen, aber ich werde höchstwahrscheinlich nicht hingehen.

Also Konzertsaal, also Oberrang. Die Platzanweiser schicken mich mit meinem Ticket in die dritte Etage. Ich hatte mich für die günstigste Kategorie entschieden, weil ich zum einen Sophie Hunger schon gesehen habe und weiß, wie sie aussieht, und zum anderen, weil ich im Falle eines zu spät Kommens nicht durch den halben Konzertsaal schleichen wollte. Bei meinem letzten Konzerthausbesuch war dies nämlich der Fall. Und das war sehr blöd und mir ein bisschen unangenehm.
Ich komme pünktlich zum ersten Glockenschlag im Konzerthaus an. Irgendwie habe ich auf der Fahrt Zeit und Raum verloren. Vorher dachte ich, auch wenn es etwas später werden sollte – die Situationen des freitäglichen Autobahnverkehrs sind bekanntermaßen unberechenbar – , verpasse ich eben die Vorband.
Pustekuchen, es gibt keine Vorband. Punkt acht Uhr betreten Sophie Hunger und Band (drei Männer und eine Frau, die ich erst nach einer halben Stunde entdecke – so viel zu sichtbehinderten Plätzen) die Bühne. „Rererevolution“ eröffnet den Abend. Es folgt „Can you see me“ und ich denke, oh, das wird dann wohl eher ein lauter Abend. Sophie Hunger und Band spielen bis dahin mit ordentlich Schmiss, wenig bedächtig und viel energischer, als ich die Songs von Platte her kenne. Von Sophie Hunger sehe ich bis dato nur den Rücken. Zielsicher habee ich mit dem linken Oberrang – aus Macht der Gewohnheit des ‚vorne links‘ bei Konzerten – die falsche Seite gewählt. Es ist aber auch egal, denn die Vogelperspektive des Oberrangs auf die Bühne läßt sowieso keine genaueren Blicke zu.
Wichtiger ist, dass die Musik wirkt. Macht sie! Da ich eh nicht viel von der Bühne sehe, lehne ich mich gemütlich in meinem Sessel und höre dem Konzert einfach nur zu. Ab und an rücke ich nach vorne und linse über die Brüstung um nachzusehen, was los ist. Aber das sind seltene Momente. Es ist viel schöner, nichts zu sehen, sondern nur zu hören. Sophie Hunger spielt großartig. Sie nimmt sich Zeit, zwischen den Stücken gibt es Ruhe, auch während der Ansagen. ‚Il n’ya pas de feu au lac.‘ So nennt der Franzose etwas abwertend und belustigend die schweizerische Art des Redens. Ich empfinde sie eher als angenehm, vielleicht, weil ich in diesem Punkt sehr schweizerisch bin.

Ab und an changieren alle Musiker. Der Bassspieler wird zum Cellisten, der Schlagzeuger zum Gitarristen, der Gitarrist setzt sich ans Klavier. Oder so ähnlich. Also alles gute Musiker, die sich da unten versammelt haben. Aber wie gesagt, so oft habe ich nicht nach unten geschaut.
21 Stücke spielen sie insgesamt, dreimal kommen sie zu Zugaben auf die Bühne zurück. Im ersten Zugabenteil spielt Sophie Hunger das von mir schon lang herbeigesehnte „Walzer für niemand“.
Direkt bei den ersten Klavieranschlägen läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Der Zauber ist noch da, auch wenn ich „Walzer für niemand“ länger nicht mehr bewusst gehört habe.
Ein gutes Zeichen. Es ist für mich immer noch ein wichtiges Lied und hat seinen Platz nun definitiv in den Lebenszeit TOP 10 sicher. Genauso wie ich meine Rubrik ‚Top 3 allerliebste Lieblingssängerinnen‘ langsam in eine Top 4 erweitern sollte.

Wie schrieb ich vor dreieinhalb Jahren: Sophie Hunger, du bist toll! Die Gefühlslage heute ist unverändert.
Oder um Markus vom Konzerttagebuch zu zitieren: ‚Wer an diesem Abend von ihrer Musik nicht ergriffen wurde, hat kein Herz.‘ Recht hat er!

Kontextkonzerte:
Sophie Hunger – Köln, 29.09.2009 / Kulturkirche Nippes
Sophie Hunger – Köln, 23.05.2010 / Gloria

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. sulxam

    Ich habe jetzt schon einige Konzertberichte über Sophie Hunger gelesen. Was mir bei den deutschen auffällt: die arme Sophie bekommt immer Seitenhiebe von den Autoren, sei es gewollt, sei es ungewollt. Das kommt mir langsam hoch! Die arme (und wie ich mit ihr fühle) ist dann Projektionsfeld eigenartiger Vorurteile gegenüber dem Schweizerischen (Langsamkeit, Land hinter den Bergen etc.). Nun ja, ich weiss nicht, ob ich weinen oder lachen soll, ich weiss es einfach nicht. Vorurteile funktionieren prächtig, und sind so bequem. Vorurteile zeugen von Dummheit, weil sie nicht hinterfragt werden…

    1. frank

      Das stimmt, Vorurteile zeugen von Dummheit.
      Allerdings solltest du über diese Art von Vorurteilen eher lachen als weinen, denn es meint ja niemand böse, (auch die Franzosen nicht!) und es gibt weitaus schlimmeres, als sich über Langsamkeit lustig zu machen.
      Ich kenne einige Schweizer, die sehen das alles nicht so bierernst und teilen überdies auch ordentlich aus. Und ich selbst kann auch sehr über die Vorurteile lachen, die man uns Deutschen so nachsagt. (http://venturevillage.eu/how-to-be-german-part-1)

      1. sulxam

        Also ich sehe das alles bierernst und die lieben Franzosen meinen das ja auch nicht böse. Da muss ich wohl meine Mundwinkel nach oben bringen, und erleichtert bin ich auch. Sie scheinen mich missverstanden zu haben.

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