Ort: Palladium, Köln
Vorband: BINA.

BINA. bestreitet den Eröffnungsslot an diesem Abend im Kölner Palladium. Das ist, für ein ausverkauftes Konzert, zu diesem Zeitpunkt noch relativ leer. Normalerweise drängeln sich um kurz nach 20 Uhr bereits die Leute in den vorderen Reihen, an diesem Abend ist das (noch) nicht der Fall. Bei einem Schulterblick nach hinten erblicke ich noch einige große Lücken ab der siebten Reihe. ‘Uii, ich hätte gar nicht so übertrieben pünktlich hier sein müssen’, denke ich. Immerhin warte ich seit kurz nach sieben auf mein abendliches Konzertprogramm. Naja, ich hatte beste Unterhaltung, von daher war die Wartezeit gefühlt angenehm kurz.
BINA. rappt mit Neo-Soul und R’n’B Sounds ihre Songs. Chaos is her name lautet der Titel ihrer aktuellen EP. Für mich klingt das manchmal spannend, im Großen und Ganzen aber eher unspektakulär. Manchmal erinnert mich das an Kelela oder Erykah Badu, auch Amy Winehouse kommt mir bei ein, zwei Songs in den Sinn. ‘Eine Band würde ihren Songs gut zu Gesicht stehen’, denke ich. Die Bühne ist das Set über durch einen weißen Vorhang bedeckt. Dahinter ist bereits das Little Simz Bühnenequipment aufgebaut. Die Pause nach dem gut halbstündigen Set hat den Namen Umbaupause somit überhaupt nicht verdient.
Es läuft aber gute Umbaupausenmusik, die das Warten angenehm verkürzt: „Wind parade“ von Jordan Rakei oder „Mysteries of the world“ von Mother Father Sister Brother (MFSB). Kenne ich nicht, habe ich shazamed. Blue Note Sounds, Philadelphia Soul. Das passt. Etwas überraschend, aber auch irgendwie passend läuft auch BAP. „Verdamp lang her“ muss ich natürlich nicht shazamen. Und der jüngeren Generation um mich herum sei gesagt, nein, das sind nicht AnnenMayKantereit.
Es ist keine Schande, wenn man ihre ersten Alben A curious tale of trials + persons und Stillness in wonderland nicht kennt. Sie liefen schon ein bisschen unter dem Radar. Zumindest für nicht große Kenner der Szene, zu denen ich mich auch zählen möchte. Erst mit Grey Area und später dann noch stärker mit Sometimes I might be introvert startete Little Simz durch: 2021 Mercury Prize, Brit Award, ‚Best Album of the year’ Auszeichnungen. All das eben. Und endlich wurde auch ich auf die Londonerin aufmerksam. „Introvert“, der erste Song des Albums mit seinen starken Bläsern und den Ben Hur -esken Melodien direkt zu Beginn ist einer der besten erster-Song-einer-Platte Songs, die ich kenne. Er liegt nahezu gleichauf mit „The act we act“ vom Sugar Albumklassiker Copper Blue. „Introvert“ mag ich bis heute sehr.
‚The kingdom’s on fire, the blood of a young messiah, I see sinners in a church, I see sinners in a church‘.
Es ist meine dringende Empfehlung, sich den Track anzuhören. Er ist sagenhaft.
In dem Jahr sah ich sie auf dem Primavera Sound Festival und ich hörte in den Wochen und Monaten danach sehr oft Sometimes I might be introvert. Aktuell ist es tatsächlich immer noch auf meinem IPod Shuffle und ein gern genommener Laufsoundtrack. Songs wie „Gems“, „I love you I hate you“ und „Introvert“ wurden Lieblingslieder. Allerdings war es dann wie so oft bei mir. Mir gefällt ein Album, alle weiteren Veröffentlichungen kaufe ich jedoch nicht. Ein merkwürdiges Verhalten meinerseits, wie ich finde. Demzufolge verlor ich Little Simz ein bisschen aus den Augen und Ohren. Nichtsdestotrotz, das Palladium Konzert war eines, das ich unbedingt sehen wollte. Und lucky me, dass ich ein Ticket ergattern konnte. Der Abend ist lange ausverkauft und das Konzert das Einzige, was für mich erreichbar ist. In Deutschland spielt sie sonst nur noch in Berlin, weitere Stopps sind Paris und Amsterdam.
Auch ein paar Tage später tue ich mich noch schwer, das Konzert mit den richtigen Worten zu würdigen. Denn wie beschreibe ich einen perfekten Abend, um ihm im Nachhinein auch zu 100% gerecht zu werden? Großartig? Drittbestes Konzert des Jahres? So in etwa, und damit ist auch schon alles gesagt. Eigentlich reicht das.
Vielleicht noch ein paar Fakten. Die Anreise gestaltete sich mühelos, die ansonsten gerne schon mal ein paar Hundert Meter lange Schlange am Palladium trotz ausverkauftem Konzert überraschend kurz und gegen 19 Uhr noch genügend Raum, um einen Platz in den vorderen reihen zu erhaschen. Hier steht es sich gemütlich, auch später noch. All das ist für Palladiumkonzerte ungewöhnlich.
Im Vorfeld hörte ich Aussagen wie, sie spiele eh’ nur eine gute Stunde und ihre Live-Auftritte seien irgendwie nix. Pff, glauben konnte ich das nie so richtig – schließlich hatte ich sie schon einmal live gesehen – und es hielt mich auch nicht ab, ein Ticket zu kaufen. Gerade das Primavera Konzert von Little Simz ist mir immer noch im Kopf und in sehr positiver Erinnerung. Damals stand sie nur mit einem DJ auf der Bühne und feuerte ihre Songs ohne großen Schnickschnack, aber mit enormer Wirkung in den Nachthimmel um die atriumhaft gebaute Cupra Bühne. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Performance. Die hinterließ Eindruck.
Vom aktuellen Konzert erwartete ich Ähnliches. Daher war ich überrascht, als sie hörte, dass Little Simz mit Band unterwegs ist. Ah ha, okay. Ein Fragezeichen machte ich auch hinter der Setlist: die schien zweigeteilt, unterbrochen durch ein vier Song langes DJ-Set, unter dem ich mir nichts vorstellen konnte. Laufen dann Little Simz Songs vom Band, gemixt von einem DJ, während sich Simbi Abisola Abiola Ajikawo eine Ruhepause gönnt oder gar umzieht? Ich war gespannt. Immerhin meinte ich eine musikalisch thematische Trennung der vor und nach dem Set gespielten Songs auszumachen. Der zweite Teil schien mir beim Vorabhören via setlist.fm souliger und ruhiger als der erste Teil. Im Konzert stelle ich dann fest, dass das live so überhaupt nicht der Fall ist. Auch verschwindet nicht Little Simz von der Bühne, sondern die Band. Stattdessen wird ein DJ-Pult hineingerollt, hinter dem die Rapperin höchstpersönlich die Turntables bedient und dazu oft sehr schnell und sehr intensiv über ihre Songs („Mood swings“, „Fever“, „SOS“, „Interlude“) rappt. Zu diesem Zeitpunkt hat Little Simz bei mir schon einige Pluspunkte gesammelt. Sie wirkt fröhlich und zufrieden, (‘Köln, was geht ab?!‘ sind ihre ersten Worte), läuft rappend durch die ersten Reihen und schafft es binnen weniger Songs, das gesamte Palladium auf ihre Seite zu ziehen. Eine grundsympathische Person, der nach 15 Minuten alle aus der Hand fressen.
Bedürfte es hierfür einen Beleg, dann wäre es dieser: Gegen Ende des Konzerts bittet sie ein Mädchen aus den ersten Reihen – das offensichtlich an diesem Tag ihren Geburtstag feiert – auf die Bühne, um ihr ein „Happy Birthday“-Ständchen zu bringen. Sowas wirkt ja schnell als erzwungene und aufgesetzte Showeinlage, Little Simz sieht man aber an, dass es von Herzen kommt. Wie gesagt, ein grundsympathischer Mensch.
Nach knapp zwei Stunden ist das Konzert vorbei. Ein großer Abend, ohne wenn und aber!
Setlist:
01: Thief
02: Flood
03: Two worlds apart
04: I love you, I hate you
05: Enough
06: Young
07: Heart on Fire
08: Introvert
09: 101 FM
10: Venom
11: Mood swings
12: Fever
13: SOS
14: Interlude
15: Lion
16: Point and kill
17: Only
18: Selfish
19: Lonely
20: Free
21: Lotus
22: Miss Understood
23: Woman
Zugabe:
24: Gorilla
25: So what
Kontextkonzerte:
Little Simz – Primavera Sound Festival Barcelona, 03.06.2022