Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Vorband:
Violent FemmesAls Zugabe spielen die Violent Femmes „Blister in the sun“. Erneut. Zum zweiten Mal an diesem Abend. Es ist ihr schwächstes Stück.
Somit endet der Konzertabend wie er begann. „Blister in the sun“, der vermeidlich größte Hit der Post-Punk Band aus den USA, den sicherlich jeder kennt. Das durchgreifend mitlaufende Bassspiel Brian Ritchies, der leicht nölige Gesang von Gordon Gano, nicht nur ein Merkmal dieses Evergreens.
Beides zieht sich durch sehr viele Violent Femmes Songs und ist sowas wie ein Erkennungszeichen der Band. Als wir nach dem Konzert im Vorraum des Ancienne Belgique standen stellten wir unisono fest, ja, diese Band hat ein klangliches Markenzeichen. Violent Femmes Songs, egal aus welcher ihrer acht Alben-Phasen, erkennt man direkt.
Seit über dreißig Jahren existiert diese Band, die Anfang / Mitte der 80er Jahre zusammen mit R.E.M. den später so titulierten Collegerock erfand. Doch als R.E.M. ihr „Shiny happy people“ hatten, lösten sich die Violent Femmes quasi auf. Sänger Gordon Gano machte ein Soloalbum, die Violent Femmes blieben kurzzeitig zurück und trotz eines wahnsinnigen Debütalbums weitestgehend unbekannt und Indie. Eigentlich unvorstellbar wenn ich bedenke, dass neben „Blister in the sun“ mit „Gone Daddy gone“ und „Add it up“ drei sichere Welthits auf Violent Femmes zu finden sind.

Nachdem in den 90ern noch drei Alben erschienen, war 2000 Schluss mit den Studioaufnahmen. Touren ging aber noch und so tauchten die Violent Femmes immer mal wieder für einzelne Konzerte auf.
2013 verkündeten sie dann ihre Reunion, inklusive eines neuen Albums. Ob die Welt das braucht, sei dahingestellt, ich warte nicht unbedingt darauf. Die kleine Tour hätte wegen meiner gereicht, obwohl, Tour ist für die insgesamt vier Europakonzerte der Band das falsche Wort. Neben Brüssel spielen sie in diesen Tagen nur noch in Athen, London und auf einem spanischen Festival. Aber eben auch in Brüssel, und so war klar, dass dieses nahe gelegene Konzert in einer der schönsten aller Konzertstätte auf die to-do bzw. must-see Liste kommt. Trotz Fußball, trotz vielleicht heißestem Sommerwetter.
Genaueres war zum Zeitpunkt des Ticketkaufs nicht bekannt, tatsächlich war dann an besagtem Konzertabend ein hoch interessantes WM Match; von sommerlich heißen Temperaturen war die Welt in Belgien jedoch meilenweit entfernt.

Ist in Belgien eigentlich auch Feiertag? Diese Frage stellte ich mir während der Autobahnfahrt. Wir nutzten den arbeitsfreien Tag zu einer etwas früheren Anreise in die belgische Hauptstadt. Ein entspanntes Essen vor dem Konzert war grob eingeplant, vielleicht noch unter Beobachtung des ersten WM Spiels an diesem zweiten Gruppenspieltag.
Die Frage nach dem Feiertag beantwortete viele Minuten später der Brüsseler Stadtverkehr. „Seit einer halben Stunde sind es nur noch vier Minuten bis zum Ziel“, ein Satz, denn sicher nicht nur ich besonders gern höre. Das gemütliche Essen rückte immer weiter in die Ferne, die erste abendliche WM Partie war bereits eine Halbzeit alt.
Als wir dann am AB ankamen, gab es zwei Möglichkeiten: direkt rein und die Vorband angucken, oder doch noch schnell was essen.
Wir entschieden uns für die Essensvariante, Nahrungsaufnahme ist manchmal wichtiger als Musik. Wir suchten ein Restaurant in der Nähe und schlugen uns mit Salat und Pommes die Bäuche voll. Damit war die Grundlage für den Abend gelegt, und als wir das Restaurant verließen und in das schöne Ancienne Belgique betraten, war es fünf vor neun. Unterwegs stolperten wir noch fast in einen kolumbianischen Autokorso. Ahh okay, Kolumbien hatte also gewonnen.
In Belgien werden vor Konzertbeginn Zeitpläne veröffentlicht, die mit bis auf wenige Minuten Toleranz eingehalten werden. So wussten wir, dass die Violent Femmes um 21 Uhr beginnen würden und das Konzert um 22.30 Uhr beendet ist. Letzteres bedingt dadurch, dass die Veranstalter im AB eine Abreise ihrer Gäste mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch in die umliegenden Städte und Orte sicherstellen wollen. So habe ich es auf der Homepage des Konzertortes gelesen und aktuelle Fahrplanübersichten auf den im Vorraum installierten Monitoren zeigen, dass dies nicht nur dahingesagt zu sein scheint. Der gute und mögliche Heimweg ist den Betreibern tatsächlich ein ernstes Anliegen. Ein schönes Vorbild, wie ich finde. So wird ein Konzertabend strukturiert und planbar, so lockt man Besucher an, auch aus den umliegenden Gegenden.

Wir waren daher pünktlich, und staden keine 3 Minuten im Saal, als die Violent Femmes die Bühne betraten. Neben Sänger Gordon Gano und Bassgitarrist Brian Ritchie gehört aktuell Schlagzeuger Brian Viglione zur Bandbesetzung.
Bei den ersten Takten traute ich meinen Ohren nicht. Spielten die tatsächlich „Blister in the sun“ als ersten Song? Ich konnte es nicht glauben, denn normalerweise startet eine Band nicht mit einem ihrer größten Hits ins Konzert. Nun denn, die Stimmung war so im nicht ganz ausverkauften AB sofort bei hundert, das durchschnittlich eher ältere Publikum direkt angefixt. Ich selbst kenne von den Femmes nur die Singles und die Sachen, die alle kennen. Die Karriere dieser Band ging in einiger Entfernung an mir vorbei. So kannte ich bis zum vierten Song wiederum nichts, nach „Add it up“ bemerkte jedoch mein Freund, der die Band viel besser kennt als ich, dass sie scheinbar ihr erstes Album Violent Femmes spielen. Bisher würde die Reihenfolge exakt die gleiche sein wie auf dem 83er Debütalbum.
Und tatsächlich, nachdem mit „Gone Daddy gone“ und „Good feeling“ die letzten beide Songs des Albums gespielt waren, klärte Gordon Gano uns auf. Sie hätten jetzt ihr Album durch, sie haben es gespielt, weil sie damit vor 31 Jahren in Brüssel das erste Konzert in Europa gespielt hätten. Ein unrundes Ehrenjahr zwar, aber allemal ein schöner Anlass, um ihn so zu feiern.

Es folgten in der zweiten Hälfte des Konzerts Songs aus allen weiteren Schaffensepochen. Ich war nach diesen ersten gut 40 Minuten schon glücklich und zufrieden, hatte ich doch die vier Songs gehört, die ich unbedingt hören wollte: „Blister in the sun“, „Add it up“, Prove your love“, „Gone Daddy gone“.
Der Rest war quasi Zugabe. Mitunter höchst unterhaltsam, zeitweise aber auch nur okay. In diesen Augenblicken blieb genügend Zeit, sich die Band näher anzugucken. Brian Ritchie sah aus wie Neil Young, mein erster Eindruck. Zu Beginn des Abends mit seinem Hütchen noch mehr als im weiteren Verlauf des Konzerts. Gerade wenn er sich die akustische Gitarre umhängte und am Bühnenrand hin und her schritt, die langen grauen Haare leicht im Takt fliegend, hatte er viele Neil Young Momente und ich wünschte mir, doch nochmal ein Konzert des Grungeurvaters zu besuchen.
Gordon Gano dagegen sieht aus wie ein Bankangestellter. Optisch ein Gegensatz, weißes Hemd, zeitlose Brillengestell, Jeans. Von Rockmusikervergangenheit keine Spur.
Der Schlagzeuger Brian Viglione ist um einiges jünger und seit 2013 in der Band. Meine visuelle Spontanreferenz war Karate Kid. Dass er auch bei den Dresden dolls trommelt, erfuhr ich erst später.
Diese drei standen in einer Linie am Bühnenrand. Versetzt dahinter saß John Sparrow und percussionierte. Worauf und womit, konnte ich nicht genau erkennen. Es schien, als ob er einen Kasten als Trommel benutzte. Wie wichtig er für die Band ist, vermag ich nicht abzuschätzen. Rein akustisch hörte ich sein Spiel kaum raus, ich fand ihn nicht zwingend notwendig.
Bei einigen Songs unterstützten weitere Musiker die Band. Sie spielten verschiedenste Blasinstrumente (ich erkannte ein Saxophon und ein Horn) und weitere Perkussionsinstrumente. Sie führten bei ihren Kurzauftritten allerdings ein Schattendasein im hinteren Bühnenteil und waren kaum sichtbar. Der Violent Femmes Wikipedia Artikel bezeichnet ihren Auftritt, bei dem alle wie wild drauflos spielen („Black girls“), als Horns of dilemma:

In their shows, the Femmes employ a horn section called the Horns of Dilemma. For many years, it consisted of Peter Balestrieri, and Steve MacKay on saxophones and Sigmund Snopek III on keyboards and other instruments. It was augmented by whatever musicians the band invited to play with them on a particular night. The band now uses local acquaintances, famous or otherwise, friends, relatives, or associates of the band. Instrumentation varies widely and includes saxophones, trumpets, trombones, sousaphone, flute, clarinet, antique hunting horn, kazoo, and percussion. When the band plays „Black Girls“ or „Confessions“ the only instructions given to the players are to play as freely and wildly as possible. The group doesn’t back up the band in the way that a traditional horn section would; they provide a free-form noise jam.

Gut, so ähnlich passierte das auch im AB.
„American music“, noch so ein Song, den ich kannte und unbedingt hören wollte, beendete das Set. Großer Jubel brach über das AB, als die Band die Bühne verließ, noch größerer, als sie für eine Zugabe zurückkam. „They have a curfew, we’ve got time for one more song.”
„Blister in the sun“ zum zweiten, in einer irgendwie komischen Langversion. Egal, das machte den Abend nicht kaputt. Und so war es wie immer bei Brüsselfahrten: es war ein runder und schöner Konzertabend!

Bisher besitze ich nur ein Live Album der Violent Femmes. Deren erstes Album Violent Femmes sollte ich mir dringendst zulegen.

Fotos:

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