Ort: Industriepark Nord, Duisburg
Bands: Bilderbuch, Sophie Hunger

Bilderbuch

Im Moment lasse ich mich sehr von einer österreichischen Fernsehserie begeistern, die ich zufällig vor einigen Wochen auf einem RTL Nebenkanal entdeckt habe. Braunschlag heißt sie und sie spielt in einem niederösterreichischen Dorf / Kleinstadt, in dem der Bürgermeister die glorreiche Idee hatte, wider den leeren Kassen der Stadt für eine ‘heilige Marienerscheinung‘ zu sorgen, die dann gläubige und zahlungsbereite Touristen anziehen möge. Der Plan funktioniert, aber mit ihm kommen allerlei Probleme in die Gemeinde.
Ich mag die Serie aus mehreren Gründen: Zum einen kommt meine Großmutter väterlicher Seits aus genau dieser Gegend, und ich bin mir nie sicher, ob das nicht die Kirche ihres Geburtsortes ist, die im Vorspann der Serie eingeblendet wird. Zum anderen spielt Braunschlag wirklich hervorragend mit den Klischees und den ‘Eigenheiten‘ der Menschen. Viele spannende und typische aber auch merkwürdige Charaktere beleben dabei die Serie sehr. Das schönste allerdings ist die österreichische Sprache, ich könnte stundenlang zuhören.
Maurice Ernst hat ihn natürlich auch, eventuell noch ein bisschen mehr ins Wienerische abdriftend, und auch ihm könnte ich stundenlang zuhören. Mir gefällt einfach die Schnoddrigkeit, dieses Verschlucken von Endsilben, diese für meine Ohren ungewohnt und lustig klingende Betonung der letzten Silbe, dieser dabei immer zugleich leicht arrogant und melancholisch wirkende Stimmfall. All das ist toll, für mich gibt es keine schönere Sprache!

Bilderbuch sind der letzte heiße Scheiß. Seit er Veröffentlichung ihres letzten Albums Schick Schock geht die österreichische Band steil. Die europäische Antwort auf Kayne West, so zusammengefasst fällt das Fazit des Internets über Bilderbuch aus.
Dabei war die Band nicht immer R’n‘B und treibender Electrobeat. Auf ihren ersten beiden Alben orientierten sie sich vielmehr am gewöhnlichen Indierockpop, mit Gitarren und schlauen Texten klingen Bilderbuch dort mehr nach den Fotos und ähnlichen Bands. Erst seit dem letzten Album und – vielleicht auch bedingt durch den Einstieg des Schlagzeugers Philipp Scheibl – lassen Bilderbuch die Gitarren lieber links liegen.
Das Ergebnis sind Songs wie „OM“, „Spliff“ oder „Maschin“. Oder „Maschin“! Ein wahnsinns Knaller, der beste deutschsprachige Sprechgesang-Song seit „Jeanny“. Und an Falco muss ich unwillkürlich denken, wenn ich das Video zu „Maschin“ sehe. (Übrigens empfehle ich jedem das Video, es ist eines der besten seit Beastie Boys‘ Sabotage). Das war beim ersten Mal so, dass ist es immer noch. „Maschin“ klingt wie die logische Fortsetzung von allem, was Falco in den 1980er Jahren gemacht hat. Schlüpfrigkeiten, zweideutige Anspielungen, Coolness. Vor allem Coolness und Lässigkeit! Und über all dem diese unwirkliche, wienerische Arroganz: in den Worten, in den Gesten, in den Augen.
Bilderbuch waren für mich ein Grund, zum ersten Mal das Traumzeit Festival in Duisburg zu besuchen. Sophie Hunger war der andere.

Obwohl ich nicht allzu weit entfernt wohne und obwohl ich alte Großindustrieanlagen sehr mag, war ich noch nie im Industriepark Nord, in dem das Traumzeit Festival alljährlich stattfindet. Südlich der A42 zwischen Hamborn und Meiderich zieht sich der landschaftspark rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk. Früher produzierte Thyssen hier Stahl, seit Mitte der 1990er Jahre ist er ein frei zugänglicher Ort, an dem allerlei Kultur stattfindet. Ende Juni ist das das Traumzeit Festival, mit Musik aus dem erweiterten Indiebereich.

Der Konzertraum in der Gießhalle (eine von zwei Hallen, in denen Konzerte stattfinden) war voll, als die Wiener Band die Bühne betrat. Ich hatte hohe Erwartungen an ihren Auftritt, die Lobhudeleien über Maurice Ernst, Michael Krammer, Philipp Scheibl und Peter Horažďovský wollte ich mir hier bestätigen lassen. Die Rahmenbedingungen waren sehr gut und Bilderbuch passten sich ihnen sehr schnell an. Es hat mich beeindruckt, wie schnell die Band die Regie im Raum übernahm. Es dauert genau einen Song („Willkommen im Dschungel“) und eine erste lakonische Ansprache, bis die Sache geritzt war: Bilderbuch sind da und die Show kann beginnen. Und es ist eine Show!
Maurice Ernst ist dabei die natürliche Rampensau. Mit lausbub-eskem Blick jongliert er durch seine obskure Ansagen zwischen den Songs. Die dazugehörigen Stadionstimmungsanimierungsdinge muss man nicht wirklich mögen, man kann ihm aber dafür einfach nicht böse sein. Es ist wie es ist, und hier war alles so perfekt passend, dass es schon unheimlich war. Sind Bilderbuch wirklich so gut? Die Antwort ist uneingeschränkt ja. Der nächste Satz wirkt platt, er ist aber so wahr, dass er hier stehen muss: Bilderbuch sind live eine verdammt coole und lässige Band. Der passende Soundtrack dazu sind natürlich die aktuellen Welthits, die so enorm tanzbar daherzwitschern, dass das mittanzen oder zumindest mitwippen eine helle Freude ist.
Aber auch die alten Sachen stehen nicht wie ungeladene Partygäste in der Ecke. „Karibische Träume“ und „Calypso & Joghurt auf der Bluse“ zum Beispiel schmiegen sich mit ihrem Indiepop toll in den Gesamtrahmen ein, der irgendwann durch Seifenblasen, die quer über die Bühne gepustet werden, nahezu bis in das Unendliche gesteigert wird.
„Schick Schock“ ist sowas wie ein Song zwischen diesen beiden Welten. Bilderbuch spielen ihn vor dem großen Finale. Das besteht rein aus neuen Songs: „Plansch“, „Maschin“, „OM“. Oder anders gesagt: Super-Flower-Electro, Falco, Kanye West und immer auch etwas Falsett. Das sitzt und hat unendlichen Schmiss.
Maurice Ernst erzählt viel zwischen den Songs, auch viel Unsinn. Unterhaltsam ist das allemal, sinnig nicht immer. Ob sie sich dabei so ganz ernst nehmen? Ich weiß es nicht, aber der Kindergarten, den Bilderbuch dabei auf den ersten Blick vielleicht vermitteln, sind sie aber nicht. Das ein oder andere Mal höre ich etwas genauer hin, und war überrascht, wie pointiert ihre Texte mitunter sind. Das hat nichts mit Schlager zu tun, und verbindet sie einmal mehr mit der Musik von Falco.
Ich habe keine Ahnung, wie lange die Band den Moment überdauern wird, aktuell sind sie aber mit das Beste, was man hören kann.
Believe the hype.

Sophie HungerWenn ich Sophie Hunger sehe, muss ich unwillkürlich an ein Mädchen denken, dass ich ungefähr zur gleichen Zeit kennengelernt habe, in der ich auch die Musik von Sophie Hunger intensiver entdeckte. Das war so vor vier Jahren, ungefähr zu der Zeit, als mir Monday’s Ghost in die Hände fiel. Dieses Mädchen hat, nicht nur subjektiv wie ich finde, einige Ähnlichkeiten mit Sophie Hunger. Ich verkneife mir jetzt eine Aufzählung, aber sie sorgen bei mir dafür, dass ich auch heute immer noch diese schöne Gedankenverbindung setze, wenn ich Musik der Schweizerin höre. Zugegebenermaßen habe ich das nicht sehr oft in den letzten Jahren gemacht. Und genauso wie ich die Musik von Sophie Hunger aus den Augen verloren habe, habe ich auch dieses Mädchen aus den Augen verloren. Den letzten längeren Gesprächskontakt hatten wir auf einer vertelefonierten Autofahrt nach Dortmund. Das war vor über 2 Jahren und es war eine Autofahrt zum Sophie Hunger Konzert. Ein bemerkenswerter Zufall, wie ich schon seinerzeit dachte.
Es war das letzte Mal, dass ich mich um die Schweizerin gekümmert hatte. Die anfängliche ganz große Begeisterung war weg, das zweite Album 19983 empfand bei weitem als nicht so gut wie das erste und so war es logisch, dass ich die nachfolgenden The Danger of Light und Supermoon – die aktuelle Scheibe – nicht näher hörte. Konzerte der Band ließ ich in diesen Jahren aus, bewusst auf’s neue aufmerksam wurde ich auf Sophie Hunger erst wieder vor ein paar Wochen, als sie Gast in einer Talkshow war, in die ich zufällig reinzappte. Dort saß sie, erzählte interessante Dinge und ich wurde wieder Fan der Sängerin, die dafür noch nicht einmal singen musste.
Als die Band dann für das Traumzeit bestätigt wurde war das Festival geistig schon gebucht. Ich freute mich auf ihren Auftritt und fragte mich dabei, ob mein neu erwachtes Fantum auch das Konzert überdauern würde. Die beiden mir noch fehlenden Alben hatte ich mir in der Zwischenzeit nicht zugelegt (was ein großer Fehler ist, wie ich direkt im Anschluss an das Konzert dachte), daher war die Frage nicht ganz unberechtigt.
Und sie war doch völlig absurd. Denn natürlich überdauerte mein Fantum das Konzert. Und nicht nur das, es war alles sogar noch viel besser!

Sophie Hunger schaffte es, mir eine Gänsehaut zu verpassen, mich wegzuziehen in ihre musikalische Welt, mich zu begeistern mit der Jazztrompete, dem Klavierspiel, dem ganzen Blues. Ich war selbst von mir überrascht. Erwartete hatte ich das so nicht. Aber wer kann sich schon dem schönen Lächeln einer Frau entziehen, die mit einer Gitarre auf einer Bühne steht und zauberhafte Lieder spielt? Ich nicht.
Dabei begann das Konzert unspektakulär. Wir kamen ein paar Minuten zu spät in die schon gut gefüllte Gießhalle. Unsere ersten Stehplätze waren daher suboptimal, wir sahen nicht viel und wir standen in Nähe des Ein- und Ausganges, wo immer etwas Bewegung herrscht durch Leute, die kommen, die Getränke holen, die gehen. Sophie Hunger startete mit „Supermoon“, zu ziemlich das einzig aktuelle Stück von ihr aus den letzten Jahren, das ich kenne. Die Bühne war spärlich beleuchtet, einzelne Standscheinwerfer beleuchteten die Oberkörper der Musiker, mehr Licht gab es nicht. Es entstand dadurch eine sehr ausgeglichene und konzentrierte, gar minimalistisch wirkende Stimmung, die mich zwangsläufig auf die Musik blicken ließ. An das Gewusel um mich herum dachte ich so sehr schnell nicht mehr.
Ziemlich schnell wurde klar, dass Sophie Hunger mich erneut verzaubert würde. Die Musik war toll! Die Musiker waren großartig! Das Zusammenspiel der Band, eine Zusammenstellung von Könnern an ihren Instrumenten aus Belgien, Frankreich und der Schweiz, war fantastisch. Selbst ich Musiklaie merkte, dass alles perfekt flutschte. Im Musikerensemble spielte Sophie Hunger dabei Gitarre, wenn es in den Stücken schnell wurde und Klavier, wenn die sanfteren Songs angestimmt wurden. Es war magisch. Zugetraut hatte ich ihr diese magischen Momente ehrlich gesagt nicht mehr, aber in der Mitte des Konzertes war ich mir sehr sicher: Dieser Auftritt ist einer der besonderen Konzerte, die einem länger als andere in Erinnerung bleiben. Sophie Hunger zog mich weg in ihre musikalische Welt, begeisterte mich mit der Jazztrompete, dem Klavierspiel, dem ganzen Blues.
Erklären kann ich diesen Umstand nicht, und auch eine Definition für magische Momente abseits der genannten Worte fällt schwierig. Es gibt keine Gesetzmäßigkeit für diese Augenblicke. Sie passieren einfach, und genau das macht sie gerade so schön.

In der Halle dachte ich anfangs noch, dass das luftige und fabrikhafte Ambiente hinter der Bühne und die sehr hohe Deckenhöhe wenig Klubatmosphäre aufkommen lassen würde, spätestens als Sophie Hunger zur Zugabe „Walzer für niemand“ spielte, waren diese Gedanken dahin. Und alle anderen auch. Schon zuvor bemerkte ich, wie ich eher gedankenlos die letzten Stücke des Konzertes hörte. Der perfekte Konzertzustand, wenn alles andere ausgeblendet wird, der Bier holende Nachbar genauso wenig stört wie die Zigarette rauchenden Besucher hinter einem. Oft gelingt mir das nicht, daher kann es als Qualitätsmerkmal durchaus herhalten. Erst recht, wenn es mit leichter Gänsehaut einhergeht.
„Walzer für niemand“ war der ruhigste Song des Abends, dem auch der Schall von der Außenbühne nichts von seiner Anmut nehmen konnte. „In einem Festival ist es wie im richtigen Leben, manchmal muss man fremde Geräusche und unerwünschte Töne einfach ausblenden“, sagte Sophie Hunger zuvor, als es gerade von außen sehr laut schepperte.
Recht hat sie, manchmal muss man die Störgeräusche einfach ausblenden. Spitzenkonzert!

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