Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: –
Lee Ranaldo scheint mir in den letzten Jahren der produktivste des Sonic Youth’schen Gitarrentriumvirats zu sein. Soloalben, diverse Projekte und seit neuestem die Band Lee Ranaldo & El Rayo. Ein Album ist in Arbeit, wie man so sagt, es erscheint wohl zum Ende des Jahres.Ihr Debütauftritt hatte die Combo im Frühjahr beim Primavera Sound. Es war eines von drei Konzerten auf der sogenannten hidden stage, die im zweiten Jahr ihres Bestehens gar nicht mehr so hidden ist. Die Tickets für diese kleinen Konzerte besorgt man sich am Nachmittag an einem separaten Infostand. Das habe ich natürlich getan und ich habe mir Lee Ranaldo & El Rayo angesehen. Natürlich deswegen, weil ich a) ein Sonic Youth Sympathisant bin und b) ich die letzten beiden Lee Ranaldo Scheiben (mit seiner Band The Dust) sehr liebe.
Mit zwei jungen spanischen Musikern spielte Ranaldo seinerzeit ein Set, das trotz verstärkter Akustikgitarre ruhig war und viel auf Glöckchen, Rasseln und Keyboards setzte. Es war ein toller Auftritt, der gerade auch wegen der Premierenpannen wie verpassten Einsätzen und Abstimmungsschwierigkeiten sympathisch holprig und unausgereift dargeboten wurde. Grund genug, mir das Ganze nochmal anzuschauen.
In meinem Kosmos ist Lee Ranaldo ein Superstar. Gerne möchte ich Weltstar schreiben, aber letztens noch wurde mir sanft vorgeworfen, den Begriff Weltstar zu inflationär zu benutzen. Und überhaupt, was in meinem Kosmos ein Weltstar sei, sei das objektiv betrachtet noch lange nicht. Der Vorwurf war nicht ganz ernst gemeint (oder vielleicht doch), aber ich gestehe, dass ich mich schnell begeistern lasse und manche Bands und Musiker ganz anders wahrnehme, als es die breite Masse macht. Und so ordne ich Lee Ranaldo auf der Superstarskala sehr wohl im Bereich Weltstar an.
Dass ich in diesem Fall damit objektiv nicht ganz richtig liege, zeigt der Besucherandrang im Gebäude 9. Es ist nix los.
Wie kommt’s? Ein Grund könnte sein, dass das Debütalbum noch gar nicht verfügbar ist. Ein anderer, dass die Tour nirgends explizit beworben wurde. So lief die Veranstaltung sicher bei vielen unter dem Radar. Oder aber Lee Ranaldo zieht 2016 keinen mehr vom Ofen weg. Bei den letzten Konzerten mit seiner Band The Dust war das Gebäude 9 zwar auch nicht voll, aber der Besuch damals doch ansprechend. Daher sehe ich letzteren Grund eher für unwahrscheinlich an.
Ich finde es schade, dass nur so wenige den Weg ins Konzert fanden, denn Lee Ranaldo ist ein begnadeter Musiker, sowohl handwerklich als auch in songschreiberischer Hinsicht. Schon zu Sonic Youth Zeiten waren seine Songs die schönsten, die sanftesten und melodischsten. Dass sich daran nichts geändert hat, zeigten die letzten beiden Alben mit The Dust und auch die Stücke mit El Rayo. Das wilde rumexperimentieren mit Geräuschen allerlei Art wurde ganz zurückgefahren, der klassische amerikanische Gitarrenunderground fokussiert. Mit The Dust mehr, mit El Rayo weniger. So war zumindest mein Eindruck, als ich Lee Ranaldo & El Rayo im Frühjahr hörte. Hängt es damit zusammen, dass Raul Fernandez und Cayo Machancoses aus Spanien stammen und die Stücke europäischer klingen lassen? Wobei ich mich gerade Frage, wie ‘europäisch klingen‘ überhaupt klingt. Egal, mein Eindruck, mein Gedankengewurschtel.
Fakt ist, dass dieses Konzert viel rockiger, als ich den Primaveraauftritt in Erinnerung habe. Die Gitarren waren stärker, die Keyboards etwas weniger ausgeprägt. Und die elektronisch verstärkte Akustikgitarre war in Summe nicht ganz so ruhig. Einzig der Konzertbeginn mit Glockenklingeln und gesampleten Vogelgezwitscher ließ mich zurückdenken. Nach der Aufwärmphase mit den beiden bekannten Songs „Let’s start again“ und „Off the wall“ (Riesenhit übrigens) dominierte der Rock. Raul Fernandez griff öfter zur elektrischen Gitarre als in die Keyboardtasten.
Wunderschön fand ich den teilweise vierstimmigen Gesang, der die Songs in den Classic Rock abdriften ließ. Und sangen sie die Refrains nicht vierstimmig, dann doch mindestens Lee Ranaldo und Raul Fernandez im Duett. Sehr früh im Konzert beschlich mich der Eindruck, dass das kommende Album Electric Trim sehr gut sein muss.
Lee Ranaldo gilt uneingeschränkt das Hauptaugenmerk. Alle Blickrichtungen gehen in seine Richtung. Links vor der Bühne ist es daher deutlich voller als am anderen Bühnenrand, wo Bassist Cayo Machancoses und Multiinstrumentalist Raul Fernandez ihrem Job nachgehen. Die Schlagzeugerin, die mich in einem Duett mit Lee Ranaldo sehr verzaubert („Last looks“?), agiert im Hintergrund.
Ihren großen Auftritt verpasse ich allerdings. Und leider. „Ocean“, ein Velvet Underground Cover, ist der ausuferndste Song des Abends, an deren Ende die Schlagzeugerin fast ihr Spielgerät zerlegt. Sie spielen es am Schluss des Konzertes und somit zu einer Uhrzeit, zu der ich schon zum Zug hetzen musste. Das ist Jammerschade. Doch Dank des Internets gingmir dieser Song nicht verloren!
Kontextkonzert:
Lee Ranaldo & El rayo – Primavera Sound Festival Barcelona, 02.06.2016
Lee Ranaldo & The Dust – Köln, 13.11.2013 / Gebäude 9
Lee Ranaldo – Hasselt, 15.06.2013
Lee Ranaldo – Köln, 04.07.2012