Ort: The Chicago Theatre, Chicago
Vorband: Suki Waterhouse

Father John Misty - Chicago, 29.09.2022

Urlaub. Nach den Pandemiejahren ergab sich eine günstige Option, in die USA zu fliegen. Chicago und ein paar Tage später New York stehen auf dem Reiseplan. Insgesamt werden wir 12 Tage unterwegs sein. Zeit genug, um die beiden Städte zu erkunden, Zeit genug auch, um sicherlich das ein oder andere Konzert mitzunehmen. Denn ohne Livemusik geht so eine Urlaubsreise natürlich nicht. Bei Recherchen stellte sich heraus, dass unser Reisezeitraum enorm gut liegt. Während unseres Chicago Aufenthalts spielen Dinosaur Jr. im The Vic Theatre, wenn wir in New York sind Pavement und Flying Lotus jeweils in unterschiedlichen Brooklynern Theatern. Die Tickets kauften wir zeitnah nach unserer Reisebuchung. Alle weiteren Optionen, zum Beispiel Stereolab, Tortoise, Pixies, und noch ein paar mehr ließen wir uns offen. Tendenziell gäbe es an jedem Tag die Möglichkeit, ein Konzert zu besuchen.

But first we take Chicago.

Als wir am frühen Morgen des nächsten Tages Jetlag bedingt durch die erwachende Stadt laufen, stehen wir irgendwann vor dem The Chicago Theatre. Wir erkunden die nähere Umgebung des Hotels und sind bereits ein paar Blocks auf der State Street unterwegs, als wir die Leuchtreklame des Theaters erblicken. ‘Father John Misty 29 Sept’ steht dort geschrieben.

Hoppla, das ist ja heute. Und hoppla, es gibt noch Tickets. Wäre das nicht die viel gemütlichere Option für ein Konzert am Abend, als zu Stereolab zu fahren. Das Riviera Theatre, in dem Stereolab spielen werden, liegt arg außerhalb und würde eine mindestens 45-minütige Metrofahrt bedeuten; das The Chicago Theatre dagegen ist in schlappen 20 Minuten zu Fuß zu erreichen. Viel leichter geht es nicht. Und da der Tag Sightseeing-technisch gut ausgeplant sein wird, ist das doch die bequemere Variante. Wir fragen an der Theaterkasse nach den günstigsten Tickets und kaufen zwei Plätze mittig auf dem Balkon. Das passt.

Das Chicago Theatre wurde in den goldenen 1920er Jahren ursprünglich als Kinosaal gebaut. Nach mehreren Renovierungs- und Umgestaltungsmaßnahmen in den 1980er und 1990er Jahren ist das Theater heute ein Veranstaltungsort für E- und U-Musik und hat 3600 Sitzplätze.

Am Abend sieht die Außenfassade noch schöner aus. Die Front des Theaters ist toll illuminiert und die weiße Leuchtreklame glänzt in der sonst dunklen Umgebung noch heller. Es ist jetzt das klassische Filmtheaterambiente, das ich aus amerikanischen Filmen kenne. Auf der Straße stehen fliegende Hotdog Händler und T-Shirt Verkäufer. T-Shirt Verkäufer? Wann habe ich zuletzt bei uns T-Shirt Verkäufer bei Konzerten gesehen. Das ist schon lange her. Drinnen ist das Theater mindestens genauso schön wie von außen. Überall roter Teppich, eine 40 Meter hohe Kuppel, eine zweiflügelige Treppenkonstruktion, die zum Balkon und Mezzanine führt. Das macht einen erhabenen und altehrwürdigen Eindruck. Der Konzertsaal auch. Die Sitze sind zwar alt, aber die Polsterung ist okay und die Beinfreiheit in den Sitzreihen bestens. Hier kann jeder gemütlich sitzen.

The Chicago Theatre

This Show is presented by Chase.

15 Minuten vor Konzertbeginn kommt die Werbeblockeinspielung vom Band. Es folgen ein paar Hinweise wie Essen im Theater erlaubt, Telefon aber bitte stumm schalten. Ferner wird auf die Webseite des Theaters verwiesen, auf der weitere Informationen zu erhalten sind. Es ist jetzt kurz vor Konzertbeginn und der Theaterbalkon vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Wie die Auslastung im Parkett ist, kann ich nicht sagen, ich kann es nicht vollständig einsehen, da es unter dem Balkon/ Mezzanine verläuft.

Suki Waterhouse kann alles. Ich kenne die Engländerin nicht, lasse mich später von Wikipedia belehren, dass ‘Alice Suki Waterhouse an English model, actress and singer’ ist. Und Modedesignerin. Jetzt verstehe ich auch die aufgeregten Instagram-Mädchen neben und in der Reihe hinter uns. Sie sind die einzigen, die jetzt schon stehen und tanzen und jeden Song mit Riesenapplaus begleiten. Find’ ich interessant, denn musikalisch ist Suki Waterhouse eher so naja. Aber der Jubel gilt ja eher der Person, nicht ihren Songs. Die laufen nebenher. Musikalisch ist Suki Waterhouse seit 2016 unterwegs, ihr Debütalbum I can’t let go erschien in diesem Jahr.

Ihre Stimme ist schön. Die Songs sind enorm radiotauglich und kommen ohne Aufreger und leider auch ohne Aha Moment. Wie gesagt, dass das Konzert läuft so runter, ich nehme den Heather Nova-esken Poprock wohlwollend wahr. Mehr ist da aber nicht.

Pathetisch und manchmal durch die vier Bläser zu statustragender Indiepoprock. Das ist Father John Misty. Dieser war kurzzeitig Schlagzeuger bei den Fleet Foxes. Zuvor und danach war er als Singersongwriter solo unterwegs. Erst unter dem Namen J. Tilmann, nach seiner Fleet Foxes Zeit als Father John Misty. In Chicago und anderswo in Nordamerika präsentiert er mit dieser Tour sein aktuelles Album Chloë and the Next 20th Century, das in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Ich kenne von Father John Misty kaum etwas, einzig ‘I love you, honeybear’ hatte ich mal irgendwie auf dem Schirm. Aber das ist schon eine Weile her.

Country Sounds inklusive Steel-Gitarre, Klimperklavier und schnulzigen Bläsern. Das Konzert klingt für mich wie ein Medley aus Songs der 1920er bis 1970er Jahre. Und nach den Comedian Harmonists. Manchmal und leider etwas zu selten gibt es auch schöne Indiesongs. Ich stecke im Gesamtwerk von Father John Misty a.k.a. Josuha Tilmann nicht drin, vermute aber mal, dass diese Songs älteren Semesters sind. und tatsächlich, ein Song wie „I love you, honeybear“ stammt vom gleichnamigen zweiten Album aus dem Jahr 2015. Seitdem ist musikalisch bei Father John Misty offensichtlich sehr viel passiert, denn seine – ich sag’ jetzt mal – anderen Songs haben damit nicht mehr allzu viel gemein. In der Summe ist mir das musikalisch zu uninteressant. Das gebe ich zu. So schaue ich mich etwas um. Die Publikumsflutuaktion ist groß. Andauernd stehen Leute auf, gehen raus, wechseln ihre Plätze. Das fällt auf. Genauso wenig die Tatsache, dass nicht wenige mit ihren Mobiltelefonen beschäftigt sind. Die Aufmerksamkeitsphasen sind kurz. Himmel, haben die alle Tickets gewonnen? Wussten die alle – genauso wie ich – nicht zu 100%, was sie erwartet? Oder ist das hier immer so? Verleitet die Sitzplatzgemütlichkeit dazu, öfter mal rauszugehen oder sich anderweitig abzulenken?
Im Parkett ist das anders. Da stehen die Leute. Genauso wie die Mädchen neben uns. Also ehemals neben uns. Wir haben in der Zwischenzeit die Plätze gewechselt und sind ein paar Reihen weiter nach vorne gezogen. Hier ist es erstens etwas ruhiger und zweitens ist die Sicht auf die Bühne etwas besser.

Sagte ich, dass das Konzert so lala ist? Das ist es. Manchmal erinnert es mich an ein Musical, manchmal ist in den Songs einfach zuviel Pathos und grundsätzlich kniet mir Father John Misty zu oft auf dem Boden. Aber das Ambiente im The Chicago Theatre ist toll und der Besuch schon alleine deswegen lohnenswert. Und die knappen zwei Stunden sind schnell vorbei. Alles in Allem ein durchweg interessanter Abend und für die gesammelten Eindrücke bin ich sehr dankbar. Hätten wir das The Chicago Theatre nicht besucht, ich hätte etwas verpasst. 

Setlist:
01: I love you, honeybear
02: Disappointing diamonds are the rarest of them all
03: Hollywood forever cemetery sings
04: Mr. Tillman
05: Chloë
06: Nancy from now on
07: Goodbye Mr. Blue
08: Funny girl
09: Q4
10: Total entertainment forever
11: Things it would have been helpful to know before the revolution
12: Strange encounter
13: Nothing good ever happens at the goddamn thirsty crow
14: Please don’t die
15: When you’re smiling and astride me
16: Chateau Lobby #4 (in c for two virgins)
17: Pure comedy
18: The ideal husband
Zugabe:
19: Holy shit
20: Buddy’s rendezvous
21: I’m writing a novel
22: Real love baby

Kontextkonzerte:

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