Ort: FZW, Dortmund
Vorband: KMPFSPRT
Wie erkläre ich beispielsweise meinen Arbeitskollegen Konzertfahrten in entfernte Städte zu nicht in der Öffentlichkeit stattfindenden Bands und Musikern? Eine Frage, die sich mir manchmal stelle und die ich mittlerweile mit „Am besten gar nicht“ beantworten möchte. Das ist mein Fazit nach vielen Konzertfahrten und -ausflügen und einigen Erzählansätzen. Steht das Besuchen von Auswärtsspielen der Lieblingsmannschaft oder der pfingstliche Kegelausflug akzeptiert als Mittagstischgespräch, so sind dies Konzertbesuche nicht. Sicherlich war jeder meiner Kollegen schon mal bei einer Westernhagen, Depeche Mode oder Springsteen Veranstaltung, aber das ist im Regelfall Jahrzehnte her (die Erinnerung daher verblasst) und mit Konzerten haben diese Grossevents ja auch nur eine Bühne und Musik gemeinsam. Und schon ist sie da, die erste Erklärungshürde: wie, Konzertbesuche in einem kleinen Club? (Im skeptischen Tonfall vorgetragen.)
Ja, es ist tatsächlich nicht so, dass die Hallengröße etwas mit der musikalischen Qualität zu tun hat, und nein, auch in stickigen, kleinen Absteigen sind Kartenpreise von 30 Euro nicht unbedingt überzogen. (Um die Frage nach dem Preis gleich zurückzugeben ohne zu verpassen, direkt darauf hinzuweisen, dass 15-22 Euro die durchschnittliche Kostenspanne ist.)
Und dafür fährst du nach …? Na, du musst ja Zeit haben.
Ja und Nein. Ich habe genauso viel Zeit wie andere auch und was sind schon 100 Kilometer? Dafür fahre ich mit dem Fahrrad zur Arbeit und geh‘ zum Brötchen kaufen zu Fuß.
Richtig, mein Lebensumfeld klingt vermeidlich spießig und nicht nach hipper Businessbranche. Und interessanterweise sind die meisten Intensivkonzertgeher, die ich über die Zeit kennengelernt habe, auch nicht in Medienkonzernen beschäftigt. Ganz einfach Normalos sind wir, die wir – nach meiner Privatstatistik – eher an Mittagstischen in Behörden und Firmenkantinen sitzen als anderswo? Warum machen wir das, verplempern Zeit, Geld und sind unter der Woche abends nicht zuhause?
Für heute kann ich die Fragen beantworten: Weil ich Cloud nothings unheimlich spannend finde. Und weil ich das FZW in Dortmund für einen angenehmen Konzertort halte. Für mich sind das zwei ausreichende Gründe.
Die Cloud nothings entdeckte ich vor einem Vierteljahr eher zufällig. Es war in meiner winterlichen Rumpel- und Antipop- Phase, als mir ihr aktuelles Album Attack On Memory in die Finger kam. „No future/no past“ ging mir danach lange nicht mehr aus dem Sinn. Dieser Mitgröll und Fugazi-eske Song wurde mein Februarhit, das Album wurde die meistgespielten CD im Auto.
Es war schnell eine abgemachte Sache, ihre Konzerte zu besuchen. Freitag und Samstag, das könnte klappen, so mein anfänglicher Plan. Das es nicht klappte, lag an meinem Leben. Je näher das Wochenende rückte, desto stärker musste ich feststellen, nein, ich habe gar keine Zeit. Für keines der beiden Konzerte, wenn ich es recht überlege. Nach unrechten Überlegungen entschied ich mich dann für eins. Und da ich samstags sehr ungern Konzerte besuche, fuhr ich am Freitag nach Dortmund. Eine gute Wahl, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte.
Ich kam zeitig im FZW an. Das Konzert sollte im kleineren, einige Treppenstufen tiefer liegenden FZW-Club stattfinden. Draußen lungerten noch einige auf den Mauervorsprüngen, es war kurz vor neun und es war der Freitagabendzeitpunkt, an dem man sich überlegt, ob man noch schnell etwas essen gehen solle, bevor die Nacht einen gänzlich fängt. Im Konzertraum war es entsprechend überschaubar. Vielleicht fünfzig Leute standen im Saal und hörten kölsche Musik.
KMPFSPRT klingt wie ich mir eine Band ohne Vokale im Namen musikalisch vorstelle. Laut, punkrockig und zweieinhalbminütig. Die Kölner Band um die ehemaligen Fire in the Attic Brüder Richard und Dennis Meyer schien mir die richtige Cloud nothings Einstimmung zu sein. ‚Es sei erst ihre zehnte Show‘, erzählten sie, und ‚ihr Schlagzeuger hätte nur die halbe Ausstattung mit dabei‘. KMPFSPRT lieferten nichtsdestotrotz unterhaltsame 30 Minuten, in deren Verlauf ich mir sicherheitshalber die Ohrenstöpsel anlegte. Mensch, bin ich laute Konzerte nicht mehr gewöhnt oder war es so laut? Es war tatsächlich sehr laut, die Stille nach dem Auftritt bestätigte dies. Und fies warm war es. Kaum gibt es einige sommerliche Stunden, werden Konzertsäle unerträglich drückend. Bis ich mich daran gewöhnt habe, braucht es drei, vier solcher Abende. Diese saisonalenTemperaturumstellungen ärgern mich jedes Jahr aufs neue. Ich brauche Anpassungszeit, ich kann nicht sofort von Hemd und Jacke auf Polohemd switschen.
Da war es gut, dass es auch zu den Cloud Nothings nicht übermäßig voll wurde. So blieb die Komfortzone gewahrt, die stickige Luft erträglich und das schwitzen in Grenzen.
Die Band aus Cleveland gab in Dortmund ihr Europatour Eröffnungskonzert. Die vier Jungs um die beiden Sänger / Gitarristen Dylan Baldi und Joe Boyer betraten nach angenehm kurzer Umbaupause gegen halb zehn die Bühne. Ich wollte heute Abend nicht zu lange unterwegs sein, daher freute ich mich über den straffen Zeitplan. Dass um elf Uhr mit den Konzerten eh‘ Schluss sein sollte, zeigten mir die Visions-Party Plakate am Eingang. So oder so, die Bands waren im Soll. Dass die Cloud nothings ihren Zeitrahmen bei weitem nicht ausschöpfen würden, wer konnte das zu diesem Zeitpunkt ahnen. Okay, das aktuelle Album ist gute 30 Minuten lang, aber es ist bereits ihr drittes. Material wäre also da.
Die Band verlegte sich jedoch darauf, nur Songs ihres aktuellen Albums zu spielen. „Stay useless“, „Fall in“ und das instrumentale „Separation“ bildeten den Startblock. Lärmpegeltechnisch standen Cloud nothings ihren Vorspielern in nichts nach, die Qualität ihrer Musik war jedoch eine andere. Was allerdings nicht jeder zu merken schien. Der dezent ältere Mann vor mir verstand absolut nicht, warum all die Indie-Studenten um ihn herum nicht pogen wollten sondern stattdessen ein verträumtes Emo-Kopfnicken bevorzugten. Nach jedem zweiten Song kam er aus der Saalmitte zu seinem Kollegen gelaufen, um ihn auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. ‚Die können gar nicht richtig pogen! Schau dir die an!‘ Sein Kollege nahm die Worte regungslos entgegen. ‚Die Toten Hosen spielen woanders‘, mir lag dieser Tipp mehrmals auf der Zunge.
Es folgten „Our plans“, „No sentiments“ und „Cut you“, bevor das Konzert mit „Wasted days“ und „No future/no past“ sein Ende fand. Gerade einmal 40 Minuten brauchten die vier Musiker, um ihr Album zu zelebrieren. Ein richtiges Wort, denn Cloud nothings sind ein Erlebnis. Wuchtig und elegant spielen sie live. Ihre Show ist eine Mischung aus Fugazi und Pavement. Zwischen den Songs bauten sie immer wieder gitarrenlastige Überbrückungsparts ein, so lässt sich nicht nur die längere Konzertspielzeit erklären sondern auch das intensivere Liveerlebnis. In der Zugabe spielten sie das ältere „Hey cool kid“ und als danach das Licht anging war es gerade mal halb elf.
Es war ein schönes, überwältigendes Konzert und ich überlegte auf der Rückfahrt ernsthaft, mir die Cloud nothings am folgenden Tag erneut anzuschauen. Doch leider hatte ich gar keine Zeit, und die Arbeit siegte …
Auf der Rückfahrt blieb auch noch Zeit, über etwas anderes nachzudenken: Interessant zu beobachten, wie sich das Schreiben über Musik und Konzerte auf das Seelenleben dieser Schreiberlinge auswirkt und deren Musikkonsum und Konzertverhalten beeinflusst. Die einen können es nicht mehr genießen und hören deswegen auf, darüber zu schreiben; andere wiederum denken während eines Konzertes / des Musikhörens nur noch an den anstehenden Bericht. Immer wieder lese ich solche Blogeinträge bei dem ein oder anderen Musikblogger, der zu der Erkenntnis kommt, dass das doch alles zu viel wird mit dem Schreiben und die Wertschätzung doch ach so gering ausfalle für die zeit, die man da opfert.
Ich würde mich zu keiner der beiden Gruppen zählen. Ich denke bei Konzerten und beim Musik hören möglichst wenig, höchstens fallen mir ein paar Sachen ein und Dinge auf. Ich besuche Konzerte auch nicht, um darüber zu erzählen, ich besuche Konzerte, weil sie mich interessieren. Das erzählen kommt an zweiter Stelle. Wenn ich Lokalreporter wäre und zur samstäglichen Oldienacht in die Tennishalle geschickt würde, wäre die Situation eine andere, dann stände das Berichten an erster Stelle. Bin ich aber nicht Reporter und Journalist, und dafür gibt es gewiss gute Gründe. Einer wäre, dass ich nicht über etwas berichten könnte, das mich nicht interessiert. Etwas zusammenfassen und objektiv zu beurteilen lag mir weder in der Deutschstunde noch im Vorschulunterricht. Und um nochmals auf das über Konzerte schreiben zurückzukommen: Das ist nicht schwer. Hinfahren, Foto machen, genießen, zurückfahren, überlegen wie es war. Klingt einfach und ist einfach.
Mit dem Cloud nothings Konzert hat der letzte Absatz natürlich nix gemein, außer dem Ding, dass ich just am Tag der Abfahrt den ein oder anderen Blog öffnete und das ein oder andere las, mich wunderte und immer wieder den Kopf schüttelte.
Multimedia:
Flickr Photos
Kontextkonzert:
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„Am besten gar nicht“ ist die beste Antwort. Sonst wird man nur für sonderlich gehalten.
schöner bericht. sehr schöner bericht.
bezüglich der problematik des vielleicht unter druck stehens manchen schreiberlings möchte ich anmerken, dass ich auch nicht immer frei davon bin. zumindest formulierungen geistern mir schon im schädel herum, die ich notiert wissen will. oder ich überlege, wie ich an die setlist komme oder „muss“ mir in mein telefon erste notizen zu songtexten kloppen, damit im nachhinein die erinnerung mispielt. ob mich das jetzt sonderlich vom konzertgenuss ablenkt, weiß ich nicht. ich denke nicht, denn ich geniesse die auftritte meist in vollen zügen und kann mittlerweile routiniert die dinge abhandeln, die ich für einen späteren bericht brauche.