Ort: Vorst Nationaal, Brüssel
Vorband: Middle kids

Bloc Party

‘Something glorious is about to happen. ‘

Beim dritten Song des Albums Silent Alarm packten mich zwei Wellen von rechts und eh ich mich versah, stehe ich mittig vor der Bühne. Wenn „Banquet“ just gespielt wurde, aber mit „Helicopter“ und „Like eating glass“ die beiden absoluten Emo-Höhepunkte des Bloc Party Konzertes noch bevorstehen, ist das kein guter Platz für Menschen meines Alters. Erst recht nicht, wenn man – wie ich – nicht auf schweißig verklebrige T-Shirts und Füße im Nacken steht.
Ein uneingeschränktes ‘ja‘ dazu und auch zu dem Fakt, dass ich eine mehr als ausgelassene Stimmung im Vorst Nationaal in Brüssel erlebe. Bloc Party packen an diesem Abend alle.
Die ersten drei Songs von Silent Alarm sind die letzten drei Songs des Konzertes. Auf der Silent Alarm Tour spielen die Briten das Album in umgekehrter Reihenfolge und sind im letzten Drittel ihres Albumsets angelangt. Sie stehen kurz vor „Helicopter“, dem vorletzten Song, und ich stehe mitten vor der Bühne, umgeben von einem Haufen Briten. Gejohle, Gespringe und Schulterklopfen überall, es sollten zwei anstrengende letzte Songs werden, von denen ich nur sehr wenig mitbekam. Zu sehr war ich damit beschäftigt, auf meine Umgebung zu achten und darauf, nicht urplötzlich einen Stagediver im Nacken zu haben oder im wildesten Gezerre unterzugehen. Standfestigkeit war oberste Maxime und das erforderte Aufmerksamkeit. Mehr, als es mir lieb war. Aus war es mit entspanntem mitsingen und tanzen. Die Jubeltraube der Mitzwanziger, der ich bis dahin aus ein paar Metern Entfernung zusehen konnte, war nun unmittelbar um mich herum, bzw. ich mittendrin.

Wie bin ich nur hier gelandet? Eine eher rhetorische Frage. Im Enthusiasmus des wirklich hervorragenden Bloc Party Konzertes habe ich mich zu sehr treiben lassen, mich nicht wirklich gegen die Wellenbewegungen gestemmt. So wurde ich Meter um Meter in Richtung Hallenmitte gespült und schwupps, war ich mittendrin. Ist ja auch nicht wirklich schlimm, kann man ja mal machen. Das Ergebnis waren zwar zwei verpasste Songs aber auch ein tolles Liveerlebnis. (Und nein, wer jetzt denkt, ich wollte mich noch einmal wie 20 fühlen, der irrt. Ich fühlte sehr genau die 47). Nachdem die Engländer mit „Like eating glass“ den letzten Song des Albumsets gespielt hat und das Konzert mit seinem Hauptteil endete, suchte ich dennoch das Weite. Zweieinhalb Songs zentralen front row Stress reichen mir, hier wollte ich nicht die Zugaben sehen.
So wühlte ich mich zurück, einmal quer durch den Vorst Nationaal, eine dieser typischen 70er Jahre Mehrzweckhallen. Ich bin zum ersten Mal hier und fühle mich an den Sportpalais in Antwerpen erinnert, der einen ähnlichen Aufbau und eine ähnliche Kapazität von – ich schätze mal – 10000 Leuten hat. Der Innenraum der Halle ist um nun proppenvoll und es dauert eine Zeit, bis ich nach hinten durchkomme, um in Ruhe meine Klamotten sortieren zu können. Das ist notwendig, mittlerweile war auch ich ein bisschen verschwitzt und Hemd und T-Shirt schlabberten unsortiert umher.

Drei Stunden zuvor ist der Vorst Nationaal noch nahezu leer gefegt. Wir waren früh in Brüssel, zur Einlasszeit fanden sich kaum 100 Leute am Eingang der Halle ein. Überraschend wenig, so der einstimmige Tenor. Wir hätten mit mehr Trubel gerechnet. Da es nicht so aussah, dass in der nächsten halben Stunde Tausende auftauchten sollten, blieb ausreichend Zeit für das, was man in Belgien immer machen sollte: Fritten essen. Da die Pop-up Lokale rund um den Vorst Nationaal perfekt auf die Veranstaltungen abgestimmt sind, fanden wir in jeder Bar neben Pommes auch einen Zeitplan für den Abend: 20:00 Uhr Middle Kids, 20:30 Pause, 21:00 Uhr Bloc Party, 22:30 Ende. Das nenne ich Service am Kunden. Bei uns schaffen es Veranstalter noch nicht einmal, den Zeitplan per Facebook bekanntzugeben. Das nenne ich Servicewüste.

Um halb acht war die Halle immer noch erschreckend leer. Da zu allem Überfluss die Oberränge mit Vorhängen abgehangen waren, sah es so aus, als würde es eine eher besucherarme Veranstaltung. Was gute zwei Stunden später abgehen sollte, davon hatte ich jetzt keinen Schimmer.

Wir fanden mühelos einen Platz rechts vor der Bühne. Perfekte Sicht, ruhiger stand. Der Abend konnte beginnen und die Vorfreude stellte sich so langsam ein.
Über Middle Kids, die den Abend eröffnen, brauche ich nicht viele Worte verlieren. Das war nicht meins. Die junge Sängerin der Band erinnerte mich an Amy Macdonald. Da ich die Schottin jedoch nur in ihrer Anfangsphase mochte, war dieser Spontaneindruck fatal für die Middle Kids. Diesen Eindruck wurde ich in den nächsten Minuten nicht mehr los und so werden die Australier in Zukunft wohl unter meinem Radar bleiben.

Bloc Party sah ich zuletzt 2009 im Palladium. Die Vorband hieß  damals Delphic und beeindruckte mich sehr. Leider kennt Delphic heute niemand mehr, ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Delphic eine großartige Band war. 2007 hatten Bloc Party Biffy Clyro im Vorprogramm und 2005, als ich sie das erste Mal live sah, spielten sie mit The Crimps. Soweit meine bisherigen Bloc Party Erfahrungen.
Das 2005er Konzert war die Tour zum Debüt Silent Alarm, ein Album voller Hits. „Banquet“, „Helicopter“, „Like eating glass“, „Here we are“, „This modern love“, „She’s hearing voices“. Klassiker allesamt. 13 Jahre nach diesem heißen Live Music Hall Konzert war das genau mein Grund, Bloc Party nach 9 Jahren und zwei verpassten Alben noch einmal live zu sehen. Wäre das Brüsseler Konzert nicht Teil der Silent Alarm Jubiläumstour, ich wäre nicht hingefahren. Denn seit Intimacy ist die Band aus meinem Gesichtsfeld verschwunden. Four und Hymns – die letzten beiden Alben – kenne ich genauso wenig wie Kele Okerekes Solosachen. Bloc Party erging es wie allen anderen Bands der sogenannten Klasse von 2005. Nach zwei Alben verschwanden sie langsam von meinem Musikhorizont. Frag Maximo Park, die Kaiser Chiefs oder Hard-Fi.
So war den auch der zweite Zugabenblock an diesem Abend absolutes Neuland für mich. „Octopus“ und „The love within“ (beide von den letzten beiden Alben) hatte ich zuvor noch nie gehört. Erst das finale „Flux“ war mir wieder ein bisschen bekannt.

Bloc Party haben sich seit 2009 verändert. Louise Bartle am Schlagzeug und Justin Harris am Bass ersetzen die alten Mitglieder Matt Tong und Gordon Moakes. Kele Okereke ist natürlich noch dabei, allerdings ist aus dem schmächtigen jungen Mann ein Muskelprotz geworden, dessen Oberarmdicke locker mit meinem Oberschenkelumfang konkurrieren können. Einzig Russell Lissack hält visuell die 2009er Bloc Party aufrecht. Er trägt nach wie vor die gleiche seitengescheitelte Frisur.

Meine Sorge, gutes Konzert oder Leichenfledderei, war schon vor dem Abend ad acta gelegt. Videos aus Amsterdam und Berlin zeugten von guter Stimmung und fabelhaften Konzerten. Brüssel steht dem in nichts nach. Die vier Musiker verstehen ihr Handwerk, allen voran die Schlagzeugerin spielt einen akkuraten und  sauberen Stil. Das Set war perfekt durchorganisiert und trug sich quasi von selbst. So waren auch die Showelemente reine Nebensache: die Konfettikanonen hätten es nicht benötigt, um Stimmung herbeizurufen. Eine erste Gänsehaut bekam ich bei „So here we are“, da ging es mir sicher nicht alleine so. Von „This modern love“ ganz zu schweigen. Himmel, das sind so Lieblingslieder, die rufen automatisch ein Kribbeln hervor.
Überdies war es ein geschickter Schachzug, das Album von hinten nach vorne aufzuziehen. So kamen die großen Hits zuletzt, die kleinen Hits in der Mitte und Songs wie „Plans“ oder „Compliments“ zum sanften warm werden zu Beginn des Konzertes. Eine gute Strategie, das passte.

Erst später und draußen nach Konzertende entdecke ich die Blutflecken auf meinem Hemdärmel und am Saum. Ich muss sie mir während der letzten drei Albumsongs geholt haben. Was für ein Konzert!

‘And your nose is bleeding,
and your nose is bleeding.‘

Kontextkonzerte:
Bloc Party – Köln, 17.02.2009 / Palladium
Bloc Party – Köln 8.5.2007 / Palladium

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