Ort: Poppodium Nieuwe Nor, Heerlen
Vorband: Georgio Valentino

TuxedomoonEs gibt Bands, für die bin sogar ich nicht alt genug. Also nicht nicht alt genug, um sie nicht zu hören, aber nicht alt genug, um sie in ihrer Hochphase mitbekommen zu haben. Hüsker Dü zum Beispiel, oder The Stranglers oder The Clash. Ich war damals noch zu jung, um sie aufzunehmen, mir anzuhören. Meine Ohren liebten damals Nena, Kajagogoo, Alphaville oder Frankie goes to Hollywood.

Tuxedomoon gehören auch in diese Kategorie Bands. Ich tanzte 10 Jahre später zwar ausgiebig in der Indiedisco zu ihren Hits, über diese ein, zwei Songs hinaus nahm ich die Band aber nie wahr. Und so steht unter Tuxedomoon in meinem Musikgedächtnis nur „No tears“. Und ein bisschen „What use?“. Das ist nicht viel, aber immerhin.
„No tears“ ist ein Riesenhit, seinerzeit kannte ich ihn fast auswendig. Er war fester Bestandteil im Repertoire der DJs, nahezu jedes Wochenende hörte ich ihn im Dortmunder Musikzirkus, direkt vor oder nach „Suicide commando“. Dieses Doppel lockte uns immer auf die Tanzfläche; wenn wir nicht schon da waren.
Etwas unverständlich bleibt, warum ich mich nicht auch abseits des Wochenendes mit der Musik von Tuxedomoon beschäftigt habe. Vielleicht, weil die Musik damals schon alt war und für mich auch alt klang. Vielleicht aber auch nur, weil keiner meiner Freunde eine Platte von ihnen hatte und mich so nicht mitziehen konnte. Letzteres war wohl der entscheidende Grund. Ich wurde in meinem Musikhörverhalten sehr von meinen Freunden beeinflusst. Viele Bands hätte ich durch sie nicht kennen und schätzen gelernt. Andersrum war es sicher genauso. Und da niemand von uns sonderlich stark auf Postpunk und Avantgarde-Kram stand, waren Tuxedomoon raus, und ich konzentrierte mich auf andere Musik.

Grundsätzlich wären sie auch aktuell noch raus, wenn ich nicht vor ein oder zwei Jahren von einem Bekannten gefragt worden wäre, ob ich nicht mit zu einem ihrer Konzert gehen möchte. Damals hatte ich keine Zeit, und der Konzertbesuch fiel leider aus. Denn ja, angeschaut hätte ich sie mir schon, vielleicht auch nur wegen „No tears“. Dass sie den Song bereits seit Jahren live nicht mehr spielen, wusste ich damals noch nicht. Diese Information erfuhr ich erst vor einigen Tagen beim Lesen eines ihrer Interviews. Sicherlich hätte ich mich damals verwundert gezeigt, „no tears“ nicht zu hören. Ach, ganz bestimmt sogar. Denn wie kann eine Band ihren einzigen Welthit nicht in einem Konzert spielen. das geht doch nicht!
Aber die Band war wieder irgendwie in meinem Kopf. Und „No tears“ kurzzeitig auf meiner Playlist. Lustigerweise wieder nur dieser eine Song. Noch immer interessierte mich anderes nur wenig.

Es hätte bestimmt auch nicht zu diesem Konzertbesuch gereicht, wenn ich die Tourankündigung, dass die aktuelle Konzerttour eine Half-Mute Albumtour ist, nicht mitbekommen hätte. Half-Mute ist das Debütalbum der amerikanischen Band, deren Mitglieder bereits seit Jahren in Europa leben. ‘Sie empfanden ihre Musik als zu europäisch, daher gingen sie von New York nach Brüssel‘, lese ich in besagtem Interview. Ferner las ich andere interessante Dinge, die mich mehr als neugierig machten.

Half-Mute kommt in der Avantgardepopsaison 1980 die Rolle zu, Klassik, europäische Kunstmusik und Noise-Sequenzen in den Postpunk zu drehen.

Ich interpretiere daraus: Half-Mute ist für die Musik der 1980er Jahres ein relevantes Album. Ein sehr relevantes Album. Grund genug, es sich mal anzuhören. Und das am besten live.

Der Haken an der Sache: der Kölntermin liegt zu einem Zeitpunkt (04.06.), an dem ich nicht kann. Sollte mir hier etwa wieder ein feines Konzert einer Band mit einer sehr relevanten Platte durch die Lappen gehen? Das kann nicht sein und so war meine Freude groß, als ich beinahe zufällig mitbekam, dass Tuxedomoon auch in Heerlen ihre Albumshow spielen sollten. Heerlen bei Aachen, nicht wirklich weit weg. Also nix wie hin.

Am Tag zuvor hörte ich Half-Mute zum ersten Mal. Ein bisschen vorbereiten wollte ich mcih denn doch. Ich gestehe, ich hatte anderes erwartet. Ich hörte nichts, was klang wie „No tears“ oder „What use?“. Stattdessen hörte ich Noise mit Saxophon, Trompete, Geige und Klarinette. Sounds, die an den Jazz und ernste Musik angelehnt waren, die aber auch diese dunklen typischen Synthiewellen der beginnenden 1980er besaßen. Meine Spontanreaktion war die: Wer hörte sich so etwas vor 30 Jahren an? Ich meine, 1980! „Super Trouper“ von Abba erschien, oder „der Nippel“ von Mike Krüger. Das war soweit von dem hier weg wie nur sonst was. Wie unterschiedlich kann eine Welt doch sein. Aber mir gefiel das viel besser als „Super Trouper“, was auch famos ist, und ich brauchte gar nicht lange, um für mich festzustellen, dass Half-Mute ein gutes Album ist. Es packte mich sofort im ersten Durchgang.

Die Vorfreude auf den Konzertabend wuchs enorm. Wie wird das sein?
Nun, die Antwort darauf ist schnell geschrieben: Verdammt gut!

Steven Brown, Blaine L. Reininger und Peter Principle bilden das Kernteam von Tuxedomoon, damals wie heute. Über 180 Lebensjahre stehen somit vor mir auf der Bühne.  Das 30 Jahre eine lange Zeit sind, zeigt ein Videohinweis vor dem Konzert: ‚In memoriam of our friend and collegue Bruce Geduldig‘ steht an der Bühnenrückwand. Das ehemalige Bandmitglied verstarb vor ein paar Wochen.
Während des Konzertes laufen im Hintergrund Filmchen und Visualisierungen. Sie untermalen das, was vornehmlich Steven Brown und Blaine L. Reininger am Bühnenrand mit ihren Instrumenten fabrizieren. Im Hintergrund halten sich Trompeter Luc van Lieshout und Peter Principle stoisch zurück. Den Trompeter kann ich nicht so gut beobachten, den Bassisten der Band schon. Ich glaube, die 90 Minuten Konzert bewegten sich nur seine Finger. Ohne Regung spielt er den Bass, manchmal minutenlang nur ein und denselben Ton. Steve Brown bedient die Synthies und das Saxophon oder die Klarinette während Blaine L. Reininger zwischen Gitarre und Voline wechselt. Erstmalig bei „Fifth Column“ greift er zum Bogen. Die Töne, die er damit produziert, klingen für mich erst mal wenig nach Violine. Es ist vielmehr ein irres Gezupfe, das irgendwelche Töne produziert.

Das anschließende „Tritone“ ist im Mittelteil des Konzertes als Instrumentalstück ein Brocken, der mit den folgenden „Loneliness“ und „James Whale“ verdaut werden muss. Eingängig ist das nur bedingt, sehr sperrig und avantgardistisch empfinde ich diesen Konzertteil. Zwar ist das Zusammenspiel des Saxophons mit der Trompete, immer wieder löst das eine Instrument das andere ab, ohne dass der Übergang direkt hörbar ist, wundervoll und 100% aufeinander abgestimmt, alles andere jedoch erscheint mir auf den ersten Blick wie ein großes Wirrwarr. Mal klingt es für Sekunden sehr nach Jazz, dann wieder nach Krautrock, manchmal aber auch nach gar nichts. Und doch verlieren Tuxedomoon in ihren Stücken nie den roten Faden. Das, was nach Improvisation klingt, ist nicht improvisiert.

Mit „What use?“ folgt – ich sag mal – der Radiohit des Albums. Neben „59 to 1“ ist es das eingängigste Stück der Platte.  Bei beiden Songs spielt Blaine L. Reininger die Gitarre und es sind, wenig verwunderlich, meine persönlichen Konzertfavoriten. Es wäre aber zu billig, den Abend nur auf diese beiden Songs herabzubrechen. Und es wäre falsch. Denn auch die Jazzsequenzen waren famos, und die alten Synthiewellen, die Klarinette im Einklang mit der Trompete, der quasi Sprechgesang von Steven Brown bei „7 years“. Ach, es gab so viele tolle Momente. Selten habe ich Avantgarde so unterhaltsam und kurzweilig empfunden. „KM/ Seeding the clouds“ bildet einen weiteren verschrobenen Konzertpart und ist der Abschluss der Albumpräsentation.  Das Stück kommt mir am wirrsten vor.

‚Das neuaufgelegte Vinyl von Half-Mute sei 2 Gramm schwerer als die alte Ausgabe‘. Sah und hörte ich während des Konzertes nicht viel von Peter Principle, jetzt war er da. Kurz und knapp und witzig sein Hinweis auf das rerelease der Debütscheibe.

Gute 45 Minuten waren um, das Konzert aber noch nicht zu Ende. Im Anschluss gibt es anderes aus dem Bandkatalog. Insgesamt spielen sie nach dem Album – deren Songs sie übrigens in Albumreihung vortrugen – noch vier oder fünf weitere Stücke. „This beast“ und „Muchos colores“ sind darunter, soviel entnehme ich den Setlisten. Die anderen Tracks bleiben mir unbekannt, ich mutmaße aber mal, dass sie neueren Datums sind.

In den letzten Jahren machten Tuxedomoon vornehmlich Filmsoundtracks (Pink Narcissus, Blue Velvet Revisited). Ich finde, das macht Sinn, denn ihre Musik kann ich mir sehr gut als Filmuntermalung vorstellen, vielleicht sogar besser als alles andere. An „No tears“ denke ich auf dem Nachhauseweg keine einzige Sekunde lang. Ich denke, mehr kann ein Konzert nicht leisten, als einem so den Kopf durchzupusten. Mag es auch ein bisschen verrückt gewesen sein, es war ein wunderbares und sehr interessantes Konzert. Und keineswegs so altbacken, wie man vermuten könnte, wenn man hört, dass eine Band ihr 30 Jahre altes Album vorspielt.

Liebe Tuxedomoon, auch wenn euch die USA nicht verstehen, Heerlen und ich haben euch verstanden.

„Wir stellten fest, dass wir in Ländern wie Italien, Griechenland und Belgien regelrecht gefeiert wurden, während wir für die USA zu europäisch und zu künstlerisch klangen“, erinnert sich Blaine L. Reininger heute: „Die ganze Band flüchtete vor Ronald Reagan von Kalifornien nach Brüssel. Wir dachten: Europa wird uns verstehen.“

Schreibe einen Kommentar