Ort: Blue Shell, Köln
Vorband: The Elwins

Motorama

Ich kenne mich in der russischen Musikszene null aus. Sowohl früher als auch heute sind mir all die Bands und Musiker völlig unbekannt und fremd. Pussy Riot ist mir natürlich ein Begriff, aus den Nahrichten, einen Song kenne ich jedoch nicht. Hätte man mich als Kind gefragt, welche sowjetischen Musiker es denn so gäbe, hätte ich mit Dschinghis Khan und Ivan Rebroff geantwortet. Das beide auf Deutsch sangen, für einen achtjährigen ist das eher Nebensache. Tatarentanz, Rauschebart und Fellmütze waren mir damals Indizien genug, diese beiden Bands/Musiker mit der Sowjetunion zu verbinden. So, Schublade wieder zu.
Seit einem guten Jahr antworte ich auf die Frage nach einer russischen Band stilsicher mit Motorama. Als diese junge Band aus Rostow am Don vor ein, zwei Jahren plötzlich in meinem Bewusstsein auftauchte, war ich sofort Fan. „Alps“, das Album, was sie auch heute noch zum freien Download auf ihrer Webseite anbieten, faszinierte mich mit seinen Cure-esken Melodien direkt. Es brauchte nicht lange, um angefixt zu werden. „Northern Seaside“, „Warm Eyelids“, „There’s no hunters here“, wow, was für Songs! Schnell besuchte ich ihr Konzert in Oberhausen und war begeistert. Das war im letzten Winter und es war grandios. Als dann Köln im aktuellen Tourplan auftauchte, war es ein Pflichttermin, dort aufzulaufen.
Ich saß im Zug, als mich eine Musikempfehlung per Mail erreichte. Verbunden mit der Aussage, „ich könne mir das aber auch erst nach dem Konzert anhören, um mir die Einstimmung auf den musikalischen Abend nicht zu verderben“. Das brachte mich dazu darüber nachzudenken, wie ich mich eigentlich auf Konzerte einstimme. Höre ich Musik der Band, die ich gleich sehen werde? Höre ich andere Musik? Nun, meistens höre ich gar keine Musik, nur wenn der Zug sehr laut ist, krame ich den IPod hervor und höre das, wonach mir ist. Das kann Musik der Band sein, die gleich spielt, oder etwas ganz anderes. Ich kenne Konzertgänger, die hören vor einem Konzert tagelang keine Songs der Konzertband, andere wiederum hören gerade Songs der Konzertband. Bei mir ist das nach Lust und Laune sehr unterschiedlich. Aber sehr oft schaue ich mir nachmittags zur Einstimmung Livevideos an. Ein bisschen muss ich meine Neugierde ja befriedigen. An diesem Tag ging es jedoch ohne Video gucken und Songs hören. Das letzte Motorama Konzert war mir noch sehr präsent. Überdies höre ich Motorama sehr regelmäßig, sie sind eine von wenigen Abends, die einen Dauerplatz auf meinem IPod haben. Und das ist ein eindeutig gutes Qualitätsmerkmal.
Mit „To the south“ begann an diesem Abend die heiße Phase des Konzertes. Die Musik wurde lauter und wilder. Es kam mir so vor, als seien alle Songs davor nur ein großer Warm-up gewesen. Aus dem nichts heraus schrie Vladimir Parshin bei „Alps“ seine Extrovertiertheit heraus. Die kleinen Köperzuckungen, die er bis dahin zeigte, reichten scheinbar nicht mehr. Dieser Mann braucht Platz auf der Bühne, und wenn er den nicht findet, rennt er eben ins Publikum. So wie bei „Empty beds“ (?), als er einfach seine Gitarre ablegte, und durch das Blue Shell tanzte. Das wirkte ungestüm und egozentrisch, ist es aber nicht. Es ist ein sehr nettes und rücksichtsvolles „aus sich herausgehen“, wie ich finde. Als er auf dem Weg zurück zur Bühne einen jungen Mann noch voller Adrenalin leicht anrempelte, entschuldigt er sich gleich darauf bei ihm. So macht man das.
Zusammen mit „Eyelids“, das viel zu früh als Zugabe kam, waren das die besten Songs des Abends. Und wenn sich andere Menschen in Menschen verlieben, habe ich mich an diesem Abend erneut in ihre großartigen Bassläufe verliebt. Ach je, ich mag so was ja sehr, dieses 80er Jahre Getümmel, diesen The Cure, Gang of Four, New Order Bass. Motorama haben ihn perfekt.
Aber es wäre fahrlässig, die Russen nur darauf zu reduzieren. Natürlich können sie viel mehr, natürlich haben sie viel mehr. Sie sind nicht bloß 80s Blender, sie haben genug eigenes Zeugs in ihrer Musik. Das neue Album „Calender“ zeigt dies eindeutig. Keine Spur vom dumpfen nachklackern alter Helden, zeitgemäss und extrem tanzbar stellt sich ihr melodiöser Darkpop dar. Das klingt auf Platte schon gut, live ist es nochmal eine Klasse spannender. Was natürlich auch mit den tollen Livequalitäten zu tun hat. Motorama sind eine Show. Schon in Oberhausen ist mir aufgefallen, wie sehr unprätentiös und „normal“ die Band auftrat. Nichts scheint vorher besprochen, alles passiert einfach so. Unbeholfen und leicht schüchtern wirken sie immer noch, von Großmannssucht keine Spur. Beim Gitarristen fiel mir das besonders auf. Im Song ist er ein Derwisch, der wild mit seiner Gitarre herumtanzt, das der Gitarrenkopf nur knapp die Köpfe des Sängers und Keyboarders verfehlt. Ich glaube, er hat es nicht einmal mitbekommen, dass er ein ums andere Mal das Konzert beinahe vorzeitig beendet hätte. Die anderen beiden Musiker aber auch nicht. In den Songpausen dagegen schaut er immer in Richtung des Keyboarders oder des Schlagzeugers, und wartet. Wenn man ihn ansprechen würde, würde er zusammenzucken. Das liest sich sicherlich platt, diese Beobachtungen zeigen mir aber, wie sympathisch ich diese Band finde.
Der Gesang von Vladimir Parshin ist an diesem Abend sehr nuschelig. Kaum bekommt er die Zähne auseinander, oftmals öffnet er nur die rechte Backenhälfte, um die Töne aus seinem Mund entkommen zu lassen. Ich verstehe kaum, was er sagt. Die Gesamtatmosphäre stört dies aber wenig, und es passte sogar sehr gut in die immer noch morbiden und dunkeln Motorama Songs.
Ich bin sehr gespannt, wie es mit der Band weitergeht. Schaue ich mir ihre Webseite an, wirkt Motorama auf mich nicht wie eine Band, sondern vielmehr wie ein kluges Kunstwerk. Die analogen, grobkörnigen Fotos, die kargen Videos, die osteuropäischen Motive. Ich frage mich dann, ob es so ist, weil es eben so ist oder ob es die bewusste Imagepflege der Band sein soll. Vielleicht sollten wir dahingehend Motorama nicht unterschätzen, sicher ist: grobkörnig gelbstichige Fotos und Ostblockbautenromantik passen sehr gut zu Motoramas Musik.

Kontextkonzerte:
Motorama – Oberhausen, 04.03.2013

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