Ort: Berghain, Berlin
Bands: Fenster, Hinds, Isolation Berlin

Kamerakleber im Berghain

Konzerte in Berlin sind anstrengend. Das Publikum empfinde ich hier rücksichtloser als zum Beispiel in Köln oder Brüssel; die Clubs kommen mir irgendwie abgehobener vor. In Summe bedeutete das für mich, die Konzertszene in Berlin ist gewöhnungsbedürftig und aktuell nicht in den TOP 3 meiner Lieblingskonzertorte. Das kann sich aber ändern, und sicher ist meine Erfahrung auch nicht repräsentativ und enorm subjektiv. Trotzdem.
„Darf ich euch mal fragen, wie lange ihr schon vor dem Einlass wartet. Die Schlange ist ja schon lang.“ Die Frage kam überraschend und ja, die Einlassschlange vor dem Berghain war lang, aber das Schlangentempo war okay. Angesprochen wurden wir von einem Pop-Kultur Offiziellen. Die Veranstalter schienen in Sorge, dass alle oder zumindest die meisten Zuschauer rechtzeitig zu den Hallen und Veranstaltungsorten auf dem Festivalgelände gelangen. „Es war bisher okay“, sagten wir, und „keine Probleme bisher“. „Gut, dann kommt gleich die Bändchenausgabe, dann der body-scan (berlinerisch für Taschenkontrolle, denn kein body wurde abgetastet) – da staut es sich derzeit ein bisschen- und dann noch der Berghain Einlass.“ Na, jetzt wussten wir Bescheid. Und wir wussten somit auch, dass es noch etwas dauert. Wissen darüber, warum man wartet, macht aber das Warten erträglicher. 1:0 für die Veranstalter. Bereits vor dem eigentlichen Festival fühlten wir uns gut aufgehoben.

Auf der Rückfahrt im Zug las ich einen Artikel über TV-Serienvorspänne. Opening credits nennen Fachleute die Vorspänne. In ihnen werden nicht nur die Fakten aufgezählt (wer spielt wen), sondern immer mehr versucht, das Gefühl, das Temperament, die Eigenarten der Serie komprimiert zusammenzufassen: ob sie lustig sein will, spannend oder dramatisch. Vorspänne sind wichtig für den Verbleib des Zuschauers in den weiteren Minuten. Fühlt er sich vom Vorspann angesprochen, ist er eher geneigt, weiterzuschauen, als wenn er ihn langweilt. Andersrum ist es genauso: fühlt er sich vom Vorspann abgestoßen, zappt er weiter. Die opening credits der Pop-Kultur waren gut, denn alle Mitarbeiter machten einen freundlichen und entspannten Eindruck. Und die übertrug sich auf die gesamte Veranstaltung. Manchmal ist es ganz einfach.

20 Minuten später waren wir drin. Und erneut wurden wir nach unserer Wartezeit bisher gefragt. Die geben sich wirklich Mühe, dachte ich. So kam es dann auch, dass unser erstes Konzert, für das wir mittlerweile viel zu spät dran waren, später startete. Fenster, die Band, die als erstes im Berghain selbst auftreten sollte, hätte bereits seit 20 Minuten spielen sollen, und noch hatten wir die Berghainkontrolle nicht passiert.
Unsere Handykameras mussten noch abgeklebt werden. Und es wurden erneut die Taschen kontrolliert. Diesmal nur auf der Suche nach Fotoapparaten. Im Berghain herrscht ein absolutes Fotografier- und Bilddokumentationsverbot. Selbst die Presse muss sich daran halten. Die zeigte sich natürlich uneinsichtig, wurde aber mit den Worten Hausordnung und einem „das ist hier schon seit Jahren so“ Argument in ihre Schranken verwiesen. Leider konnten wir die Diskussion nicht bis zum Ende mitverfolgen, Fenster warteten ja bereits mit ihrer Filmpremiere und dem live dazu gespielten Soundtrack.
Als wir dann gegen 20 Uhr den Technotempel betreten, verlaufen wir uns erst einmal. Das Berghain ist verwinkelt und unübersichtlich. Es gibt viele Ecken und Räume, und es ist dunkel. Sehr dunkel. Wikipedia sagt, es gäbe hier auch sogenannte Darkrooms. Okay. Und es sei kein Klub wie jeder andere. Die Techno-Disco im Osten Berlins umgäbe sich gern mit dem Nimbus der Exklusivität. Nicht jeder komme rein. Und wenn man drinnen ist, darf man fast alles – eben nur nicht fotografieren.
So hab ich es irgendwo gelesen, ob das mit der Exklusivität noch so stimmt, weiss ich nicht. Zwei Dinge fielen mir auf: Die Tanzfläche ist gar nicht so groß wie erwartet und die Deckenhöhe ist riesig. Wenn hier der Sound gut ist, und ich vermute mal, er ist gut, müssen Bass und Beats hier enorm kräftig und tiefhallig klingen.
Als wir den Weg zur eigentlichen Tanzfläche finden, an dessen Ende die Bühne aufgebaut war, ist diese noch leer. Die Veranstalter hatten geschoben, und dies just in diesem Moment via Facebook mitgeteilt: BERGHAIN JETZT 20 MINUTEN SPÄTER. Na denne.
Langsam fühlte sich der Saal und so langsam begann auch das Festival für uns. Die Bands, die wir heute sehen sollten, waren mir gänzlich unbekannt. Nur kurz hatte ich in den Tagen zuvor bei der ein oder anderen in Spotify hineingehört.
Ursprünglich war nur der morgige Tag eingeplant gewesen. Aber warum nur einen Abend besuchen, wenn man auch zwei haben kann. Also buchten wir für den ersten Pop-Kultur Abend ein Ticket dazu: Fenster, Hinds, Isolation Berlin. So lautete nun der Plan. Owen Pallett, ein paar DJs und die Nerven waren zwar auch im Programm, aber zeitlich – weil nach Mitternacht – sehr spät angesetzt. Vielleicht das einzige Manko dieses Kulturfestes, denn auch am nächsten Tag blieb Messer um halb eins für uns zeitlich unerreicht.

Fenster zeigten ihren Film Emocean und spielten live dazu den Soundtrack. Das sah dann so aus, dass über der Bühne die Leinwand angebracht war und darunter im spärlichen Licht der Kopflampen die Musiker ihre Instrumente bedienten. Emocean handelt von…ich weiß es nicht mehr. Oder besser gesagt, ich wusste es nie. Denn ich habe den Film, der mir wie eine surreale Aneinanderreihung von Trailern, Videoclips und Kurzfilmen vorkam, nicht versanden. Das Design war zeitgemäss in trashiger 1980er Optik und in super vhs. (Himmel hilf, die 80er kommen zurück, Karottenjeans und Harry and Sally Outfits sah ich zu genüge.) Der Filminhalt war irgendwie schwierig.
Musikalisch ging es sehr psychodelisch zu. Fenster klangen gänzlich anders als auf ihrem Album The pink caves, das ich vorher kurz durchhörte und in „Better days“ einen verdammt guten dreampoppigen Song hat.
Die Instrumentalsongs waberten und halluzinierten um die Filmstreifen, die Titel hatten wie „A day in a life of a citizen“ oder in alter Gameboy Optik den Kampf zwischen Samson und NoSmas zeigten.
Damit lagen Fenster irgendwo zwischen den Dire Straits und Karat. Im Ganzen somit sehr konsequent, aber, o je, ich hab’ das alles nicht verstanden.

Hinds boten ein Kontrastprogramm. Indierock aus Madrid, gespielt von vier Anfang zwanzigjährigen Mädchen. Das klang süß, für mich war es aber weniger interessant als erhofft. Ana Garcia Perrote, Carlotta Cosials, Ade Martin und Amber Grimbergen hatten für meinen Geschmack ein wenig zu viel Folkrock („Warning With The Curling“) und zu wenig Slacker-pop, wie das Pop-Kultur Programmheft Hinds beschreibt, in ihren Songs. Aber mit Musikbeschreibungen von Bands ist das so eine Sache. Sie können trügen. „Trippy Gum“ blieb hängen, die übrigen Songs muss ich mir nochmals auf Konserve anhören, um wirklich urteilen zu können.
Die Band nannte sich früher Deers. Wenn man nach dem Videos zu „Trippy Gum“ sucht, findet man es als Deers Video. Anfang des Jahres haben sie ihren Namen gewechselt, es gab bereits eine Band namens Deers, der Namenswechsel wurde notwendig.

Bei Isolation Berlin dagegen hat es sofort klick gemacht. Joy Division, Grauzone, Rio Reiser. In dieser Reihenfolge schossen mir die Assoziationen während der ersten 3-4 Songs durch den Kopf. Die Band ist jung, hat zwei EPs veröffentlicht (Aquarium und Körper) und mit „Prinzessin Borderline“ einen Hit. Ich glaube, wir werden noch einiges von Isolation Berlin hören. Mich haben sie überzeugt. Aber auch hier gilt: die 1980er sind zurück. Isolation Berlin sind dabei mehr das alternative post-punkige West-Berlin und Linientreu (hieß so nicht der Indie-Club am Ku’damm?) als zum Beispiel der glitzernde Synthiepop, den Fenster eine Stunde zuvor mitbrachten. Das gefällt mir spontan besser. Ich bin auf das erste Album der Band gespannt und darauf, ob sich ihre Musik durchsetzen wird.

Was blieb sonst vom ersten Tag? Nun, ich fand es angenehm, Konzerte ohne leuchtende Handydisplays betrachten zu können. Das wirkte so schön altmodisch und konzentriert. Leider hatten dadurch auch viele wieder die Hände frei, um ihre Zigaretten halten zu können. War es denn nicht schon schweißtreibend stickig genug im Saal? Ein Rauchverbot jedenfalls scheint es im Berghain nicht zu geben. Oder es hält sich niemand dran. An das Fotografierverbot hielten sich interessanterweise alle.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Christoph

    Ja, das war das Linientreu. Aber das war am Zoo, oder?

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