Ort: Schauspiel Köln
Nachband: Die goldenen Zitronen
Die goldenen Zitronen bleiben Punk! Doch auf der elften Platte werden die politischen Haudegen melodisch. Es wird laut. Es wird bunt. Es wird goldig. »Wer hier mit dabei ist, kann nicht nur dafür sein!
So lese ich es in der Vorankündigung zum Konzertabend der Goldenen Zitronen im Kölner Schauspiel. Aber eigentlich bin ich nur wegen der Vorband da: Die Heiterkeit. Diese famose und tolle band aus Hamburg, die mich mit ihrem Debütalbum ‚Herz aus Gold‘ förmlich stehen gelassen haben. Das war vor zwei Jahren, und die Stücke der Heiterkeit kamen im herbstlichen Grau genau zum richtigen Zeitpunkt. So düster, streng und cool zusammen war lange keine deutsche Band mehr. Die drei jungen Frauen Stella Sommer (Gesang, Gitarre), Rabea Erradi (E-Bass, Gesang) und Stefanie Hochmuth am Schlagzeug erinnerten mich in ihren weniger monotonen Songmomenten an die Lassie Singers, die ich sehr mag, in anderen Augenblicken an die 90er Jahre Hamburger Schule. ‚Herz aus Gold‘ war mir eine Zeitlang ein wichtiger Soundtrack, Lieder wie „Alles ist so neu und aufregend“, „Alle Menschen“ oder „Süß, wie man es sein kann“ hörte ich sehr regelmäßig und oft. Doch dann kam der Sommer und mit ihm verschwand vorerst mein Bedürfnis nach monotonem gleichgültig traurigem Gesang und die Heiterkeit musste anderen Bands weichen. Im Herbst letzten Jahres war dann auch nicht die richtige Zeit, ‚Herz aus Gold‘ nochmals so intensiv hervorzuholen, wie es im Jahr davor passierte.
Umso neugieriger nahm ich die Nachricht auf, dass zu Beginn dieses Jahres ein neues Album veröffentlicht wird. Leider hatte ich bis auf ein paar Videos noch nicht viel von ‚Monterey‘ gehört, als ich mich zum Besuch des Konzertes entschloss. Es ist eben so wie immer. Um jedoch nicht ganz unvorbereitet zu sein, las ich ein paar Plattenrezensionen. Das aktuelle Album klänge ein wenig anders, die Indiepopgitarren hätten mehr Wave, dies unisono der Tenor in den Musikmagazinen.
Aha, ein msuikalischer Wechsel, personell gab es auch einen, Anna-Leena Lutz ersetzte vor den Aufnahmen zum aktuellen Album Stefanie Hochmuth am Schlagzeug.
So hörte ich an diesem Abend im Theater die neuen Songs zum ersten Mal, und ich hörte viele. Insgesamt 10 Stücke spielten die Heiterkeit. Eine Dreiviertelstunde Vorprogramm ist sehr ordentlich, und allein dafür hätte sich der Weg in die Schanzenstrasse, in der das Ausweichquartier des Theaters in einem alten Fabrikgebäude untergebracht ist, gelohnt, wenn der Weg nicht eh schon dafür gemacht worden wäre. Leider hatten nicht allzu viele den Weg nach Mülheim gefunden, das mit 600 Plätzen ausgestattete Depot 1 (eines von zwei Spielstätten auf dieser Anlage) war während des Vorprogramms nur dünn besetzt. (Auch bei den Zitronen blieben sehr viele Plätze frei).
Die Heiterkeit sind live ein skurriles Erlebnis. Die vier Frauen (also plus einer Keyboarderin) wirken auf der Bühne enorm lethargisch. Ich habe selten (oder gar noch nie) Musiker erlebt, die mit so einer offen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit ihre Songs visuell untermalt, wie diese Band. Wenn das Masche ist, geht sie voll auf. Mit Gesichtsausdrücken wie beim Warten in der Schlange vor dem Postschalter spielen sie ihr Set, scheinbar gelangweilt bearbeiten sie ihre Instrumente. Das passt alles hervorragend zu ihrer Musik, die – zumindest bei mir – ähnliche Spontanassoziationen hervorruft. Bis auf „Alles ist so neu und aufregend“ spielen sie nur Songs des aktuellen Albums. So hatte ich zumindest die gute Gelegenheit, ‚Monterey‘ ausgiebig kennenzulernen. Ich empfand die neuen Stücke allerdings nicht groß anders im Vergleich zum ersten Album. „Wohin gehst du, Cary Grant“ oder „Die ganzen müden Pferde“ haben Indiegitarren, und eine Spur auffälligen Wave entdeckte ich nur bei den letzten beiden Songs des Heiterkeits-Sets. Das waren dann neben „Alles ist so neu und aufregend“ auch die schmissigsten Stücke des Abends. Eins hatte einen schönen Cure Bass, das andere seichte 80er Synthieklänge.
Allerdings scheinen mir die neuen Songs allesamt noch eine Spur langsamer und entschleunigter zu sein. Ich finde das nicht schlimm, mir gefällt das.
Überhaupt hat mich der Heiterkeitsauftritt sehr überzeugt. Zur Umbaupause sagte ich, dass es sich ja jetzt schon sehr gelohnt hätte, hier hinzufahren. Ich sage sowas nicht oft. Ja, es war ein schönes Konzert, das durchaus mehr Zuschauer verdient hätte.
Die Heiterkeit sind live ein tolles Erlebnis.
Für die Goldenen Zitronen bin ich nicht schlau genug. Das musste ich an diesem Abend erneut einsehen. Eigentlich wusste ich das irgendwie, ich habe die Hamburger Band seit Jahren gemieden und mich nicht gewagt, mich ihrem Gesamtwerk auch nur ansatzweise zu nähern. „Das bisschen Todschlag“ von früher, und „Der Tag, an dem Thomas Anders starb“ von ganz früher sind die einzigen Songs, die mir spontan zu den goldenen Zitronen einfallen. Mehr nicht. Dabei gefällt mir der Sprechgesang von Schorsch Kamerun sehr, wer ihn nicht kennt sei auf die singing voice von Eddie Argos hingewiesen. Natürlich hinkt der Vergleich enorm, also nur so zur Vorstellung.
Die Goldies also, wie der Sänger seine Bandkollegen nennt, spielen im Theater. Das klingt schlüssig, sind die Altpunks doch mittlerweile hier angekommen. Schorsch Kamerun gab unlängst im Kölner Schauspiel sein Regie Gastspiel, er kennt sich also bestens aus.
Ich nicht. Und das nicht nur musikalisch. In diesem Industriehinterhof, in dem das Schauspiel Köln beheimatet ist, war ich bisher noch nie. Es ist eine schöne Spielstätte, dieser Ersatzbehelf aus Stahlrohrtribüne und Toilettenwagen-Klos deluxe. Das originale Schauspiel Köln wird derzeit umfangreich saniert und renoviert, und die Depot 1 und Depot 2 benannten Spielstätten auf dem Gelände des ehemaligen Carlswerkes dienen als Übergangslösung. Trotz aller Improvisation wirkt der Ort enorm stylisch, alte Industriekultur trifft aktuelle Spielkultur, von solchen Orten muss es viel mehr geben, und die, die es gibt, sollte man dringend bewahren.
„Der Investor“ heißt das zweite Stück der goldenen Zitronen, und man kann es durchaus auch auf Gentrifizierungsproblematiken beziehen. In Köln passiert da, wie in anderen Städten auch, ungeheures.
Die goldenen Zitronen also. Ich hätte mir nur kaum vorstellen können, mir jemals ein Konzert der Band anzuschauen. Ich verstehe die Band nicht, ihre Lieder, ihre Texte. Ich habe keinen oder nur einen geringen Zugang zu ihrer Musik, und wenn es im Vorprogramm nicht die Heiterkeit gegeben hätte und das Angebot von Sitzplätzen, ich hätte den Abend vor dem heimischen Fernseher vorgezogen.
Aber ein bisschen neugierig war ich schon. Nachmittags hörte ich kurz in das aktuelle Album ‚Who‘s bad‘ und war sanft angefixt von dem markanten Gesang Kameruns. Ich blieb also sitzen und schaute mir das Treiben auf der improvisierten Bühne an. Improvisiert deswegen, weil ein Rechteck mittig vor den Sitzreihen mit Scheinwerfern ausgeleuchtet wurde, deren Lichtkegel ebenerdig zu seiner Umgebungsfläche die Bühne markierte. Links und rechts davon war sehr viel Platz. So entstand ein skurriles Ambiente. Nicht nur, dass die Satzreihe fünfmal so breit war wie der ausgeleuchtet Bühnenteil mit den Instrumentenaufbauten, auch war der Saal nur spärlich besucht. (So waren vor uns die ersten fünf reihen im Parkett links komplett frei, obwohl sie über das Onlineportal des Schauspielhauses nicht gebucht werden konnten; Abos sicherlich).
Zwei der Bandmitglieder habe ich schon mal live gesehen. Zum einen Thomas Wenzel, auch Teil der Sterne (und mit diesen habe ich ihn auch gesehen), und zum anderen Ted Gaier, hier weiß ich jedoch nicht mehr, wann und wo. Die Goldies, wie Schorsch Kamerun seine Kollegen nennt, haben es an diesem Abend schwer. Und das Publikum machte es ihnen nicht leicht. Ich hatte den Eindruck, dass es die Zitronen nicht schaffen, mit dem Publikum warm zu werden.
Als Ted Gaier vor einem Song zu einer kleinen rede ansetzt und zu einer Art Podiumsdiskussion über die Institution Theater und seine Wirkung auf Künstler und Zuschauer auffordert, bleibt es ruhig. Die vorgeschlagene Bühnenbegehung zur Durchbrechung der Bühne-Zuschauerraum wurde nicht angenommen, die Provokation seiner Worte verhallte und wird als Gelaber und mit dem Wort langweilig abgetan. Der als Pogoraum deklarierte Bereich links und rechts der Bühne blieb nahezu leer und Gaiers Anmerkung – mit Blick auf die vielleicht 20 tanzenden Zuschauer im Pogoraum links von ihm – „das sehe jetzt aus wie bei einemr schlechten Abifete“ traf nicht nur ins schwarze, sondern war vor allem bittersüß.
Als quasi Außenstehender war das trotzdem unterhaltsam. Obwohl ich keinen einzigen der gespielten Songs kannte, schob ich keine Langeweile. Die Goldies sozialkrittelten sich durch ihr Programm, dass musikalisch mal mit mehr dumpfen Beats, mal mit mehr Gitarren hinterlegt war. Ich vermute, je nach Schaffensphase, und ich betrachte das Ganze mit entspannter Distanz.
Gegen Ende des Konzertes bekam ich immer mehr den Eindruck, dass die Band vor diesem Zustand der Distanz kapitulierte und eine wirkliche Konzertstimmung an diesem unwirklichen Konzertort abgeschrieben hatte. Sie schaffte es nicht mehr hin zu einem stimmungsvollen Konzert. Irgendwie war der faden zwischen band und Publikum gerissen, vielleicht war er an diesem Abend aber auch nie vorhanden.
Zweimal kamen sie noch zurück, „ICE Berthold Brecht“ bildete nach 80 Minuten ein recht unspektakuläres Finale.
Zwiegespalten verließ ich danach den Theatersaal. Auf der einen Seite fand ich es schön und interessant, die Goldenen Zitronen nun auch mal live gesehen zu haben, auf der anderen Seite hätte ich auch keine Bauchschmerzen bekommen, wenn ich eine halbe Stunde eher gegangen wäre oder mir den Auftritt völlig geschenkt hätte.
Es bleibt so, wie es war: ich verstehe die goldenen Zitronen nicht, und das liegt einzig und allein an mir.
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