Ort: Eine Wiese auf dem / am ehemaligen Expogelände neben IKEA
Bands: French Films, Gravenhurst, Fehlfarben, Superpunk, We have band, The hundred in the hands
„Es ist so richtiges Erkältungswetter“ sagte ich noch Freitagnachmittag, als sich Sonne und 20 Grad mit zugigen Windböen und bedecktem Himmel abwechselten. Ich hätte es nun wirklich nicht beschreien sollen, der Samstagmorgen zeigte es mir sehr deutlich. Neben dem obligatorischen Hang-over eines anstrengenden Tages und eines langen Abends merkte ich deutlich eine schniefende Nase und diese untrügliche, aufkommende Mattheit.
Aber ein ausgiebiges Frühstück brachte verbrauchte Energien zurück. Festivals mit Hotelanbindung sind was Feines und für mich als fourty-plus ein wichtiges Kriterium bei der Open Air Auswahl. Das muss wohl mit meinem elenden Heuschnupfen zusammenhängen, der mich früher alle sommertagelang quälte und den ich erst vor drei Jahren gut in den Griff bekam. Evan Dando sagte einst „i lied about being the outdoor type.“ Ich unterschreibe das.
Gegen 12 Uhr war ich bereit für den zweiten Festivaltag. Da dieser erst zwei Stunden später beginnen sollte, blieb Zeit, die Schönheiten des Hannoveraner Stadtteils Latzen zu erkunden. Gehässig könnte ich anmerken, dass dies schnell erledigt war, weil es in diesem messenahen Ortsteil außer vierspurigen Straßen und Hotels nicht viel zu sehen gab. Aber auch mehrstöckige Wohngebäude im Waschbetonstil der 70er haben ihren Charme. Das Einkaufcenter glänzt zwar mit eindimensionaler Küche (drei Asiaten) aber ansonsten mit allem notwendigen, was ein Vorstädter so braucht. Nach dieser kleinen Ortsbesichtigung ging es dann bei immer noch ungemütlich windigem aber trockenem Wetter zurück zum Festivalgelände.
Die jungen Männer von French Films sollten den Nachmittag eröffnen. Mit so einer Band macht ein Festivalveranstalter nichts falsch. Früh versprühte ihr Charme aus Cure Gitarren und Interpolesang gute Laune unter den kaffeetrinkenden Besuchern. Das war sehr tanzbar und klang trotz der Wohlvertrautheit von Gesang und Gitarren keineswegs langweilig. French Films ist eine dieser Bands, die auf einem Festival am Nachmittag sehr gut funktionieren. Ob das ganze über den Festivaltag anhält wird man sehen, ich denke aber dass die noch sehr jungen Finnen sich berechtigte Hoffnungen machen können. „Imaginary future“ ihr letztjährig veröffentlichtes Debütalbum hört sich zumindest für mich am Tag danach noch immer sehr gut an.
The hundred in the hands hätten einem in diesem Sommer sehr oft über den Weg laufen können. Sie standen auf den Spielplänen vieler Open Airs. Wir jedoch verpassten sie in Düsseldorf und anderswo, zu den großen Festivalgängern gehören wir nämlich eher nicht. So nahmen wir denn auch die Gelegenheit dankbar an, Eleonore Everdall und Jason Friedman, unterstützt durch einen Schlagzeuger, live zu erleben.
Hier Debütalbum „The hundred in the hands“ steht daheim im CD Regal, aber sehr oft habe ich es nicht gehört. Warum eigentlich nicht? Songs wie „Pigeons“ oder „Dressed in Dresden“ sind wunderbare Popmusik, angeshoegazt klingt ihr Keyboard, säuselnd verträumt der Gesang Eleonore Everdalls. The hundreds in the hands bringen uns über den Nachmittag. Sie dürfen sogar zwei Songs mehr als geplant spielen, scheinbar sind auch die Bühnentechniker und Bühnenverantwortlichen so überzeugt von den dreien, dass sie gar nicht genug bekommen können.
Für uns gab es ab jetzt kein entfliehen mehr. Der Rest des Tages gehörte dem BootBooHook. Nacheinander waren die Briten Gravenhurst, die Wuppertaler Fehlfarben sowie We have band und Superpunk angesagt.
Vor der Bierzeltbühne war es voll, als wir uns hinzugesellten. Gravenhurst aus Bristol schien seine Anhänger zu haben. Ich kannte die Band nicht und war irritiert, leise und akustische Gitarrentöne zu hören. Stand im Programmheft nicht etwas von Wall of Sound, etwas von einem Melodienerbe der My bloody Valentine, der Cure und den Smith? Das, was Nick Talbot mit seinen beiden Begleitmusikerinnen am Schlagzeug und Bass / Keyboard vortrug, klang jedoch ganz anders. „This is Gavenhurst tech-no“ sagte Nick Talbot zwischendurch und da ich seine Platten nicht kenne, weiß ich nicht, wie er es meinte. Gibt es auch die Wall of sound Gravenhurst? Nun, in ihrem einstündigen Festivalauftritt gab es sie nicht.
Aber je länger ich dem ruhigen Vortrag zuhörte, desto weniger vermisste ich irgendetwas. Gravenhurst sind toll!
Und die Fehlfarben sind schon sehr lange dabei.“Ein Jahr (es geht voran)“ war ihr ungewollter großer Hit, den jeder kennt. Für Peter Hein war die nicht abgesprochene Veröffentlichung dieses Songs als Single ein Grund, die Band zu verlassen. Das ist angelesenes Wissen, ich habe zu der Musik von Fehlfarben keinen Bezug. Anfang der 80er war ich noch zu jung, um sie zu verstehen, und als sie sich Anfang der 00er Jahre originalbesetzt wiedervereinigten, liefen sie folgerichtig nicht unter meinem Schirm. Warum auch, für mich hatten die Fehlfarben keine Geschichte. Textlich mögen ihre Songs zeitlos sein, musikalisch klingen sie für mich relativ uninteressant. Zu diesem Urteil komme ich im Laufe des Bühnenprogramms einer der wichtigsten und bedeutendsten Bands Deutschlands. „Schön sie einmal gesehen zu haben“, denke ich, „aber mehr Fehlfarben brauche ich im Moment nicht.“ Anders als vielleicht Palais Schaumburg haben sie zu wenig Berührungspunkte mit aktuellen Musiktendenzen. Das macht sie unattraktiv, mir fehlen so die aha- Momente der Verlinkungen der Jahrzehnte. Ein, zweimal bleibe ich bei New Order Gitarren hängen und frage mich, wer sie zuerst hatte: Die Wuppertaler oder die Band aus England.
Und ich entdeckte hinter dem Schlagzeug die gleiche Frau, die schon tags zuvor bei Locas in love das Schlagzeug spielte. Ein Smartphone und das Internet halfen weiter: Saskia von Klitzing heißt die junge Frau, die auch schon für die Band Karpatenhund trommelte. Wenn man Zeit für sowas hat, dann läuft auf der Bühne etwas falsch.
Alles richtig machten am Abend We have Band. “Beste Live-Band für immer“ steht im Programmheft. Nun ja, ein Anreiz muss das Booklet geben. Ich nahm den Textauszug nicht allzu ernst, war jedoch Willens, mich überzeugen zu lassen. We have band brauchten 10 Minuten oder zwei Songs. Gänzlich überzeugt von der britischen Band um die Eheleute Dede und Thomas Wegg-Prosser verging die Stunde zwischen acht und neun wie im Flug. Es ist die Festivalprimetime, die Minuten, in denen die heimlichen Headliner auftreten dürfen. An diesem Abend füllten die Briten zu recht und sehr bequem diesen Platz aus.
We have band machen das, was alle modernen britischen Bands derzeit machen: sehr tanzbaren Indiepop. Anfang des Jahres erschien ihr zweites Album „Ternion“ über das der musikexpress folgendes berichtet:
Ja, wo sind sie denn? Anders gefragt: „Where Are Your People?“ Es ist nachvoll¬ziehbar, dass We Have Band jetzt diese Frage stellen. Es ist ihr zweites Album, da ist man sich unsicher, ob man wirklich etwas erreicht hat. Zumal die Band auf einem Terrain unterwegs ist, das hinreichend ausgekundschaftet ist. Musik, durch die sich der Rhythmus der Clubs zieht, die zum Teil im Elektro zu Hause ist und auch ein Stück weit Pop sein will, ist nun wirklich schon probiert worden. Aber man kann das Londoner Trio beruhigen. Es hat Fortschritte gemacht, weil es seinem eigenen ganz persönlichen Gefühl folgt.
Zu dritt haben sie sich am Bühnenrand aufgebaut. Neben ganz links steht mit der heimliche (?) Taktgeber Darren Bancroft. Sein extra trommeln (ein „richtiges“ Schlagzeug haben sie auch, es steht im hinteren Bühnenteil) und/oder Keyboards geben die Richtung vor. Mit kurzen Blickkontakten bespricht er sich immer wieder ohne Worte mit Dede Wegg-Prosser, die bühnenzentral ihren Platz hat. Die beiden machen ordentlich Dampf, prügeln gleichsam einen Hit nach dem anderen in die zahlreich umstehende Menge. „Where are the people“, „Visionary“, „Tired of running“ sind allesamt herausragend. Dass die We have band Musik nicht sonderlich neu ist, ist geschenkt, zappeliger Indiesynthiepop trifft 80er Synthiepopnewwave, der jedoch gar nicht so sehr elektrisch daherkommt wie bei vielen anderen Kollegen machen We have band dann doch speziell. Und live sind sie allemal eine Wucht, da hat das Programmheft schon recht.
Über Superpunk muss man nichts mehr sagen. Die Band spielte am Samstagabend ihr allerletztes Konzert. Es war ein historischer Augenblick. Zu Recht sehr umjubelt war daher ihr Konzert im Zelt. Ich glaube, es war das stimmungsvollste und bestbesuchte Konzert im Bierzelt. Ihr Spelunken Soul ist aber auch eingängig und unterhaltsam, selbst für die, die bisher sehr wenig mit Superpunk am Hut hatten, zu denen ich mich auch zählen möchte. Es waren aber auch Fans vor Ort, viele Hände flogen fast bei jedem Song in die Luft. Und Superpunk haben auch tolle Hits. „Das waren Mods“ ihre wunderschöne Hommage an die Rollerfahrer und grüne Jackenträger zum Beispiel. Dieses Lied muss man einfach mögen.
Aber wer Songs Namen gibt wie „Eric Cantona“, kann per se keine schlechten Songs schreiben. „Eric Cantona“ und „Ich bin nicht böse geboren“ bildeten denn auch den Abschluss ihres Auftrittes. Wären sie nicht im Zeitmantel des Ablaufplans gefangen gewesen, sie hätten wahrscheinlich noch drei Stunden weitergespielt. Superpunk erfüllten Musikwünsche, erzählten Anekdoten, boten ihren Lichtmischer auf dem Arbeitsmarkt feil und machten Zuschauerfotos. Sehr sympathisch, diese Superpunk. Schließe ich von diesem letzten Konzert auf die restlichen 15 Jahre Superpunk, dann scheinen vieles richtig gemacht zu haben.
Und was war sonst noch so?
Nun, dass BootBooHook zeigte sich als sehr entspanntes und harmonisches Festival. Der Zeitplan war sehr besucherfreundlich gestrickt, es gab keine großen Überlappungen zwischen en Konzerten. War auf der Hauptbühne ein Konzert beendet konnte man gemütlich zur Bierzeltbühne schlendern ohne etwas vom dort spielenden Programm verpasst zu haben. So gelang es uns am Freitag zwischen 16 und 1 uhr komplette Konzerte von LiL, Like a Stuntman, Japandroids, of Montreal, Palais Schaumburg, To Rococo Rot und Tocotronic zu sehen. Das gibt es nicht oft. Als lustiges Gimmick wurde jede Band persönlich anmoderiert. Francesco Wilking, dem diese Aufgabe zufiel, erledigte dies in eleganter schlurfiger Art und Weise.
Das Essen war okay, wenn auch die Portion Pommes für den Preis zu mickrig ausfiel. Aber als quasi innerstädtisches Festival hatte man auf dem BootBooHook keine Verpflegungsnot. Direkt nebenan im IKEA gab es Köttbullar ohne Ende. Ach ja, ich habe übrigens noch nie einen IKEA Family Stand auf einem Festival gesehen.
Wenn das Programm nächstes Jahr ähnlich interessant ist, steht das BootBooHook auf unserer Liste. Versprochen.
Multimedia:
http://www.youtube.com/watch?v=lvamqrrWHCk