Ort: Parc del Forum, Barcelona
Bands: Veronica Falls, Kings of Convenience, Atlas Sound, Dominique A, Real Estate, Saint Etienne, Wild Beasts, Yo la tengo

Der Saint Etienne Tag. Es war Gin und Tonic Zeit an der großen Bühne des Primavera. Eine sichtlich gut gelaunte Sarah Cracknell schunkelte sich förmlich durch 20 Jahre Saint Etienne Ibiza Sounds. Das war schon toll, was die drei Etiennes, verstärkt durch die Backgroundsängerin Depsy eine gute Stunde lang boten. Ursprünglich war ihr Konzert für den Mittwochabend am Arc de Triomf geplant (als Teil des kostenlosen Auftaktkonzertes in Barcelona Stadt), durch den Ausfall von Björk muste aber die Primetime Spielzeit auf der Hauptbühne nachbesetzt werden. Und da die Organisatoren scheinbar keinen weiteren Künstle auf der Ersatzbank hatten, musste die Mannschaft neu aufgestellt werden. Ach, ich bin in der Fussballsprache. (Steffen Simon verwirrt mich gerade aber auch enorm.)  Was ich sagen möchte ist, dass der Samstagabend auf der San Miguel Bühne nun die Kings of Convenience und eben Saint Etienne vorsah.
Doch bevor Fahrstuhlmusik ertönte und Sarah Cracknell uns mit einem beschwipsten „Chin Chin, it’s Gin and Tonic time“ zuprostete, gab es ein wenig Indiemusik. Veronica Falls eröffneten mit fluffigen Melodien und sanfter Präsenz unseren letzten Primavera Tag. Ihr Album „Veronica Falls“ mag ich nicht so dolle, es klingt mir ein wenig zu sehr nach Belle & Sebastian. Daher war ich mir lange nicht sicher, ob ich mir Veronica Falls live antuen möge. Aber metal ist auch keine Lösung und Extremamericana ebenso wenig, außerdem hatte ich einen hartnäckigen Fürsprecher und so begleitete ich ihn zur zweitgrößten Festivalbühne. Doch live nahm ich Veronica Falls auf einmal ganz anders wahr. Es war keine Spur von langweilig, im Gegenteil. Die zwei Damen und Herren wussten mich sehr wohl zu begeistern. Gar zwei, drei neue Songs bauten sie in ihrem dreiviertelstündigen Auftritt ein, ansonsten gab es natürlich alle „Hits“ des Debütalbums.

Damit war schnell am Abend die Festivalmüdigkeit abgelegt, und die Kings of Convenience konnten kommen. Und Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe kamen zu Beginn des Konzertes erst einmal ohne Band aber mit zwei Gitarren. Als Duo bestritten die beiden Norweger die erste halbe Stunde des Kings of Convenience Konzertes. Musikalisch erinnerte das sehr an Simon & Garfunkel, optisch an Harry Potter und Cody Allen. Warum kannte ich eigentlich bisher nichts von den Kings of Convenience. Das muss sich schleunigst ändern, denn ihre Frühstücksraummelodien gefielen mir außerordentlich gut! Neben Kleenex Girl Wonder am ersten Tag sind die Kings of Convenience definitiv die zweite Festivalentdeckung des Jahres.
Es war also eine unterhaltsame halbe Stunde, die mir auf der Hauptbühne präsentiert wurde. Aber trotz aller Gebanntheit und Begeisterung wollte ich weiter, Atlas Sound und Dominique A versprachen doch eine ähnlich spannende Angelegenheit zu werden.
Atlas Sound ist das Soloding von Bradford Cox, dem Sänger der anstrengenden amerikanischen Band Deerhunter. Drei Alben hat Bradford Cox bisher als Atlas Sound veröffentlicht, alle drei kenne ich nicht. Als wir an der Bühne ankamen, sahen wir den Musiker schon spielen. Alleine stand er auf der Bühne, eine Gitarre um den Hals und ein Loop Gerät vor seinen Füssen. Ah, so läuft das hier also. Erste Skepsis zog auf, denn seit Jahren kann ich mich für sich selbst-loopenden Musiker nur noch wenig begeistern. (Liam finn). Und so war es auch an diesem Abend, Bradford Cox konnte uns nicht überzeugen. Wir blieben zwar bis zum Ende seines Auftritts, allerdings habe ich bis auf seinen letzten Song „Mona Lisa“ – der ist wirklich großartig – wenig Erinnerungen an seinen Auftritt.
In jeglicher Hinsicht unterschiedlich war das Konzert von Dominique A. Er brachte gleich ein halbes Orchester mit nach Barcelona auf die Festivalbühne. Ich hörte ein Oboe, sah Flöten- und TrompetenspielerInnen. Allerdings, und das fand ich sehr schade, waren damit fast genauso viele Leute auf der Bühne wie davor. Selbst die hinteren Treppen- und Steintribünenstufen, die sonst gerne als Ort des Ausruhens aufgesucht werden und immer gut besucht sind, waren nur zu einem Fünftel gefüllt. Die zeitgleich spielenden Beach House schienen unverständlicherweise mehr zu ziehen als gemütliches Rumhängen und französischer Rock-Pop. Sie alle hatten was verpasst. Dominique A und Band gaben sehr gutes und kurzweiliges Konzert. Rockige Passagen wechselten mit getragenen ruhigeren Momenten ab. Dominique A. zeigte, wie vielfältig seine Musik ist. Denn, und das sollte ich erwähnen, poppiger Chanson ist nicht sein Ding, obwohl er gerne als Mitbegründer der „Nouvelle Scène Française“ genannt wird. Dominique A ist ähnlich wie Yann Tiersen (den wir in Barcelona am Sonntag übrigens nicht mehr live sehen konnten) dunkler und komplizierter und stärker von Alain Bashung beeinflusst als andere Vertreter der „Nouvelle Scène Française“.
Das macht seine Songs besonders und seinen Auftritt beim Primavera erklärbar. Benjamin Biolay –vielleicht das Gegenstück zu Dominique A in der französischen Popmusik – könnte ich mir hier nicht vorstellen. Nur wirklich schade, dass nicht mehr Leute Interesse an seinem Auftritt zeigten.

Real Estate was formed in Ridgewood, New Jersey by singer/guitarist Martin Courtney, guitarist Matt Mondanile (Ducktails), bassist Alex Bleeker (of Alex Bleeker and the Freaks), and drummer Etienne Pierre Duguay (of Predator Vision) in 2008. In 2011 Jackson Pollis replaced Etienne on drums and Jonah Maurer joined the band on keys and guitar. (Wikipedia)

Ich wusste es, den Gitarristen links außen kannte ich irgendwoher. Die Ducktails sahen wir letztes Jahr in Barcelona. Nachmittags, in einem Park. Denn Primavera bedeutet nicht nur Festivalgelände, sondern auch öffentliche Konzerte in Parks und Clubs der Stadt. So war es auch in diesem Jahr unser Plan, den Samstagnachmittag bei Musik von Bleached und Orbits in einem der vielen städtischen Grünanlagen der Stadt zu verbringen. Gegen 14 Uhr machten wir uns daher auf den Weg in den Parc Central del Poblenou. Dieser lag nicht weit von unserem Hotel entfernt. Wir kannten ihn schon aus dem letzten Jahr, eben von dem Konzert der Ducktails und einer weiteren Band. Nach kurzem Fußmarsch kamen wir im Park an, allerdings hörten wir keine Musik. Etwas irritiert schlichen wir um die Palmen und Olivenbäume, sahen jedoch keine Sonnenbrillentragenden Musiker oder verkaterte Festivalbesucher. Was war los? Wieso ist hier nichts? Google maps brachte die Antwort: Wir waren im falschen Park. Dieses Jahr war ein anderer Stadtpark für die Konzerte ausgewählt worden, ein Park, der mehrere U-Bahnstationen und einen längeren Fußweg entfernt lag und auf die Schnelle nicht zu erreichen war. Also kein Bleached am Nachmittag.
Aber Real Estate am Abend. Das war mehr als eine Entschädigung. Vier junge Männer machen sanften Indiepop, schön und ein mehr als gelungener Übergang zum Konzert des Abends von Saint Etienne auf der Hauptbühne.
Viel los war dort nicht, als wir uns zeitig im vorderen Bereich positionierten. Auch nicht, nachdem die Massen die 10 Minuten Fußmarsch von der zweiten Bühne, auf der zuvor Beach House unter Vollauslastung des Platzes spielten, bewältigt hatten und im Hauptbereich des Geländes eintrudelten. Die Briten schienen nicht so ziehen, uns war das aber egal. So blieb es dann während des gesamten einstündigen Konzerts bei lockerem Stehen ohne unerwünschten Körperkontakt. Im Gegenteil, selbst die kleinen Drogendealer konnten relativ stressfrei durch die vorderen Reihen ziehen, Leuten kleine Plastiktüten unter die Nase halten und kleine Drops und Bröckchen zu Kauf anbieten, die aussahen wie ausgekaute lila Hubbabubba Kaugummis und Katzenstreu. Saint Etienne berauschten aber auch ohne dieses Zeugs.
Der Beat wummerte wie in einer Großraumdisco, Sarah und ihre Federboa tanzten, Debsy (die Backgroundsängerin) sang und Bob & Pete besorgten die Technik. Diese war bei allen älteren Songs, das Konzert begann mit dem Evergreen „Like a motorway“ und endete mit „Nothing can stop us“, der ersten Saint Etienne Single mit Sarah als Sängerin, allerdings sehr, sehr dröhnig und basslastig. Dann machte es nicht ganz so viel Spaß, den vieren zuzuhören. Allerdings wurde dieses kleine Makel durch die Masse der Hits relativ leicht wettgemacht. Wen interessiert schon ein verzerrter Eurodiscobeat, wenn man im Gegenzug Songs wie „Sylvie“, „Only love can break your heart” oder „Who do you think you are” und „You’re in a bad way” präsentiert bekommt. Richtig: niemanden! Also beschäftigten wir auch wir uns nicht mehr mit unseren Ohren sondern sahen lieber genüsslich dem Treiben auf der Bühne zu. Das war Glamour genug und Sarah Cracknell eindeutig die Frau mit dem größten Charisma dieses Primavera Sound Festivals. Saint Etienne 2012, das war schönste Tanzmusik und allerbeste Unterhaltung.
Zum Ausklang unserer Spanienreise hörten wir noch etwas Wild Beasts und statteten Yo la Tengo einen Kurzbesuch ab. Dieser war allerdings sehr eindrucksvoll und machte eigentlich Geschmack nach mehr. Yo la tengo boten eine sehr ruppige und raue Interpretation ihrer Songs, wie gemacht für die letzte Festivalnacht. Bereits im Eröffnungssong, oder besser Intro, musste eine Gitarre dran glauben und ich denke mal, dass es in ähnlichem Stile weiterging. Aber für halb zwei war der Rückweg zum Hotel verabredet und ehrlich gesagt, war ich nach den drei Tagen auch fix und alle.

Multimedia:
Flickr-Photos San Miguel Primavera Sound 2012

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