Dieser Auftritt polarisiert. Das ist klar wie Klößchen und aus dem Grundmurmeln am Ende des gut einstündigen Konzertes von Soap&Skin aka Anja Plaschg deutlich vernehmbar.
Schultheateraufführung sagen diejenigen, die es nicht so toll fanden. Von atmosphärischer Dichte, klasse Songs und einer beeindrucken Performance berichten die, die ihren Mund sekundenlang nicht mehr zu bekommen haben, nachdem Anja Plaschg die Bühne kommentarlos im Dunkeln verlassen hatte.
Ich gestehe, ich gehöre zur letzten Gruppe. Es war schon besonders, was die Österreicherin hier abgeliefert hat. Bis zum Wahnsinn ist es manchmal ein kurzer Weg, und eine Frage beschäftigte mich die Rückfahrt über sehr: Hat sie tatsächlich in Richtung meines Nachbarn gespuckt oder war dieses „Pahh“ nur die Andeutung der Tat?
Was war passiert?
Die letzten Töne von „The Sun“ verstummten, das Licht ging aus, und Anja, die bis dahin nahezu regungslos am Klavier gesessen hat, zog ihre Jacke aus und startete eine – ich umschreib sie mal mit Teufelsaustreibungstanz – Performance, die so irritierend wie beeindruckend war. Zu orchestralen Laptopklängen mäandriert sie tanzend Richtung Bühnenrand. Nun stand sie direkt vor uns, und schrie und flüsterte, und schrie und flüsterte. Neben mir klackte unentwegt der Fotoapparat. Das klacken schien sie zu stören und mit einem energisch intensiven Blick blickte sie in Richtung des Fotografierenden. Und dann kam eben jenes „Pahh“. Die Szenerie hatte etwas Bedrohliches. Sie könnte gleich von der Bühne springen und Unberechenbares tun. Machte sie aber nicht, und somit fand der Abend kein abruptes Ende.
Aber zum Anfang des Konzerts.
„Ich beginne nicht mit Turbine Womb“. Das waren die einzigen Worte, die wir von Anja Plaschg hören. Ihre schüchtern gehauchten „Danke“ nach den Stücken kann man nur von ihren Lippen ablesen. Hören tut man sie nicht.
Klavier, Laptop, Klavierhocker und drei Mikrofone. Mehr braucht es nicht. Die Bühne ist mit einem Lichtspot ausgeleuchtet. Während des Spiels meidet Anja es, direkt im Lichtkegel zu sitzen. Ihr Kopf ist immer ein wenig nach links geneigt.
Anja Plaschg ist eine klassisch ausgebildete Pianistin. Das merkt man ihrem Spiel an. Die Melodien sitzen, die Finger fliegen über die Tastatur. Die erste dreiviertel Stunde fühlt sich wie ein Pianokonzert an. Auf dem Klavier steht ein Laptop. Was für angesagte Folksänger derzeit die Loopstation ist, ist für Anja Plaschg der Laptop. Mal tönt ein ganzes Orchester aus den Lautsprechern, mal nur ein digitales Atmen. Das Knarren, welches ich erst als interessante Hintergrundapplikation vermutet hatte, kommt dagegen nicht aus dem Apple. Es sind die mit Gummi ummantelten Treppenstufen im FZW, die jedes Mal, wenn jemand herauf- oder heruntergeht, zu hören sind. Ja, es ist ein ruhiges Konzert. (Zur Erklärung: Der Konzertsaal liegt 10 bis 15 Treppenstufen niedriger als das Foyer. Wenn man also nicht auf dem Rang stehen möchte, muss man einige Stufen herabsteigen.)
Nochmals fünf Minuten früher. „Eine Ansage an das Publikum. Bilder mit Blitz bitte nur während der ersten drei Songs. Die Künstlerin wünsche es so.“ Das war die Tourmanagerin. Ich stelle mir ihren Job nicht einfach vor.
Der Abend verläuft erwartungsgemäß. Ich hatte viel von den Schrulligkeiten der neuen österreichischen Indie Hoffnung (Am letzten Donnerstag wurde sie mit dem Amadeus, dem österreichischen Musikpreis in der Kategorie Alternative/Rock ausgezeichnet) gelesen und richtete mich auf einen ähnlich verstörenden Abend ein wie ich ihn vor einigen Jahren bei einem “Cat Power“ Konzert im Gebäude 9 erlebt hatte. Damals spielte Chan Marshall insgesamt drei Stunden lang, immer wieder unterbrochen durch Pausen, Publikumsdiskussionen und alle möglichen Verweigerungsattacken. Mit Chan Marshall wird Anja Plaschg ja gerne verglichen, und nach dem gestrigen Abend sage ich: zu Recht.
Sie spielt vieles oder gar alles von ihrem Debütalbum „Lovetune for Vacuum“. Auch ein neues Stück baut sie in ihr Set ein, soviel lässt sie uns noch wissen. Es ist schönes, ruhiges Soloklavierkonzert. In den Songpausen justiert sie das Soundprogramm auf dem Laptop und trinkt einen Schluck Wasser. Mehr nicht. Es ist still im FZW, keiner spricht. Ich glaube, nach einer viertel Stunde hat sie alle mitgerissen.
Die Zeit rast. Mit „The Sun“ endet so was wie das reguläre Set. Jetzt steht sie vorne am Bühnenrand und bewegt ihren Körper zu den Laptopklängen. Ihr Blick ist starr und abwesend. Sie spricht die Stimmen aus dem Lautsprecher nach, ihre Finger sind zusammengekrampft, die Haare hängen ihr im Gesicht. Alles wirkt sehr intensiv. Macht sie das jeden Abend? Gegen Ende des Songs geht sie in die Knie und lässt sich fallen. Der letzte Laptopton ist verklungen.
Das Licht geht aus.
Ende. Im Dunkeln verlässt sie die Bühne.
Das war es.
Es ist kurz vor halb zehn.
Dieser Auftritt kann – nein darf – keine Zugabe erhalten. Die Zugabe bekommen wir auch nicht.

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Multimedia:
Fotos: frank@flickr
Archivbericht: Soap&Skin EP

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