Ort: Druckluft, Oberhausen
Vorband: SonSon

Motorama

So kann man sein Konzert auch unmissverständlich beenden. Nach dem letzten Song „During the years“ stellt der Keyboarder die bis dahin neben der Bühne stehende Yukkapalme mittig auf die Bühne. Ende. Fini. An dieser Pflanze kommt niemand vorbei.
Das zeitgleich das Hi-Hat des Schlagzeugers Roman schon vor der Bühne geparkt wurde und ein Keyboard vom Keyboardständer gepurzelt war und auf dem Boden lag, geschenkt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt sehr stark den Eindruck, dass Motorama, wenn sie könnten, liebend gerne all ihre Instrumente zerstören würden. Aber da sie bestimmt keine große Stückzahl an Equipment besitzen, belassen sie es bei dem Umbau des Schlagzeugs und der Yukkapalme. Das ist auch viel entspannter für alle und lange nicht so kostspielig. Erwähnte ich, dass kurz zuvor das Modellsegelschiff, welches auf der zentralen Monitorbox vor dem Schlagzeug aufgestellt war, in Sicherheit gebracht wurde? Nein? Gut. Hiermit getan.
Klingen die ersten Zeilen dieses Konzertberichtes etwas wirr, dann gegeben sie perfekt meine Gedankengänge nach Ende des Konzertes wieder. Was war das gerade? Ich konnte es nicht so richtig einordnen, dieses Motorama Konzert im Oberhausener Druckluft. Beruhigend stellte ich nachher fest, dass ich damit nicht alleine war. Das nicht verstehen lag also nicht hauptsächlich an mir, es lag an dem gut einstündigen Konzert dieser russischen Band, die uns gerade sehr verwirrt hatte.
„Russlands Antwort auf Joy Division und Interpol. Wer bisher geglaubt hat, melancholischer Post-Punk, der deutlich von den 80er Jahren und den mit ihnen einhergehenden New Wave-Einflüssen geprägt ist, könne 2013 nicht mehr spannend sein, wird hier ausgerechnet von einer Band aus der russischen Provinz eines besseren belehrt.“ (Druckluft Homepage)
Nun, wer sich auf ihrer Webseite das kostenlos erhältliche Debütalbum „Alps“ saugt, wird dem zu Hundertprozent zustimmen. Diese Gesangsstimme, original Paul Banks, dieser Bass, die Gitarren. Alles, aber auch alles erinnert an Joy Division und Interpol. Schaut man sich dann Livevideos der Band an, ist die überraschung vielleicht hoch. Ich war sehr überrascht. Keine schwarzen Klamotten, keine stilvolle Show. Stattdessen fünf Jungspunde in Casual-Kleidung und unaufgeregt normal. Also doch nichts mit der Interpol und Joy Division Blaupause? Genau! Denn wenn es eine Entdeckung an diesem Abend gegeben hat, dann diese: Motorama haben nicht sehr viel mit den dunklen und akkurat gekleideten alten Männern gemein außer vielleicht die markante Gesangsstimme und ein paar Bassläufen. Aber das ist eben nicht alles. Und in allem anderen sind Motorama einfach nur Motorama.
Man könnte meinen, Irene, Alex, Roman, Max und Vlad leben in Brooklyn. Zeitgemäßer WaveIndieRockPop, hochgetragene Gitarren, moderne, urbane Indiemusik. Aber weder Brooklyn noch London ist ihre Heimat, sondern ein anderen Stadtteil der Welt mit Namen Rostow am Don. Aha, ich brauche einen Atlas. Rostow am Don, Millionenstadt und WM Spielstätte 2018. Die Koordinaten für GPS bewanderte: 47° 14′ N, 39° 43′ O. Das Schwarze Meer ist nicht weit, Donetsk auch nicht.
Das Oberhausener Druckluft liegt nicht ganz so weit östlich. Es mutet an wie ein Relikt aus den 90ern. Ein alter Backsteinindustrieschuppen hinter einer Graffitiwand gelegen, direkt am Rangier- und Güterbahnhof der Stadt. Hier darf man noch rauchen (oder macht es einfach ungestraft und zwar in rauen Mengen), die Luft ist entsprechend nikotingeschwängert, die Getränke kosten weniger als 2 Euro. Netter Ort, angenehm klein und übersichtlich, dabei aber nicht eng wirkend. Das Publikum passt sich dem Ort an und ist angenehm unanstrengend. Wir sind halt nicht in Köln, sondern im Ruhrgebiet. Ich bilde mir ein, jedes Mal diesen Unterschied zu merken.
Obwohl wir zeitig da sind, zieht uns nichts in den Konzertsaal. Wir stehen noch etwas draußen vor der Tür und unterhalten uns, bis die ersten Klänge der Vorband Son Son ertönen. (instrumentaler Post-Rockpop aus Schweden). Wir kommen ins Gespräch mit einem Dortmunder, der sich noch nicht entschließen kann, ein Ticket zu kaufen. McDonalds gegenüber scheint auch verlockend zu sein. Wir plaudern über Klaus Fiehe, Tralafitti und anderen Musikkram. Ob er sich doch noch durchringen konnte, dass Druckluft zu besuchen, weiß ich nicht. Wenn er es nicht getan haben sollte, hätte er definitiv etwas verpasst.
Denn Motorama können eine Menge. Vladislav Parshin braucht in der Bühnenmitte den meisten Platz. Er hat Bewegungsdrang, mal mehr – dann legt er seine Brille beiseite – mal weniger. Der Rucksack aufs seinem Rücken scheint ihn dabei nicht zu stören. Die Gitarre ab und an schon. Er ist einer der interessantesten Sängergestalten, die ich in den letzten Jahren erlebt habe. Manchmal wirkt er desorientiert, schnallt die Gitarre ab, um sie im selben Augenblick wieder umzulegen, entfernt den Gurt, montiert ihn vor dem nächsten Stück wieder an. Und immer wieder zuckte er schlagartig umher. Als wenn jemand einen Schalter umgelegt hätte schoss es durch seinen Körper. Das war zeitweise beängstigend wild und näher an Henry Rollins als an der Coolness von Paul Banks. Und live sind ihre Songs viel rauer, punkiger und tanzbarer. Gerade auch die Songs des aktuellen Albums sind von größter Melodienverliebtheit und Luftigkeit, die man so nach dem Hören von „Alps“ nicht unbedingt hätte erwarten können.
Nochmal zum letzten Song „During the years“. Gegen Ende verlassen Bassistin Irene und Gitarrist Max die Bühne. Es sieht so aus, als suchen sie Sicherheitsabstand vor ihrem Sänger Irrwisch. Aber wie schon oben beschrieben, es passiert nichts Schlimmes. Einen Moment lang sah es anders aus.
Macht kaputt was euch kaputt macht! Genau! Gutes Konzert!

Setlist:
01: Northern seaside
02: White light
03: To the south
04: Wind in her hair
05: Young river
06: Sometimes
07: Empty bed
08: Rose in the vase
09: In your arms
10: Image
11: Sears
12: Alps
13: Seagulls
14: Anchor
15: During the years

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