Ort: Den Atelier, Luxemburg
Vorband: Froth
Nach dem Konzert sitzen zwei Männer in Anzügen an der Bar des Sabotage. Sie diskutieren mit den Umstehenden. Irgendwann wird es ein bisschen lauter, beim Hinausgehen drehe ich mich nochmals kurz um. ‘Zanken die jetzt wirklich‘, denke ich und verlasse endgültig das Sabotage. Erst später realisiere ich, dass die beiden Minuten zuvor noch auf der Bühne standen und Gitarre und Bass spielten.
Momente, die mir im Gedächtnis bleiben. Warum auch immer. Dieser Moment liegt 15 Jahre zurück. 2002 befand sich eine Band Namens Interpol auf Deutschlandtour, um ihr erstes Album Turn on the bright lights zu promoten. Im Herbst des Vorjahres waren sie schon mal da, im Frühjahr 2003 sind sie für ein paar weitere Auftritte zurückgekehrt. Das Konzert im Dortmunder Sabotage war eine sogenannte Visions-Nacht, im Vorprogramm spielten – so glaube ich – British Sea Power. Interpol waren damals noch fast nichts, der Laden ein kleiner Kellerklub, das Konzert fand vor vielleicht 200 Leuten statt. Was man damals jedoch schon absehen konnte, Interpol machten sich mit Turn on the bright lights daran, das nächste interessante Ding im Gitarrenindie zu werden. Und sie klangen dabei vollkommen anders als die Strokes, die ein Jahr zuvor das nächste große Ding des Gitarrenindie waren. Interpol wurden mit Joy Division verglichen. Ein Vergleich, der durch die schwermütige Melancholie der Songs nicht allzu schwierig zu ziehen war. Interpol machten 2002 etwas, was zu dieser Zeit so nicht da war. Ihre Songs waren markant, besonders, einzigartig. Ihre Querverweise auf den Post-Punk der 1980er Jahre ein Genuss für jeden thirtysomething. Feierte man ein Jahr zuvor die Rückkehr der Gitarren (Strokes), so feierte man jetzt die ersten erfolgreichen Referenzen an Post-Punk Bands. Ihr Debütalbum spielte den New Yorkern dabei voll in die Karten. Darauf waren nicht nur ein, zwei sehr gute und ein guter Song enthalten. Nein, Turn on the bright lights hat 11 Hits.

2017 ist es 15 Jahre her, dass Turn on the bright lights erschien. Grund genug für Interpol, eine Jubiläumstour anzusetzen. Was wiederum Grund genug für mich war, wenigstens eines der Konzerte zu besuchen. Luxemburg erschien geeignet, der Weg nur mittelweit, der Konzertort überschaubar klein.
Im Vorfeld des Konzertes hatte ich mich gedanklich oft mit meinem ersten Interpol Konzert beschäftigt. Damals hatten sie nur dieses Album; auf setlist.fm finde ich gar die Setlist vom damaligen Sabotage Auftritt:

Untitled
Roland
Stella was a diver and she was always down
Length of love
Say Hello to the Angels
Hands away
NYC
PDA
Specialist
Obstacle 1
Zugabe:
Leif Erikson
Obstacle 2

Bis auf „Length of love“ könnte sie von der Jubiläumstoursetlist 2017 nicht so weit weg sein. Ich malte mir gedanklich den Abend in Luxemburg aus. Ach wie toll das sein wird, sich nur auf das Album konzentrieren zu können, nicht abgelenkt zu werden von neueren Songs oder schwächerem älteren Material. Je länger ich darüber nachdachte und in Erinnerungen schwelgte, desto mehr kamen mir Bilder aus dem Dortmunder Club ins Gedächtnis. Es sind nicht viele, es sind Bilder von Anzug tragenden Musikern, von weißen Nebelwänden, von einem Carlos Dengler, der den Bass in den Kniekehlen trägt und den überdimensionierten Gitarrenhals von links nach rechts wirft und zusammen mit Paul Banks gefühlt eine Kippe nach der anderen um die Wette qualmt.

Über die Jahre habe ich Interpol und Paul Banks regelmäßig gesehen. Mein letztes Interpolkonzert war im vorletzten Jahr beim Primavera, mein letztes Paul Banks Konzert im letzten Jahr in einem halbleeren Gloria Theater in Köln. Es ist also nicht so, dass Interpol nicht für mich da waren. Aber der Hauch des Besonderen schwebte schon über diesem Abend in Luxemburg. Und mit ihm die Gewissheit, dass das Konzert nicht schlecht werden konnte. Und ja, schlechte Interpol Konzerte hatte ich schon gesehen, der Special guest Auftritt im Düsseldorfer ISS Dome beim Pearl Jam Konzert fällt mir spontan ein, oder das viel zu übersteuerte Konzert in der Kulturkirche bei elendig heißen Außentemperaturen. Auch das Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle II war 2010 irgendwie komisch.

2017 raucht niemand. Der Bassist von Interpol heißt schon seit Jahren nicht mehr Carlos Dengler und die kleinen Clubs sind den größeren Hallen gewichen. Obwohl, das Atelier in Luxemburg ist eine kleinere der größeren Hallen.

Ausflugsfahrten bergen Unbekannte. Verkehrsstaus und falsche Zeitabschätzungen können dazu führen, dass man entweder viel zu früh oder viel zu knapp an der Konzerthalle ankommt. Das Atelier ist ein neuer Ort für mich, ich konnte somit meinen Zeitmanagementplan nicht aus der Schublade ziehen. Wo parken, wie lange dauert die Anfahrt? Wichtige Fragen, die vorläufig unbeantwortet blieben. Zwar ist der Weg nach Luxemburg klar, aber das Interpolkonzert war wichtig und zu spät kommen keine Alternative. Und was macht man so zwei Stunden vor Einlass abseits der Innenstadt an einem Spätnachmittag? Man wartet. Und da es kein Café um die Ecke gibt, wartet man eben vor verschlossener Türe. Erst recht wenn es regnet, und das Vordach ein wenig Regenschutz bietet. So verfolge ich geduldig und äußerlich unaufgeregt verfolge das Treiben vor dem Atelier: Der Einlass wird vorbereitet, der Food Truck fährt vor, ah, da kommt die Vorband, oh, was erzählen die anderen so. Man lernt sehr viele in einer Warteschlange voller Bandnerds und schneller als gedacht tickern die Minuten runter. Ticketeintausch, Taschenkontrolle, rein.

Die Vorband Froth entpuppt sich als großartig. Froth aus Los Angeles begeisterten mich enorm, ihr Surf Rock erinnerte mich an die von mir sehr gemochten +/- und an eine rockige Ausgabe von Real Estate / Ducktails. Das Internet lässt mich wissen, dass die Band bereits drei Alben veröffentlicht hat aber als Fake-Band begann. Joo-Joo Ashworth und Jeff Fribourg hatten so viel Spaß daran, eine Band zu gründen, dass sie bereits vor der Bandgründung Plattencover entwarfen und Instrumente kauften. 2012 war es dann soweit, 2013 erschien Lost my mind, das erste Album. Natürlich hatte ich noch nie von Froth gehört und hier auch eher auf einen lokalen Support getippt. Ihre Songs waren durch die Bank Vier- bis Fünfminüter und endeten immer in langgezogenen Gitarrenpassagen. So etwas mag ich und es fiel mir nicht schwer, mich in die unbekannten Songs auf Anhieb zu verlieben. In den USA supporten Froth Ride, eine Kombination, die sehr gut passt und ich würde es mir wünschen, wenn sie auch im Herbst in Mitteleuropa den Ride Support übernehmen könnten.

Nachdem flinke Hände die Bühne im Atelier zügig leer und dann wieder vollgeräumt hatten, begannen Interpol. Allerdings kehrte die Band sukzessive 15 Jahre zurück, sie nahm sich vier Songs lang die Zeit, sich warmzumachen und den Zeitstrahl langsam zurückzuwandern.
Die ersten Songs des Abends stammen nicht von Turn on the bright lights, sie sind von Antics, Interpol und El Pintor.

Not even jail
Take you on a cruise
Slow Hands
Lights
All the rage back home

Dies war bereits ein kleines best-of Set, und wenn nicht das Album folgen würde, wären „Not even jail“, „Slow hands“ und „All the rage back home“ absolute Konzerthöhepunkte. So waren sie nur ein Warm-up, ein ich-nehm-das-mal-mit-beim-warten-auf-das-bessere. Denn logischerweise galt meine Vorfreude einzig und allein Turn on the bright lights. Für alles andere hatte ich Interpol schon so oft gefeiert, dass es fast schon genug war. Nach Barcelona hatte ich vom Gefühl her kein gutes Gefühl mehr, ein Interpol Konzert zu besuchen. Jaja, die neuen Sachen und so…

‘And now it’s time to go back to 2002. Turn on the bright lights.‘ Paul Banks gab die Ansage, die einzige an diesem Abend, und die ersten Töne von “Untitled” versetzten mich in Ekstase. Ungewöhnlich oft hatte ich das Album in den letzten Tagen gehört. Nahezu bei jeder Laufeinheit strömten die Basslinien von „PDA“ und „Obstacle 1“ in mein Ohr, sang ich leise die ersten Zeilen von „Stella is a diver..“ mit und stellte wenig überraschend fest, dass „The new“ und „Leif Ericson“ die kleineren Hits der Platte sind. All das war die Vorfreude auf die Interpol Konzerte und darauf, Turn on the bright lights komplett zu hören. Also, was mehr kann ich zu Interpol sagen? Ich mag diese Band, seit ich ihr erstes Konzert 2003 besucht habe. Sie bauten ihr Set eins zu eins dem Album folgend auf. Somit sind die ersten 20 Minuten der reinste Genuss. „Untitled“, „Obstacle 1”, „NYC“, „PDA”. „PDA“ knüppelten sie – wie immer – herunter. Seit einigen Konzerten spielen sie das viel schneller als auf Platte, aber an diesem Abend fand ich es nochmals eine Spur rasanter.

Die ersten drei Songs von Turn on the bright lights liegen hinter uns, als Paul Banks ohne Worte seinen Konzerteindruck preisgibt. Genüsslich und mit einem leichten schmunzeln streicht er sich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Oberlippen- Kinnbart, ganz so, als wolle er sagen: Seht, seht, es läuft, den Leuten gefällt es. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Alles stimmte. Natürlich gefällt es den Leuten! Interpol sind schön unspektakulär. Gewohnt stimmungsvoll ist die Lichtshow, gewohnt schnoddrig Paul Banks Gesang und gewohnt gut anzusehen die Stakkato Tanzschritte von Daniel Kessler.

„Stella is a diver and she is always down“ ist mein liebstes Interpol Lied. An ihm habe ich nix zu meckern, es war phänomenal gut. Zu Konzertbeginn hatte die Band noch einige Soundprobleme, und auch bei „The new“ klang es nach dem Gitarrenwechsel von Banks erst dumpf-dröhnig. „The new“ ist meiner Meinung nach der schwächste Song des Albums, so dass das verschmerzbar war.
Die Band hat Spaß. Bei Clubkonzerten, die zwischen Festivalauftritten eingebaut werden, ist das ja immer so eine Sache. Meist gibt es keine Vorbands, meist präsentiert die Band ihr Festivalset. An diesem Abend war alles anders. Es gab eine Vorband und die Setlist, nun ja, Turn on the bright lights  eben.
Zur Zugabe erklingt der Bonustrack des Albums, „Specialist“. Auf Livevideos von 2002 sehe ich, dass Carlos Dengler diesen Song ursprünglich singt. 2017 (und die Jahre zuvor seit Denglers Ausstieg) übernimmt Paul Banks das. „Specialist“ habe ich ewig nicht mehr gehört.

Ein bisschen sind Interpol ja durch, die besten Jahre hatten sie unumstritten in der ersten Hälfte ihrer Schaffensperiode. Nach dem Ausstieg Carlos Dengler fiel die Qualität der Songs ab, der letzte Songschreiber-Kick war der Band irgendwie abhandengekommen. Umso schöner, Turn on the bright lights in voller Länge hören zu dürfen. Dass es eines der besten Alben aller Zeiten ist, sagte ich bereits, oder?!

Kontextkonzert:
Banks & Steelz – Köln, 13.11.2016 / Gloria
Interpol – Primavera Sound Festival Barcelona, 28.05.2015
Paul Banks – Köln, 29.01.2013 / Gloria
Interpol – Dortmund, 22.11.2010 / Westfalenhalle 2
Julian Plenti – Köln, 08.12.2009 / Kulturkirche Nippes
Interpol – Köln, 19.11.2007 / Palladium
Interpol – Köln 11.05.2007 / Kulturkirche Nippes
Pearl Jam – Düsseldorf, 22.06.2007 / ISS dome

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