Ort: Burgtheater, Wien
Vorband:

Kraftwerk

Eine Konzertreise ins Wiener Burgtheater.
Die gute Gelegenheit, einmal einen der historisch bedeutungsvollsten Veranstaltungsorte Europas unter dem Aspekt von Popkultur besuchen zu können, wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. So war es keine Frage von Sekunden, die Idee dieses Konzertausfluges aufzugreifen und zu bestätigen. Natürlich fahren wir da hin, überhaupt keine Frage. Wann sonst hätte ich schon die Möglichkeit, das Burgtheater bei einer Popveranstaltung von innen zu betrachten. (Für Theaterkram oder anderes Schauspiel würde ich sicher nicht extra nach Wien reisen).
Und so kam es, dass ich erneut das Vergnügen bekam, die Band Kraftwerk im Rahmen ihrer 3D-Konzertreihe Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8 zu sehen, über den die österreichische Zeitung der Standard schreibt:

Das ergibt den Katalog. Ein anderes Wort für das Alte Testament der elektronischen Musik. „Boing! Boom! Tschak!“

Seit ein paar Jahren führen Kraftwerk ihren Katalog (Albumkonzerte plus Best-of Set) in ausgewählten Orten auf: dem Moma in New York, der Tate Modern in London, der Oper in Sydney, in Los Angeles oder in Düsseldorf.
Im Düsseldorfer Museum k20 hatte ich vor gut anderthalb Jahren das Autobahn-Konzert erlebt, ein sehr beeindruckendes Spektakel in seiner Kombination aus Video und Audio. Ich fand es so beeindruckend, dass es mein bestes Konzert des letzten Jahres wurde. Auch das, neben dem Argument des Spielortes, war ein Grund dafür, mir die ganze Chose nochmals ansehen zu wollen.
In Düsseldorf spielten sie an acht Abenden jeweils eine Albumshow. In Wien wurde das Ganze im Rahmen der Wiener Festwochen auf vier Tage zusammengedampft, was bedeutete, dass es zwei Konzerte pro Abend gab. Das wiederum bedeutete für uns, wenn wir schon mal anreisen, dass wir uns dann auch die beiden Konzerte am Abend angucken. Keine halben Sachen; und überhaupt, angebrochene Abende sind eh die schlimmsten. Also versuchten wir, für die Konzerte Nummer 3 (Trans Europa Express) und Nummer 4 (Die Mensch-Maschine) Tickets zu ergattern. Dass das nicht ganz so einfach sein würde zeigte sich schon bei den Düsseldorfer Konzerten, aber, in aufeinander eingespielter Teamarbeit ergatterten wir die ausgeguckten Tickets.
Die Freude war entsprechend hoch, würden wir doch Songs wie „Das Modell“, „TEE“, „Europa endlos“ oder „Die Roboter“ in ihrer natürlichen Albumumgebung hören. Dazu ein Best-of, das die anderen Welthits („Tour de France – Tour de France“) nicht ausspart. Es würde also ein rundum prallgefüllter Kraftwerkabend werden, mit all dem, was man hören mag und was man auf einem Konzert unbedingt hören möchte. Die Gefahr, mehrere Songs an diesem Abend doppelt zu hören und zu sehen (ja, auch diese Konzertreihe war eine 3-D Show, also mit den lustig aussehenden polarisierenden Plastikgläsern und Papierbrillen) nahmen wir dabei locker in Kauf. Es gibt schlimmeres.

Die freitägliche Anreise ließ wenig Zeit, mehr als Flughafen, Hotel und Burgtheater zu sehen. Sehr zeitnah erreichten wir das Schauspielhaus und trotz allem Ticketgutscheineintauschwirrwarr und Ausweiskontrolle (es gab personalisierte Tickets) schafften wir es noch, unserer Berliner Konzertverabredung ein erstes gar nicht so kurzes „hallo“ entgegenzurufen. Denn, neben all der Musik und den Kaffeehausbesuchen, die für den Samstag geplant waren, standen auch Verabredungen und das kennenlernen bisher nur digital bekannter Personen an. Und so sammelte sich im Laufe des Abends ein kleines Grüppchen graumelierter Konzertbekloppter, mit denen ich den Abend gemeinsam bestritt: die Jungs von diesem Blog sowie die männliche Belegschaft des Konzerttagebuches. (Das sich die Zusammenkunft als sehr unterhaltsam und höchstsympathisch herausstellte, muss ich dabei nicht extra erwähnen.)

Konzert 1: Trans-Europa-Express
Mittelrang irgendwas. Ich kann diese Platzkategorie nun wirklich nicht empfehlen. Die engen Sitze der letzten Reihe entpuppten sich als wahre Kniescheibenkiller und sind für Menschen des 20./21. Jahrhunderts überhaupt nicht geeignet. Früher war ja alles besser und auch die Menschheit von kleinerer Körperstatur. Leider vergaß man hier, die Bestuhlung den neuen mitteleuropäischen Durchschnittsmaßen anzupassen. Mit anderen Worten, es war sau eng und ich möchte nicht wissen, wie qualvoll der Konzertabend geworden wäre, wenn wir nicht kurzerhand den Notsitz neben unseren Plätzen als weitere Sitzoption verwendeten, um so etwas mehr Platz in der Sitzreihe zu gewinnen. Irgendwo müssen die Beine ja hin.
Also, 3-D Brille auf und zurückgelehnt die Videoinstallationen plus Soundtrack genießen.

Trans-Europa-Express aus dem Jahr 1977 ist das dritte Kraftwerk Album in ihrer elektronischen Zeitrechnung. Thema des Albums ist das moderne Verkehrsmittel und die Möglichkeit, einfach und komfortabel durch Europa reisen zu können. Visuell wurde die Musik dazu passend mit stilisierten TEE Variationen, vorbeischwirrenden Strommasten und Wortüberblendungen hinterlegt.
Ansonsten ist über eine Show von Kraftwerk eigentlich schnell berichtet (und auch wiederum nicht). Durch die live eingeschobenen Visualisierungen und Videosequenzen gäbe es eine Fülle von tollen Eindrücken zu berichten, andererseits stehen da eben auch nur Ralf Hütter und seine drei Kollegen stoisch hinter ihren Konsolen und tun – irgendwas; und auf einer Leinwand laufen dazu Videosequenzen ab. Keiner weiß so genau, wer was wie macht und ob sie überhaupt live was machen. Allerdings, und das war durch die erhöhte Sitzposition erkennbar, sieht jede Konsolenkonfiguration anders aus und es wurden tatsächlich Knöpfe gedreht und Tasten gedrückt.

Dass die Kraftwerksongs nicht an Aktualität eingebüßt haben, ist mir schon in Düsseldorf sehr deutlich vor Augen geführt worden, in dieser perfekten Symbiose zwischen Audio, Video und Ort wurde sie mir erneut mehr als deutlich. Ich bin nicht der große Kraftwerk Vielhörer oder 100% Fan, aber wenn „Autobahn“ erklingt und die Fahrradketten in „Tour de France“ surren, ist das für mich eben sehr zeitgemäß und grandios.
Das Konzertprinzip war bekannt: nach dem Album, Trans-Europa-Express war im Burgtheater um einiges kürzer als auf Platte, folgte ein Best-of Block. Dieser wurde nach guten 35 Minuten mit „Autobahn“ eingeläutet und mit „Ätherwellen/ Nachrichten“ und „Geigerzähler/ Radioaktivität“ fortgeführt.
„Das Modell“ tauchte hier nicht auf, es war für uns jedoch leicht zu verschmerzen, sollten wir es doch später am Abend als Teil des Albums Die Mensch-Maschine zu hören und sehen bekommen.
Nach rund einer Stunde und 75 Minuten war das Konzert vorbei. „Boing Boom Tschak“/ „Techno Pop” bildete das letzte reguläre Songdoppel, während zum abschließenden „Musique non stop“ die vier Protagonisten einzeln und nacheinander die Bühne verließen. Ralf Hütter wünschte einen schönen Abend und wir waren auch ein bisschen froh, die doch recht unbequemen Sitzplätze verlassen zu können.

Es folgte eine gut einstündige Pause, in der wir es uns in einem nahegelegenen Kaffeehaus mit Apfelstrudel und Bier stärkten. Leider bot uns das Foyer des Burgtheaters keine gemütliche Ecke an, um dort die Zeit zu überbrücken. Aber Kuchen und Klaviermusik des gediegenen Cafe Central waren den kurzen Marsch durch das kühle Wien mehr als wert.

Konzert 2: Die Mensch-Maschine
Endlich „Das Modell“.
Und neue Sitzplätze. Eine Wohltat. Wir saßen nun eine Kategorie günstiger und eine Etage höher auf der Galerie. Das Blickfeld war ebenso gut, aber die Beinfreiheit um einiges besser. Obwohl es die preisgünstigere Kategorie war, war dieser Rang die bessere Wahl. Aber sowas ahnt ja vorher niemand.
Auch die Mensch-Maschine ist ein Konzeptalbum. Handelt Trans-Europa-Express vom modernen Reisen durch Europa, so zielt die Mensch-Maschine auf die Zukunftsthemen Weltraum, Roboter und modernes Leben ab. Durchdachtes und strukturiertes Musizieren gehört zu den grossen Pluspunkten Kraftwerks, die nicht bloss Alben (und in aktuellerer Zeit auch Konzerte) entstehen lassen.
Unter großem Jubel wurden die ersten Töne von „Die Roboter“ aufgenommen, einem der Überhits der Düsseldorfer. Es folgten „Spacelab“, „Metropolis“, dann „Das Model“ und die abschließenden „Neonlicht“ und „Die Mensch-Maschine“ (das mit dem Jay-Z Sample). Es war ein kurzes Albumvergnügen, das nicht viel länger als eine halbe Stunde andauerte, bevor mit „Autobahn“ erneut der zweite Konzertteil eingeläutet wurde.
Ist das nicht langweilig, schon wieder die gleichen Songs im Best-of zu hören? Diese Frage stellte ich mir unbewusst natürlich, und für den fall von erneut schwierigen Sitzplatzverhältnissen hatten ich gedanklich auch schon allerlei Optionen vorbereitet. Aber die konnte ich dann getrost beiseite legen und musste schnell fetsstellen: Nun, ein zweites Mal geht, drei- oder viermal wäre sicher kritisch geworden. Und was heißt schon, das gleiche?!

Es gab Unterschiede, wie ich später in der konzertialen Nachbesprechung gelernt habe. Natürlich sind sie mir live nicht sonderlich oder überhaupt nicht aufgefallen, dafür bin ich nicht Spezi genug. Eine unterschiedliche Variante von „Tour de France“ zum Beispiel, oder ein einmal kürzeres „Autobahn“. Die feinheiten machten die Unterschiede, der, der genau hinhörte und hinguckte, entdeckte sie. Und da bin ich mir sicher, dass waren bestimmt nicht wenige Zusachauer im Burgtheater. Denn Kraftwerkkonzerte ziehen Enthusiasten aus aller Herren Länder an. Das war schon in Düsseldorf so, und das war in Wien nicht anders. Das Sprachwirr war deutlich zu hören und Aussagen wie „warst du nicht gestern auch schon da?“ nicht die Ausnahme.
Ralf Hütter und Florian Schneider (der nicht mehr zur Kraftwerk Gruppe gehört) gründeten 1970 das Projekt Kraftwerk. Es ist nach wie vor von zeitloser Eleganz und ein kultureller Menschenmagnet.

Ja, es war erneut faszinierend, Kraftwerkalben live zu sehen. Und es war absolut die richtige Entscheidung, diesen Wiener Kurztrip zu unternehmen. Es hat Spaß gemacht, im Burgtheater zu sitzen, sich anschließend darüber bis tief in die Nacht zu unterhalten und am Samstag gefühlt 50 der 111 wichtigsten Sehenswürdigkeiten Wiens mit einer lange nicht gesehenen Studiumsfreundin abzulaufen. So entwickelte sich Wien auch abseits der Musik zu einem wunderschönen Zeitfresser. Gerne all das wieder!

Wir spielen die Maschinen, und die Maschinen spielen uns.

Kontextkonzerte:
Kraftwerk – Düsseldorf, 11.01.2013

Video:

Schreibe einen Kommentar